Bei der „Human Library“ lassen sich Menschen wie Bücher lesen. Durch offene Gespräche ermöglicht das Projekt den Teilnehmern, sich vorurteilsfrei auszutauschen
Wie ändert eine transsexuelle Person in der Universität ihren Namen? Wie recherchiert ein blinder Mensch auf Google? Am 27. Oktober antworteten dreizehn „Human Books“ auf Fragen, die man sich normalerweise nicht laut zu stellen traut. Auf die Initiative der Doktorandin Amara Igboegwu hin, entstand in Kooperation mit „Chancen Gestalten“, dem Amt für Chancengleichheit und dem Antirassismus-Referat der Uni Heidelberg in der Stadtbibliothek eine „Human Library“.
Freiwillige schlüpfen dabei in die Rolle eines Buches und erzählen von ihren persönlichen Erfahrungen mit Diskriminierung. Ursprünglich stammt das Format aus Dänemark und existiert seit 2000 in mittlerweile über 80 Ländern. Motiviert wurde die Organisatorin durch eine heftige Diskussion zwischen Studierenden in einem ihrer Seminare. Das Thema: Deutsche Leitkultur. „Da standen sich zwei Gruppen gegenüber, die Vorurteile übereinander hatten, ohne je wirklich miteinander geredet zu haben“, so Igboegwu.
„Mit der Veranstaltung möchte ich erreichen, dass Menschen ihre Stereotypen und Vorurteile überdenken können, indem sie die Möglichkeit bekommen, mit Menschen zu kommunizieren, denen sie im Alltag nie begegnet wären. Es geht aber nicht darum, dass jemand seine Lebensgeschichte erzählt und andere mitleidig zuhören. Die Idee ist, dass jemand das Thema einführt und daraufhin ein Gespräch entsteht.“
Eines der „Bücher“, ein Transmann, erzählt von seiner Namensfindung, der Qual der Wahl beim Toilettengang und der Transition hin zum anderen Geschlecht. Daraufhin fragt eine ältere Frau, wie das Testosteron denn in den Körper kommt. Lachend antwortet er, dass er Spritzen zwar nicht mag, man nach dem Auftragen von Testosteron-Gel aber mehrere Stunden keine Kinder und Frauen anfassen darf, da bliebe ihm wenig Wahl.
„Es ist das erste Mal, dass ich mit einer transsexuellen Person geredet habe“, meint eine andere Teilnehmerin. „Allein dadurch, dass man der Person gegenübersitzt, werden viele Vorurteile direkt über den Haufen geworfen. Ich reduziere mich ja auch nicht auf meine Heterosexualität.“ Doch nicht nur die Teilnehmenden reflektieren die Veranstaltung positiv: „Auch ich habe heute viel gelernt, denn ich hatte die Möglichkeit, Dinge aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten“, meint etwa Rollstuhlfahrer Oli. In der Abschlussrunde bekommt jedes „Buch“ ein „Bestseller“-Zertifikat. Oli bedankt sich „für den geschützten Raum und die Offenheit“.
Es wird der Wunsch laut, die Veranstaltung bald wieder stattfinden zu lassen. Auch Igboegwu sieht das so: „Wir brauchen im alltäglichen Leben mehr Orte der Kommunikation. Je mehr wir übereinander wissen, desto weniger Angst haben wir vor dem Unbekannten.“ Und Angst ist ja bekanntermaßen die Grundlage für Hass.
Von Alexandra Koball und Martin Herrmann