Die künstliche Beleuchtung von Städten ist ein Problem für ganze Ökosysteme. Eine Kampagne von BUND und Stadt soll das Bewusstsein der Heidelberger stärken
Einst in der Literatur als die stimmungsvolle Tageszeit der Melancholiker gerühmt, hat die blaue Stunde inzwischen einiges an Charme verloren. Anstatt sanft den Übergang zwischen Tageslicht und nächtlicher Dunkelheit anzukündigen, wird sie zur Stunde der Künstlichkeit. Es ist die Zeit des Tages, in der typischerweise die Außenbeleuchtung zum Boten eines Phänomens wird, das längst kein Nischenthema mehr ist: die Lichtverschmutzung.
Um die Heidelberger Bürger für diese Thematik zu sensibilisieren, läuft seit Oktober die 18-monatige Kampagne „Licht ins Dunkel – die Nacht neu entdecken“. Organisiert vom BUND Heidelberg in Kooperation mit den Stadtwerken Heidelberg und der Ökostadt Rhein-Neckar e.V. soll durch regelmäßige Veranstaltungen über den richtigen Umgang mit Licht und Beleuchtung informiert werden.
Licht ist ein zentraler Regulator für die Mehrheit aller auf der Erde lebenden Organismen. Zwischen einem strahlend blauen Himmel und einer mondlosen Nacht liegt ein Unterschied von mehr als 120 000 Lux in der Beleuchtungsstärke – keine andere physikalische Größe ändert sich regelmäßig so stark. Zu viel Licht zur falschen Tageszeit ist sowohl für den Menschen als auch für Tiere und Pflanzen ein ernstzunehmender Stressfaktor. Bei ausreichender Dunkelheit produziert die Zirbeldrüse im Gehirn das Hormon Melatonin, welches einen wichtigen Einfluss auf den menschlichen Tag-Nacht-Rhythmus hat. Vor allem Licht mit hohem Blauanteil stört jedoch die Melatoninproduktion und somit unseren Schlaf.
Anstelle des natürlichen Tag-Nacht-Wechsels beeinflussen zunehmend die Lichter von digitalen Geräten und LED-Lampen unsere zirkadiane Rhythmik und unser Wohlbefinden – ihr blaues Licht macht wach. Verbringt man dann noch den Tag in schlecht belichteten Räumen, hat man seinen Biorhythmus erfolgreich auf den Kopf gestellt. Tagsüber reicht die Lichtmenge nicht zum Wachwerden, nachts der Grad an Dunkelheit nicht zum Schlafen aus. In der Tier- und Pflanzenwelt zeigt sich Ähnliches. Durch übermäßige Außenbeleuchtung werden viele Tierarten in ihren Aktivitäts- und Ruhezeiten gestört. Neben den meisten Wassertieren und einigen Säugetieren sind gut 60 Prozent aller Insekten nachtaktiv. Auch Zugvögel fliegen vor allem in der Nacht und werden durch künstliches Licht in ihrer Orientierung gestört. „Lichtscheue Fledermausarten werden regelrecht verdrängt und lokal kann es zum Verlust von ganzen Nachtfalterpopulationen kommen“, bestätigt Brigitte Heinz, Geschäftsführerin des BUND Heidelberg. Auch Pflanzen folgen in ihrem Wuchsverhalten dem Rhythmus des Lichts. So kommt es vor, dass neben Straßenlaternen stehende Bäume durch das gesamte Jahr hindurch grüne Blätter tragen, welche dann mit dem ersten Frost erfrieren.
Um ihrem natürlichen Rhythmus folgen zu können, benötigen die meisten Organismen abends warmes Licht, das dem der untergehenden Sonne entspricht. Die Lösung für eine umweltverträgliche Straßenbeleuchtung böte sich also in LEDs mit warmweißem Licht, welche zum Nachthimmel hin abgeschirmt sind und die Lichtmenge und Leuchtdauer bedarfsorientiert regulieren.
Diesen Lösungsvorschlag greifen auch die Heidelberger Stadtwerke auf, die momentan die Straßenbeleuchtung unter Aspekten des Naturschutzes und der Energieeffizienz modernisieren. Die vom BUND Heidelberg initiierte Kampagne passt dort gut in den Ablauf: „In der Anfangszeit des Programms gab es einige kritische Stimmen von Bürgern, die sich mehr Licht auch in ihren Hauseingängen oder ihren Vorgärten gewünscht hätten. Das ist aber nicht Aufgabe der Straßenbeleuchtung – und ökologisch auch nicht sinnvoll“, so Ellen Frings, Leiterin der Unternehmenskommunikation der Stadtwerke Heidelberg. „Deshalb haben wir in einer gemeinsamen Kampagne die Chance gesehen, für Aufklärung über die Wirkung von Licht in der Nacht zu sorgen.“ Auch privat finden sich Möglichkeiten, seinem Hormonsystem etwas auf die Sprünge zu helfen.
Wer Sorge um seinen Schlaf hat, kann mittels einer App den Blauanteil aus seinem Handybildschirm filtern. Die Stunde der modernen Melancholiker erscheint jetzt in einem matten Rosa.
Von Valerie Gleisner