Im Rahmen eines Vortrags beim Interdisziplinären Forum Heidelberg (IDF) verbreitet der ehemalige Die Linke-Bundestagsabgeordnete Norman Paech eine einseitige und gefährliche Sichtweise auf den Nahostkonflikt. In der Diskussion gerät die Veranstaltung zur Farce. Ein Kommentar.
Es ist ein früher Donnerstagabend in Hörsaal 10 der Neuen Universität. Der Saal ist gut gefüllt, während sich in der Nähe des Rednerpultes der Vortragende des Abends, der Völkerrechtler und Die Linke-Mitglied Norman Paech, auf seine Rede vorbereitet. Nach einer Anmoderation von Mitgliedern des IDF beginnt Paech seinen Vortrag „70 Jahre Israel – 70 Jahre Naqba“. Was in den folgenden zwei Stunden passiert, ist schwer fassbar.
Paechs Rede ist Teil der Vortragsreihe „Grenzen|Horizonte“. Konkret soll es um die Staatsgründung Israels und die Flucht von 700.000 Palästinensern aus dem ehemaligen britischen Mandatsgebiet (Naqba) gehen. Beide Ereignisse jähren sich in diesem Jahr zum siebzigsten Mal. Als neutraler Experte für dieses Thema ist Paech leider denkbar schlecht geeignet: Eine gute Stunde berichtet der Jurist von einem gnadenlosen Besatzungsregime, das ein völlig hilfloses Volk unterdrückt und attackiert. Paech vereinfacht einen komplexen, historisch gewachsenen Konflikt auf ein gefährliches Schwarz-Weiß-Bild: Die bösen Israelis und Zionisten hier, die schuldlosen Palästinenser dort. Ein dermaßen einseitiges Bild ist schlicht falsch: Ein klares „Gut und Böse“ gibt es in einem der komplexesten Konflikte dieser Welt nicht, von klaren Fronten „die“ Israelis gegen „die“ Palästinenser mal ganz abgesehen. Vor dem Hintergrund der jüdischen Geschichte schließlich ist Paechs Bewertung der Lage nicht nur falsch, sondern schlicht amoralisch. In Deutschland, so viel sollte eigentlich klar sein, gilt das erst recht.
In der folgenden Diskussion gerät die Veranstaltung schließlich zur Farce. Einwände von Zuhörern, auch in der jüdisch-israelischen Gesellschaft sei die Besatzung der palästinensischen Gebiete keineswegs unumstritten, bügelt Paech mit einem kurzen „das stimmt natürlich und habe ich auch nie bestritten!“ ab. Die folgenden fünf Minuten allerdings verbringt der Jurist mit einer systematischen Relativierung des eben Gesagten: Sicher, es gebe auch einzelne Stimmen in Israel und der israelischen Gesellschaft, die ein friedliches Zusammenleben forderten und gefordert hätten. Diese seien aber stets Einzelmeinungen geblieben und hätten auf die fatalen Einstellungen der jüdisch-israelischen Gesellschaft keinen nennenswerten Einfluss gehabt. Es ist dieses stetige Abstreiten der Vorwürfe, die Paech in der folgenden Relativierung doch wieder bestätigt, die einen von Mal zu Mal fassungsloser machen.
Endgültig surreal wird es schließlich bei den Wortmeldungen zweier proisraelischer Kommilitonen. Wie Paech vor dem Hintergrund der „terroristischen Bedrohung“ aus den besetzten Gebieten von einer ungerechtfertigten Besatzung sprechen könne? Sicher, die palästinensischen Raketenschüsse in ziviles Gebiet seien ein Kriegsverbrechen, verteidigt sich Paech. Aber man müsse schließlich den großen Kontext sehen: Die Ursache dieser Gewalt sei einzig und allein die Besatzung durch die Israelis. Politisch „absolut ohnmächtig“ und ohne nennenswerte internationale Unterstützung hätten die Palästinenser, wie Paech wenig vorher erklärt, schließlich gar keine andere Wahl, als sich mit „Raketen und irgendwelchen Selbstmordattentätern zu wehren“. Das ist polemisierend und falsch. Und in dieser zynischen Zuspitzung und einseitigen Wertung gefährlich: Terror ist nicht zu relativieren. Erschütternd ist auch, dass sich Paech und seine beiden Kritiker an keiner Stelle mehr zuzuhören scheinen. Jeder klatscht dem Anderen seine Wahrheit um die Ohren. An einem Eingehen auf die Argumente der Gegenseite und eine konstruktive Lösung scheint keiner mehr interessiert.
Die Thesen Paechs belasten die Diskussion von vornherein, die Diskussionsvorgaben lassen sie scheitern: Die Organisatoren begrenzen die Redezeit der Zuschauer auf eine Minute, während Paechs Ausführungen an keiner Stelle unterbrochen werden. Statt entweder Gleichheit zu schaffen und die Redezeit für alle Beteiligten zu beschränken oder auf eine solche Beschränkung ganz zu verzichten, sind die Zuschauer Stichwortgeber für Paechs schwer auszuhaltende Pauschalisierungen.
