Cas Mudde schreibt, forscht und spricht über Populismus. Ein Gespräch über politische Studierende, Public Intellectuals und die AfD
Cas Mudde forscht und lehrt als Politikwissenschaftler an der University of Georgia zu Rechtsextremismus und Populismus. Doch das reicht dem umtriebigen Niederländer nicht: Auf Twitter kommentiert er die aktuelle Weltlage in GIFs und 280-Zeichen-Analysen. Und auch in seiner Kolumne im Guardian finden geneigte Leserinnen und Leser immer wieder Stoff zum Nachdenken. Bei der Veranstaltungsreihe „Wie wir reden“ sprach Mudde zum Thema „Rechts & Links“. Zwei ruprecht-Redakteure haben die Gelegenheit genutzt und mit ihm gesprochen.
Herr Mudde, gibt es „guten Populismus“?
Das, was oft als „guter Populismus“ verkauft wird, ist eigentlich nicht Populismus, wie ich und viele andere ihn definieren. Wenn man ihn so definiert, wie ich es tue, als eine Ideologie, die „das Volk“ als homogen definiert und gegen eine korrupte Elite stellt, dann ist das schon der Definition nach problematisch für eine liberale Demokratie. Das heißt nicht, dass bestimmte Populisten nicht auch Gutes bewirken können. Aber wenn sie an die Macht kommen, unterminieren sie fast unausweichlich den Rechtsstaat, die Gewaltenteilung, Minderheitenrechte.
Denken Sie, dass Populismus als Schlagwort in der Öffentlichkeit zu viel gebraucht wird? Sollte man seine Bedeutung schärfen?
Ja, aber das ist ganz normal. Andere Begriffe werden ebenfalls zu viel gebraucht, Demokratie zum Beispiel, Konservatismus, Sozialismus. Im Moment ist Populismus so etwas wie das Schlagwort der Stunde und wird für alles benutzt. Ich denke, der Begriff sollte insofern geschärft werden, dass man ihn nicht für alles benutzen sollte, was man ablehnt. Er sollte nicht für jeden benutzt werden, der gegen das „Establishment“ ist, und man sollte auch nicht nur „Populismus“ dazu sagen, was ich als die populistische radikale Rechte bezeichne. Ein Großteil der Debatte in Deutschland über Populismus dreht sich eigentlich gar nicht um Populismus als solchen, sondern um die AfD, also um Rechtspopulismus. Es gibt schließlich auch Linkspopulismus innerhalb der Linken. Ich denke, Populismus ist ein nützlicher Begriff, aber er ist zu breit, wenn es eigentlich um Rechtspopulismus geht, und er ist zu eng, wenn man über „Anti-Establishment“ reden möchte.
In einem Interview mit der ZEIT im Jahr 2015 sagten Sie, dass Sie sich sicher seien, die AfD würde bald verschwinden – was offensichtlich nicht passiert ist. Warum?
Ehrlich gesagt weiß ich das nicht. Teilweise ist es nicht passiert, weil die deutsche Kultur sich verändert hat. Wenn man sich Gaulands „Vogelschiss“-Bemerkung anschaut – das wäre vor zehn oder auch vor fünf Jahren zweifellos das Ende seiner Karriere gewesen. Damit habe ich nicht gerechnet. In anderen Ländern bedeutet so etwas auch nicht mehr das Karriereende. Deutschland war eigentlich immer wachsamer, aber es hat sich angepasst. Meine Vermutung, warum sich die AfD dennoch unweigerlich selbst zerstören wird, basiert darauf, dass sie eine rechtsradikale und eine rechtsextremistische Fraktion hat, die um die Vorherrschaft kämpfen. Entweder wird der rechtsradikale Flügel, der momentan an der Macht ist, den extremistischen Flügel weiter akzeptieren. Dann werden Leute wie Björn Höcke weiter in Skandale geraten und Austritte hervorrufen. Oder man schließt die Rechtsextremen aus, aber dann wird die Partei große Probleme vor allem mit ihren östlichen Landesverbänden bekommen. Ich glaube immer noch, dass die Basis dieser Partei sehr schwach ist, aber ich habe mich definitiv darin geirrt, wie tolerant die deutsche Gesellschaft inzwischen gegenüber einer rechtsradikalen Partei geworden ist.
