Der verkannte Trendsport Jugger sorgt auf der Neckarwiese für Aufsehen. Das Spiel bietet die seltene Gelegenheit, andere Menschen mit Schaumstoff zu verprügeln, lässt aber auch Strategie nicht außer Acht
Als mir Alex den feuchten, müffelnden Schaumstofffußball ins Gesicht prügelt, verliebe ich mich. Nicht etwa in Alex, sondern in den Sport, bei dem ich diesen Kopftreffer kassiert habe. Nach einer kurzen Pause steige ich leicht verdutzt wieder ins Spiel ein. Frauen und Männer in bunten Sportoutfits laufen über die Neckarwiese, brüllen sich Kommandos zu und verprügeln sich mit schwimmnudelartigen Waffen. Viele Menschen bleiben stehen, wundern sich, und wollen wissen, was hier passiert.
Beim Juggern, so heißt der Mix aus Football und Fechten, geht es darum, einen tablettenförmigen Spielball, den Jugg, von der Mitte des Spielfelds in das gegnerische Tor zu legen. Mit Ausnahme eines Läufers sind alle Spieler mit verschiedenen selbstgebauten Waffen ausgestattet und erkämpfen sich den Weg zum gegnerischen Tor. Alex benutzt beispielsweise eine sogenannte Kette, einen weichen Ball an einem langen Seil, die er wie einen Morgenstern schwingt. Das sieht erst bescheuert aus, und dann will man irgendwie doch selbst mitmachen. Obwohl Juggern im ersten Moment brutal klingt, geht es nicht darum, die anderen Spieler möglichst weich zu klopfen, sondern um Taktik. Bereits eine leichte Berührung zählt als Treffer, sodass Finten und Schnelligkeit belohnt werden. Wenn man getroffen wird, ist man für einige Sekunden aus dem Spiel genommen und muss sich hinknien. Um die Zeit einfacher abzuzählen, schlägt ein Trommler einen Rhythmus. Das klingt ein bisschen wie ein pulsierendes Herz und sorgt zusätzlich für energiegeladene Stimmung. Außerdem weiß dadurch auch das gegnerische Team, wann der Abgeklatschte wieder aufstehen darf.
Insgesamt besteht ein Team aus fünf Spielern – einem Läufer und vier Feldspielern – die alle unterschiedliche Rollen einnehmen. Der Läufer trägt keine Waffe und darf als einziger Spieler den Jugg tragen. Er versucht daher, eine Lücke in der Verteidigung der Gegner zu finden und den Ball im Tor zu versenken. Die anderen Spieler können aus fünf verschiedenen Waffen auswählen, um den eigenen Läufer besser zu verteidigen, Freiräume zu erspielen oder besser gegen die gegnerischen Spieler vorzugehen. Alle Waffen haben dabei Vor- und Nachteile. Die klassische Anfängerwaffe, und auch meine Wahl, ist eine stabilere Schwimmnudel, die sogenannte Langpomp-
fe. Mit diesem Allrounder kann man hauen, stoßen und sich gegen Schläge verteidigen. Die Kette, der Fußball am Seil, hat dagegen eine große Reichweite und kann leicht Räume erspielen. Nach einem Angriff ist der Spieler dafür komplett ungeschützt. Das Gegenteil dazu ist der Schild und die kurze Pompfe. Hier trägt der Spieler nur eine halbe Schwimmnudel mit viel kürzerer Reichweite, hat dafür aber auch einen Schild, mit dem er sich besonders gut verteidigen kann.
Vor Beginn der zweiten Runde besprechen wir nochmal unsere Taktik als Team. Nach langwieriger Fehleranalyse, Stärken- und Schwächenabwägung und grundsätzlichem Fitnesscheck steht meine Aufgabe fest: Ich soll mich nicht wieder sofort raushauen lassen. Nachdem ich so kläglich gegen Alex versagt habe, packt mich der Ehrgeiz. Beide Teams stellen sich auf ihrer Seite des Feldes auf, zählen „Drei, zwei, eins, Jugger“, und stürmen aufeinander los. Meine Gegnerin und ich bleiben kurz voreinander stehen. Wir versuchen die Schwächen der jeweils anderen zu durchschauen. Sie trägt einen Schild und ist mir dadurch reichweitenmäßig natürlich komplett unterlegen. Ich stochere nach ihr, aber sie blockt lässig ab. Ich stochere wieder nach ihr, und treffe erneut nur den Schild. Für zehn adrenalingetränkte Sekunden geht das so weiter. Stich. Block. Stich. Block. Plötzlich klopft mir jemand mit seiner Waffe auf den Rücken. Ich war so auf meine Gegnerin und unser Duell fokussiert, dass ich mich nicht einmal umgeguckt habe. Beim Hinknien merke ich, wie der Schweiß von meinem Körper tropft. Die Anspannung, das ständige Antäuschen von Bewegungen, und der Stress, nach den anderen Spielern Ausschau zu halten, sind echt anstrengend. Wir verlieren wieder und das Spiel ist vorbei. Schade, aber obwohl ich keinerlei Einfluss in beiden Runden hatte, hatte ich trotzdem viel Spaß.
Der Mix aus Sport, dem Laufen, Hauen und Ausweichen, sowie Köpfchen, Positionierung, Übersicht behalten und den intensiven Duellen ist anspruchsvoll und fordert heraus. Führt man ein erfolgreiches Manöver durch, fühlt man sich unbesiegbar. Aber nur solange, bis einen die nächste Schwimmnudel in die Realität zurückholt. Nächstes Mal bin ich auf jeden Fall wieder dabei. Falls du das liest, Alex, dann zieh dich besser warm an.
Von Patrick Müller