So schief der Abend sich entwickelt: Eigentlich hätte er überhaupt nicht stattfinden dürfen. Norman Paech ist nicht erst an diesem Donnerstagabend im Winter des Jahres 2018 zum, mindestens, grenzüberschreitenden Israelkritiker geworden. In der Ankündigung des IDF klang das anders: Paech sei ein Experte, „der sich schon seit geraumer Zeit mit dem Nahostkonflikt beschäftigt und sowohl juristische Expertise als auch Erfahrung auf dem politischen Parkett mitbringt“. Da hilft es nur wenig, dass der Text am Ende erwähnt, „der Fokus des Vortrags liege auf der Situation der Palästinenser_innen“: Paech ist kein ausgewogen analysierender Experte, Paech ist politischer Aktivist mit eindeutiger Agenda. In seiner Zeit als Bundestagsmitglied und außenpolitischer Sprecher der Fraktion Die Linke verglich er unter anderem das Handeln der israelischen Armee im Libanonkrieg 2006 mit den „unseligen Vergeltungsbefehlen der deutschen Wehrmacht“. Die sozialwissenschaftliche Studie „Antisemiten als Koalitionspartner?“ aus dem Jahr 2011 nennt Paech als einen Vertreter antizionistischer bis antisemitischer Strömungen in seiner Partei. Dass sich seine Einstellung auch in den letzten Jahren nicht geändert zu haben scheint, kann für die Organisatoren des Vortrages kaum zu übersehen gewesen sein: Auf seiner Website veröffentlicht Paech regelmäßig einschlägige Beiträge mit Titeln wie „Das verdrängte Unrecht. 70 Jahre Israelkritik stehen für sieben Jahrzehnte Besatzung und Apartheidregime“. Da ist es nur die Spitze des Eisbergs, dass sich Paech als Befürworter der Boycott, Divestment and Sanctions-Bewegung (BDS) zeigt. Die Organisation ruft zum systematischen Boykott Israels auf. Manche Forscher, wie die Berliner Kognitionswissenschaftlerin Monika Schwarz-Friesel und der Sozialwissenschaftler Samuel Salzborn, bewerten die Bewegung mindestens in Teilen als antisemitisch.
Dass die Organisatoren des Vortrages, Stipendiaten der Studienstiftung des Deutschen Volkes, nicht von der Problematik der Causa Paech gewusst haben, ist kaum vorstellbar. Die Entscheidung, ihn dennoch und in dieser Form einzuladen, ist verantwortungslos. Dass die Studienstiftung die Veranstaltung finanziert hat und so zum überwiegenden Teil öffentliche Gelder die Bühne für die hochgradig problematischen Thesen Paechs geschaffen haben, macht die Sache nur noch schlimmer.
Von Jakob Bauer
Es ist bedauerlich, dass Norman Paechs Vortrag beim Interdisziplinären Forum Heidelberg eine einseitige Sichtweise auf den Nahostkonflikt verbreitet hat. Die Veranstaltung geriet in eine Farce, da komplexe Probleme auf ein gefährliches Schwarz-Weiß-Bild reduziert wurden. Es ist wichtig, die Vielschichtigkeit dieses Konflikts anzuerkennen und differenziert zu betrachten.
Lieber Herr Bauer,
Sie kritisieren zuallererst, dass die dargelegte Sichtweise so einseitig sei. Dann veröffentlichen Sie in Ihrer Zeitung einen Kommentar, der lediglich Ihre eigene Sichtweise darstellt.
Sie bezeichnen „Paechs Bewertung der Lage nicht nur [als] falsch, sondern schlicht amoralisch“, ohne dass Sie besagte Bewertung auch nur im Ansatz dargelegt haben. Sie zitieren, wie mir schient, minimal aus dem Vortrag selber und beschränken sich an manchen Stellen sogar auf die Ankündigung durch die Veranstaltenden (?), wie mir scheint.
Haben Sie also weder mit den Teilnehmenden der Diskussion selber, noch mit Herrn Paech oder den Veranstaltenden gesprochen? In diesem Falle entbehrt es nicht einer gewissen Heuchelei, Anderen Unausgewogenheit vorzuwerfen. Könnte es nicht etwa sein, dass Andere im Publikum die Veranstaltung sehr gegenteilig wahrgenommen haben?
Dass Sie gut ein Drittel Ihres Artikels Dingen widmen, die in der Veranstaltung selber wohl kein Thema wahren (s. z.B. BDS), lässt es so erscheinen als diene Ihr Artikel einzig und allein der Diffamierung des Dozenten.
Abschließend problematisieren Sie, dass die Studienstiftung des deutschen Volkes diese Veranstaltung so hat stattfinden lassen, wenn ich Sie richtig verstehe. Nun ergibt ein kleines bisschen online-Recherche (https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_ehemaliger_Stipendiaten_der_Studienstiftung_des_deutschen_Volkes), dass der Studienstiftung des deutschen Volkes Politiker aller Parteien angehören und angehörten: die Liste reicht dabei von Horst Mahler, Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof bis zu Gottfried Curio und Frauke Petry. Es werden also keinerlei politische Strömungen ausgeklammert. Ganz im Gegenteil: „Mit unserer Förderung schaffen wir Freiräume für Anregungen und Begegnungen, für Herausforderungen und Unerwartetes, für neue Ideen und Projekte“, so heißt es im Leitbild. Da Herr Paech Mitglied des deutschen Bundestages wahr, sollte Ihnen klar sein, dass seine Positionen – auch wenn Sie sie genau so wenig unterstützen wie ich – zumindest relevant sind. Sollten Sie da nicht geradezu dankbar sein, dass Ihnen die Möglichkeit gegeben wurde, seine Thesen zu hinterfragen.
Dass Sie nicht in der Lage sind, die Ausgewogenheit, die Sie sich anscheinend selber so sehr wünschen, in Ihrem Artikel darzustellen, enttäuscht mich sehr – als ehemaligen Studenten in Heidelberg, als Leser Ihrer Zeitung und als Alumnus eines anderen Förderwerkes, der die Studienstiftung immer um ihre (Meinungs-)Freiheit beneidet hat.