Tatsächlich gibt es hierzulande Befürchtungen, dass sich unsere Gesellschaft in feindliche Lager spaltet. Aber wir an unserer Universität zum Beispiel spüren das nicht so deutlich. Heißt das, wir Studierende sind zu unpolitisch, oder ist es ein gutes Zeichen, dass der Rechtspopulismus die Universität noch nicht erfasst hat?
Nein, ich denke, gerade Universitäten sind in vielen Ländern eher linke Räume. Aber sie werden auch als viel linker wahrgenommen, als sie tatsächlich sind. Es gibt zweifellos mehr als genug Studierende, die mit der AfD sympathisieren. Nur glauben sie, dass sie das nicht offen zeigen können, weil sie unterdrückt würden. Ich habe in Antwerpen gelehrt, wo damals eine von drei Personen die Vlaams Belang (VB), eine rechtsradikale Partei wählte. Ich hatte den Vorsitzenden der studentischen Organisation der VB in meinem Kurs und auch einige lokale Vertreter, die niemals offen zugegeben haben, dass sie in dieser Partei waren, weil sie das Gefühl hatten, das sei nicht akzeptabel. In einer solchen Stadt mit so vielen Stimmen für die VB, selbst wenn es an der Universität weniger sind, unterstützen wahrscheinlich zehn Prozent der Studierenden die Rechtsradikalen.
Man hört hierzulande oft, an amerikanischen Universitäten gebe es viel stärkere Spannungen. Sind die Universitäten dort polarisierter?
Die Situation in den USA scheint mir nicht so schlimm. Das ist fast schon eine Obsession liberaler wie konservativer Medien. Und es wird viel Geld für Gruppen ausgegeben, die darüber sprechen sollen. Es gibt diese Gruppe namens „Turning Point USA“, die Kommunismus und Marxismus an Universitäten bekämpfen möchte. Sie sind auch an meine Universität gekommen, eine öffentliche in einem sehr konservativen Bundesstaat. Und ihr Redner sprach die ganze Zeit von „marxistischen“ Professoren und selbst die rechten Studierenden, die dort waren, sagten: „Marxistische Professoren gibt es hier nicht wirklich.“ Das ist eine Geschichte basierend auf Berkeley, Yale und ein paar anderen Universitäten, die für linke Dozierende bekannt sind. Viele Dozierende tendieren etwas nach links, aber viele sind auch schlicht sehr unpolitisch.
Solche rechten Gruppen sind sehr skeptisch gegenüber universitärer Bildung. Heißt das im Gegenzug, dass höhere Bildung zentral dafür ist, Rechtsradikalismus zu bekämpfen?
Eine Studie in den Niederlanden unter Studierenden hat kürzlich gezeigt, dass die beliebteste Partei bei ihnen die Konservativen sind. Die Idee, dass erstens Professoren ihren Studierenden sagen, was sie denken sollen und zweitens, dass sie tatsächlich deren Meinung ändern können, ist eine Illusion. Unter Kollegen witzeln wir oft, dass wir unsere Studierenden ja nicht mal dazu bringen können, alle Pflichtlektüren zu lesen. Wie sollen wir da ihre Meinung ändern? Ja, ich denke, dass Bildung helfen kann und Menschen weniger voreingenommen macht, aber es geht nicht nur um unsere Haltungen. Höher gebildete Menschen haben auch mehr gesellschaftliche Chancen. Sie haben also weniger Grund, unzufrieden zu sein.
Was Ihre eigene Rolle angeht: Sie twittern viel, Sie halten viele Vorträge, Sie schreiben für Zeitungen. Sehen Sie sich selbst als „öffentlichen Intellektuellen“?
