Die Tanzsparte des Theater Heidelberg hat ein neues Ensemble und eine neue künstlerische
Leitung. Mit „Impression“ feierte am 7. Dezember ihr erstes Stück Premiere
Zeitdiagnosen sind beliebt. „Millenials“ lautet das Etikett, mit dem sich die Generation der zwischen 1980 und 2000 Geborenen versehen sieht. Nachgesagt wird ihr nicht zuletzt das Bedürfnis nach einer sinnerfüllten Arbeit, die Fokussierung auf das eigene Ich, überwiegende Politikverdrossenheit und eine selbstverständlich gewordenen Mobilität und Sprunghaftigkeit. Zeichnet das die Welt, in der die Millenials leben? Wurden wir denn eigentlich gefragt?
Der Choreograph Iván Pérez fühlt sich gefragt. „Impression“, seine erste Kreation für das Theater Heidelberg, beschäftigt sich mit den verschiedenen Blickpunkten, die gegenüber dieser Generation eingenommen werden können – jenseits der vermittelten Stereotype. Denn zumindest möglich wäre es doch, würde sich die Sprache zeitweise gar nicht als das geeignetste Mittel erweisen, zu dieser Thematik eine erhellende Sichtweise aufzuzeigen. Vielleicht ist es vielmehr der Tanz, als ein genuin kommunikatives Medium jenseits der Sprachlichkeit, der in der Lage ist, unsere sozialen Strukturen offen zu legen.
Ein Millenial, das ist auch Iván Pérez selbst, der die seiner Generation nachgesagte internationale Mobilität nun erst einmal an den Nagel gehängt hat, um ab der Spielzeit 2018/19 die künstlerische Leitung des neu gegründeten Dance Theatre Heidelberg (DTH) am Theater Heidelberg zu übernehmen. Gemeinsam mit einem frisch zusammengesetzten Ensemble tritt er die Nachfolge der Dance Company Nanine Linning an, und damit die Aufgabe, das Heidelberger Publikum auch weiterhin für zeitgenössischen Tanz zu begeistern.
„Auch wenn es altmodisch klingt, ich finde es spannend, als Choreograph eine langfristige Beziehung mit dem Publikum eingehen zu können“, antwortet Pérez auf die Frage, was ihn ausgerechnet an einer festen Stelle in der Tanzsparte des Theaters Heidelberg reizt. Zudem sei es herausfordernd und interessant zugleich, ein Ensemble zusammen wachsen zu sehen und es über einen längeren Zeitraum zu halten. Die Dance Company Nanine Linning hatte sich über die letzten sechs Jahre eine intensive Beziehung zu ihrem Publikum erarbeitet. Der überwältigende Applaus nach der Premiere von „Impression“ lässt vermuten, dass Pérez ein ähnliches Kunststück gelingen könnte.
Das Heidelberger Tanzpublikum zeichnet sich nun erfahrungsgemäß nicht gerade durch seinen niedrigen Altersdurchschnitt aus, und so gestaltet sich die Thematik des Stückes „Impression“ als eine einfallsreiche Geste, in einen generationsübergreifenden Dialog einzusteigen: Sind wir so geworden, wie unsere Eltern das erwartet haben? Wie sehr trennt uns der immense technologische Fortschritt von ihrer Generation? „Mit diesem Stück bot sich mir auch die Möglichkeit, die Science-Fiction-Vorstellungen der Achtziger Jahre mit der Wirklichkeit zu kontrastieren, die wir heute erleben, und so eine Art retrospektive Reflektion zu erhalten“, erklärt Pérez.
So steht das DTH auch für den Versuch, nicht nur ein Theater von Millenials, sondern ein Stück weit auch für Millenials zu werden. Gerade die Studentenschaft bildet oftmals ein Milieu für sich – wie wäre es da, diesen in sich abgeschlossenen Raum durch eine Performance der Tänzer des DTH für sich einzunehmen? Iván Pérez zeigt sich nicht abgeneigt. Zuerst einmal ist jedoch vor allem das vielfältige Rahmenprogramm dazu gedacht, die (nicht nur) jungen Leute anzulocken. Es reicht von Filmvorführungen im „Gloria“ über Workshops und offene Proben bis zu einer Gesprächsreihe namens „Einblicke“, in der die interdisziplinären Einflüsse auf das künstlerische Schaffen des DTH sichtbar gemacht werden sollen. So erhält Mitte Februar der Soziologe Bogomir Doringer die Möglichkeit, in diesem Rahmen über das Verhältnis von Tanz und gesellschaftlichen Strukturen zu sprechen – beispielhaft am Phänomen des „Clubbing“, also dem freien Tanzen in Nachtclubs.
Was ist Tanz? Und hat dieser das Potential, soziale Strukturen nicht nur sichtbar zu machen, sondern auch zu verändern? Diesen Fragen geht nicht nur die Gesprächsreihe „Einblicke“, sondern auch Iván Pérez in seinen Werken immer wieder auf den Grund. In diesem Zusammenhang greift „Impression“ die Aspekte der vielschichtigen Beziehungen zwischen den Generationen und ihrer unterschiedlichen Wirkungsweisen auf die Welt auf.
Das Stück steht nicht nur im steten Dialog mit dem Publikum, es ist auch im Dialog mit den Tänzern und dem künstlerischen Team entstanden – ganz so, wie es für die Millenials typisch ist: flache Hierarchien und ein Fokus auf Kommunikation. So vermitteln auch die begleitende Musik und das Bühnenbild eine Idee davon, was ihre jeweiligen Schöpfer mit der Millennium-Generation assoziieren. Sowohl die Mitwirkenden als auch das Publikum werden also aufgefordert, ihre eigenen Antworten zu finden und die im Stück schemenhaft vorgestellten Lösungen zu hinterfragen. „‚Impression‘ ist nicht als Dokumentation, sondern mehr als ein künstlerischer Kommentar zu verstehen“, erläutert Tanzdramaturgin Jenny Mahla.
Ein Kommentar, der einer identitässuchenden Generation die Möglichkeit gibt, innezuhalten, Resonanz im Tanz zu erleben und sich dann erneut zu fragen: Was macht mich eigentlich aus?
von Valerie Gleisner