Der Emmertsgrund kämpft mit seinem schlechten Ruf. Doch wie wohnt es sich wirklich im Heidelberger Bergbezirk?
Ein Heidelberger Stadtteil, der vielfältige Street-Art-Projekte unterstützt, in dem eine Schule für ihr „herausragendes Unterrichtskonzept“ den Deutschen Schulpreis erhält, wo regelmäßig Poetry Slams stattfinden und sich der zweitgrößte Veranstaltungsraum der Stadt befindet, sollte hoch im Kurs stehen. Paradoxerweise ist Gegenteiliges der Fall. Bekannt sind die Bezirke Emmertsgrund und Boxberg vor allem für ihr schlechtes Image. Zu Unrecht?
Wer in Heidelberg eine Wohnung sucht, dem wird schnell von den Bergstadtteilen am südlichen Stadtrand abgeraten. „Finger weg. Diese beiden zusammenhängenden Stadtteile gehören nicht zu den bevorzugten Wohngebieten des Mittelstands“, äußern sich User bei einer stern.de-Umfrage. Laut einer jüngst zum dritten Mal erhobenen Bürgerbefragung durch das Institut für Kriminologie der Universität zur subjektiven Sicherheitslage in Heidelberg, gaben 43 Prozent an, sich im Emmertsgrund zu fürchten. Betrachtet man jedoch die tatsächlich begangenen Straftaten, so liegt die in den Siebzigern gebaute Heidelberger Großwohnsiedlung an vorletzter Stelle. Nur in Schlierbach hat die Polizei weniger zu tun. „Aus Angst vor Ausgrenzung wagen es Kinder beim Besuch außerhalb gelegener Schulen aber trotzdem oft nicht, ihren Wohnort zu nennen“, meint Hans Hippelein, Vorstandsmitglied des Stadtteilvereins. Der Student Alexander Kaiser bestätigt das: „Ich muss zugeben, dass ich meinen Wohnort nicht so gerne erwähne. Die Menschen haben schon Vorurteile.“
Dabei hat das Leben im Emmertsgrund viele Vorteile: Neben einem breiten kulturellen Angebot profitieren Anwohner von den niedrigen Mieten, der Nähe zur Natur und der idyllischen Hanglage mit Aussicht auf das Rheintal. „Außerdem gibt es nicht ‚den‘ Emmertsgrund. Die heterogene Bevölkerung sowohl von Deutschen als auch Migranten – vom Professor bis zum Arbeitslosen ist hier alles vertreten – bildet die Welt im Kleinen ab, mit all dem Faszinierenden und Problematischen“, meint die Anwohnerin Karin Weinmann-Abel. „Ich mag, dass es hier so bunt ist. Während der WM wurde immer irgendwo gejubelt, egal wer ein Tor geschossen hatte“, so Kaiser. Über 100 Nationalitäten haben im Emmertsgrund ein Zuhause gefunden. Mit der erhöhten Zuwanderung von Geflüchteten in den letzten Jahren hat sich nicht viel verändert. Ein multinationales Miteinander ist ohnehin an der Tagesordnung.
Die Tatsache, dass auf dem Berg verhältnismäßig viele ärmere Leute und Menschen mit ausländischen Wurzeln leben, ist laut der Alt-Stadträtin Barbara Greven-Aschoff Folge einer mangelnden sozialen und räumlichen Durchmischung des Hochhausbaus der sozialen Wohnungsbaugesellschaften. In den Sechzigern reagierte die Stadt auf die herrschende Wohnungsnot mit der Planung einer Großwohnsiedlung mit 3500 Wohnungen für 11 000 Menschen. Dafür wurde ein Gelände am südlichen Stadtrand erworben und ein – für damalige Verhältnisse – hochmoderner Stadtteil gebaut.
„Die alten Traditionen, wie Kerbe, Kirchweih – das findet im Emmertsgrund nicht statt, weil wir keine gewachsene Struktur sind. Das ist ein geplanter Stadtteil. Und um dem etwas entgegen zu setzen, fand hier immer ein Stadtteilfest statt“, so Anwohnerin Sigrid Kirsch. Auch Anfang Juli schließen sich wieder viele Akteure zusammen, um das Emmertsgrundfest auszurichten. Stadtteilzeitung, Medienzentrum, Bürgerhaus, der Förderkreis Kunst und Gestaltung oder Tennisverein – sie alle sind stark miteinander vernetzt. Dies intensivierte sich 2010 noch einmal stark, als sich eine bürgerliche Initiative gegen den Verkauf der im Besitz der Gesellschaft für Grund- und Hausbesitz Heidelberg befindlichen Emmertsgrundpassage an einen privaten Investor stellte. Es wurden tausende Unterschriften gesammelt und der „Trägerverein für das Emmertsgrunder Stadtteilmanagement TES e.V.“ gegründet. „Wir Hauptamtlichen vom Stadtteilmanagement unterstützen das ehrenamtliche Engagement der Bürger, die hier wohnen“, erzählt Rositza Bertolo.
Diese Kooperation hat in den letzten Jahren etliche Projekte und Veranstaltungen angestoßen. So wurden beispielsweise zusammen mit den Bewohnern Beton-Brücken und Fassaden künstlerisch gestaltet. Es ist aber vor allem das bürgerliche Engagement im kleinen Rahmen, das gestärkt wird. „In unserem Frauencafé unterrichtet eine pensionierte Lehrerin Grundlagen im Lesen und Schreiben für Analphabeten. Aus dieser Gruppe beteiligten sich Damen bei einer Veranstaltung und trugen selbst verfasste Gedichte in deutscher Sprache vor, das war phänomenal“, freut sich Sigrid Kirsch.
Die Ehrenamtlichen hoffen, mit ihrer Arbeit auch „unten in der Stadt“ positiv auf sich aufmerksam zu machen. Hippelein fasst zusammen: „Sie sollten nicht alles glauben, was andere Ihnen erzählen und den Stadtteil durch einen Besuch kennenlernen. Meist ändern Menschen danach ihre negative Meinung.“
Von Alexandra Koball