Ich denke, das klingt überheblich, deswegen benutze ich die Bezeichnung nicht, aber in gewisser Weise bin ich das. Ich glaube, als Wissenschaftler ist es sehr wichtig, dass man der Gesellschaft etwas zurückgibt. Deshalb sollte ich auch nicht in die Politik gehen. Ich kann politische Aussagen treffen, aber der Hauptgrund, warum mir Leute zuhören, ist, dass ich mehr über Populismus weiß als viele andere, weil ich ihn erforsche. Aber die meisten Wissenschaftler gerade in Europa arbeiten in steuerfinanzierten Einrichtungen, also sollten sie auch etwas zurückgeben.
Eben erwähnten Sie Gegenwind für Ihr öffentliches Auftreten. Sind Sie im Internet schon belästigt worden?
Klar. Eigentlich kommen unter jedem meiner Posts erst einmal islamophobe Vorwürfe, ich würde nicht erkennen wollen, dass „die Muslime“ in ein paar Jahren unser Land übernehmen werden. Wobei ich es noch relativ leicht habe – besonders Kolleginnen, die vielleicht auch noch jünger sind oder einer Minderheit angehören, stehen deutlich mehr unter Beschuss. Wenn sie mich fragen, ob sie an die Öffentlichkeit gehen sollen, sage ich nur: Ihr braucht eine dicke Haut, sonst wird es schlimm. Ich persönlich habe gar nicht mal so sehr ein Problem mit Neonazis, Faschisten, Islamophoben oder sogar Stalinisten, die mir sagen, dass ich falsch liege. Das bestärkt mich eher, dass ich auf der richtigen Spur bin.
Deutsche Politiker sprechen gerne davon, wir müssten wieder besser miteinander reden. Auch die Veranstaltung heute Abend hat dieses Ziel. Glauben Sie, das hilft?
Die Idee, dass man nur einen Rassisten und einen Nicht-Rassisten in einen Raum stecken muss und danach hätten sich jegliche Ressentiments in Luft aufgelöst, funktioniert leider nicht. Was aber wiederum nicht heißt, dass wir gar nicht reden sollten – sondern nur mit einer klaren, überlegten Meinung: Wenn Sie keine überzeugende Gegenmeinung bieten können, antworten Sie vermutlich mit „Du hast nicht ganz Unrecht, aber.“ Und das stärkt nur ihre Position.
Was können wir selbst tun, wenn wir keine „Politik-Experten“ wie Sie sind?
Populismus ist Protest. Er kommt auf, wenn Menschen unglücklich sind. Unglücklichen Rassisten ist nicht zu helfen – außer man wird selbst zum Rassisten. Und das ist nun wirklich keine Lösung. Aber viele Menschen sind unglücklich, weil sie Immigration als aufgezwungen sehen. Deswegen sollte man über bessere Wege der Integration nachdenken. Da können gerade die Medien etwas erreichen, indem sie bei Flüchtlingen nicht nur über Probleme und Skandale sprechen, sondern alltägliche Geschichten schreiben: Flüchtlinge sind Menschen wie wir auch. Und es ist wichtig, nicht nur Widerspruch zum Ausdruck zu bringen, sondern Alternativen aufzuzeigen und die eigene Position zu erklären. Aber glaubt nicht, dass ihr jeden überzeugen könnt.
Wir sollten ihnen also nicht so einen großen Platz in der öffentlichen Debatte zugestehen?
Nun, die AfD hat vielleicht eine etwas größere Rolle in der Diskussion verdient, weil sie noch neu ist. Sonst sollte man sie aber normal, also proportional zu ihrer Größe berücksichtigen. Das bedeutet auch nicht, dass man zwanghaft auf Skandaljagd gehen sollte – das ist auch nicht nötig, dafür sorgen sie schon selbst. Wenn man normal mit weniger prominenten rechten Politikern umgeht, entblößen sie sich oft selbst, haben sie doch meistens zu wichtigen Problemen außerhalb von Immigration keine Antwort. Gauland weiß, was er sagt – seine Gefolgsleute häufig nicht.
Das Gespräch führten Jakob Bauer und Simon Koenigsdorff