Jair Bolsonaro wird der nächste Präsident Brasiliens. Minderheiten fürchten um ihre Zukunft
Im Oktober wählten 147 Millionen Wahlberechtigte einen neuen Präsidenten. Nach der ersten Wahlrunde am 7. Oktober kam es am 28. Oktober zur Stichwahl zwischen Fernando Haddad von der sozialdemokratischen Arbeiterpartei PT und Jair Bolsonaro, der für die rechtskonservative populistische Partei PSL angetreten ist. Bolsonaro erreichte sowohl im ersten als auch im zweiten Wahldurchgang die Mehrheit, und wird am 1. Januar sein Amt als Präsident Brasiliens antreten.
Doch der zukünftige Präsident ist höchst umstritten. Internationale Aufmerksamkeit bekam er vor allem durch seine rassistischen, sexistischen, homophoben und generell menschenfeindlichen Aussagen, mit denen er regelmäßig provoziert. Bolsonaro hat sich mehrfach für das Foltern seiner politischen Gegner ausgesprochen, so auch 1999: „Ich bin für Folter. Und das Volk ist auch dafür“, und im Jahr darauf: „Ich verteidige Folter. Ein Drogendealer […] muss sofort auf die Papageienschaukel (Anm.: brasilianisches Folterinstrument, bei dem das Opfer kopfüber aufgehängt wird). In diesem Fall gäbe es keine Menschenrechte. Es gäbe Schläge und die Papageienschaukel. Der Täter muss gebrochen werden, damit er seinen Mund aufmacht.“
Besonders brisant ist, dass Bolsonaro offen die diktatorische Vergangenheit verteidigt: „Ich bin für die Militärdiktatur.“ Ab 1964 herrschte in Brasilien eine nationalistisches Militärregime, das durch einen von den USA gestützten Putsch an die Macht kam und prompt bürgerliche Freiheiten einschränkte. 1967 wurde von der Militärjunta eine neue Verfassung erlassen, Repressionen nahmen zu. Oppositionelle wurden entführt und gefoltert, oft auch ermordet. „Säuberungsaktionen“ standen an der Tagesordnung. 1985 wurden zum ersten Mal nach 21 Jahren freie Wahlen zugelassen, da Brasilien inmitten einer Wirtschaftskrise steckte und der Militärkader keinen Nachwuchs fand.
Keine Verbesserung
Aber auch nach der Demokratisierung steckt Brasiliens Politik in der Krise: 2016 wurde Präsidentin Dilma Rousseff des Amtes enthoben. Sie gehört, ebenso wie der inzwischen legendäre ehemalige Präsident Luiz Inácio „Lula“ da Silva, der Arbeiterpartei an. Nachdem er zwei Amtszeiten absolviert hatte und nicht mehr antreten durfte, empfahl er Rousseff als seine Nachfolgerin in der PT, und mit seiner Unterstützung gewann sie zwei Wahlen. Sowohl Lula als auch Rousseff waren in schwere Korruptionsskandale mit brasilianischen Ölkonzernen und Baufirmen verwickelt. Der Ruf der Arbeiterpartei leidet bis heute. Außerdem schaffte Rousseff es nicht, die wirtschaftlichen Erfolge ihres Vorgängers zu halten. Inflation und der Wertverlust der Währung Real drängte die ohnehin schon kleine Mittelschicht in die Armut.
Im März 2016 stimmte die Opposition für ein Amtsenthebungsverfahren, das mit der Absetzung Rousseffs im August endete. Die ehemalige Präsidentin hat sich seitdem aus der Öffentlichkeit zurückgezogen, Lula wurde wegen Korruption und Geldwäsche zu neuneinhalb Jahren Gefängnis verurteilt.
Bolsonaro, der für Rousseffs Amtsenthebung stimmte, sagte: „Sie (die Linken) verloren 1964, und jetzt verlieren sie auch 2016 wieder. In Erinnerung an Oberst Carlos Alberto Brilhante Ustra, den Schrecken Dilma Rousseffs.“ Ustra war zu Zeit der Militärdiktatur der Chef der Geheimpolizei; unter seiner Führung starben 502 Menschen, noch mehr wurden gefoltert. Rousseff erlitt während der Diktatur als linke Oppositionelle schwere Folter. Für Bolsonaro, der für seine die Diktatur verherrlichenden Aussagen bekannt ist, sind die Toten unter Ustra einfach zu erklären: „Ein Polizist, der nicht tötet, ist kein Polizist.“
Kommunismus und Fake News
Auch jungen Brasilianern, die die Diktatur selber nicht erlebten, fallen die Ähnlichkeiten in der Rhetorik Bolsonaros zur Diktatur auf. So sagt der Jurastudent Henrique aus São Paulo, dass er eindeutige Parallelen zwischen dem Diskurs der Unterstützer und der Verbreitung von Fake News sieht: „Sowohl 1964 als auch 2018 gab es viele Nachrichten über eine neue ‚kommunistische Bedrohung‘ in unserem Land, was einfach nicht stimmt. Keine Partei ist kommunistisch, und Kommunismus stellte nie eine echte Bedrohung dar.“ Kommunisten sind also alle, die sich Bolsonaro entgegenstellen – er bezeichnete selbst die Vereinten Nationen als Kommunisten. Fake News wurden unter anderem über WhatsApp und Facebook verbreitet, tausende Bots bombardierten die Nutzer mit Lügen über die Arbeiterpartei. Diese Bots wurden von Unternehmern finanziert, die sich von Bolsonaro lockere Wirtschaftsregulationen erhofften.
Aber Bolsonaro ist nicht nur ein Verteidiger der Militärdiktatur, sondern hetzt auch gegen sämtliche marginalisierte Gruppen: Frauen, Schwarze, LGBT-Personen, Indigene, Arme – die Liste ist lang. Linken Aktivisten drohte er dieses Jahr sogar mit Säuberungen: „Wir werden sämtlichen Aktivismus in Brasilien beenden“ und „diese roten Gesetzlosen werden von unserem Vaterland verbannt werden. Es wird eine Säuberung, wie man sie in brasilianischer Geschichte noch nie gesehen hat.“ Über eine Abgeordnete des Parlamentes sagte er, dass sie es nicht einmal verdienen würde, von ihm vergewaltigt zu werden, da sie zu hässlich sei. Flüchtlinge aus Syrien, die nach Brasilien kommen, nannte er den „Abschaum der Welt“ und auch über die Bewohner traditioneller schwarzer Siedlungen äußerte er sich abschätzig: „Sie tun nichts. Ich glaube, sie taugen noch nicht einmal zur Fortpflanzung.“ Dies sind nur einige Gründe, weshalb Bolsonaro für viele unwählbar war, die Forderung „Ele não“ (er nicht) ging als Hashtag um die Welt. Der Student Raini aus Rio de Janeiro fragt sich: „Wie sind wir an diesem Punkt angekommen? Wie konnten wir einen offen homophoben, rassistischen, frauenfeindlichen Faschisten zum Präsidenten wählen?“
Für viele Brasilianer bringt die Wahl Bolsonaros konkrete Furcht. Henrique ist schwul und hat inzwischen Angst, seinen Freund auf der Straße zu küssen oder auch nur mit einem Regenbogenbutton herumzulaufen. „Als schwuler Mann fühle ich mich auch persönlich bedroht. Es ist fast so, als würde es nicht nur um rechte und linke Parteien gehen, sondern wirklich um den Konflikt zwischen Demokratie und einer offen authoritären Regierung.“ Seine Angst ist berechtigt: Bolsonaro steht zu Gewalt gegen die LGBT+ -Community, in einem Interview sagt er: „Wenn ich zwei Männer, die sich küssen auf der Straße sehe, dann werde ich sie schlagen.“ 2017 wurden 447 LGBT-Personen in Brasilien ermordet, 30 Prozent mehr als noch 2016.
Gabriela ist lesbisch. Mit ihrer Familie hat sie seit der Wahl Bolsonaros den Kontakt abgebrochen. Ihre Verwandte, die Bolsonaro unterstützen, bedrohten sie, sagten ihr, dass „die Dinge nach der Wahl anders laufen würden“, nannten sie eine dumme Kommunistin, und schickten ihr ein Video, in dem zwei schwule Männer erschossen werden. Einer der Mörder schreit am Ende des Videos „Bolsonaro!“ Dass sie den Kontakt abgebrochen hat, bereut sie nicht. Auch sie hält auf offener Straße nicht mehr Händchen mit ihrer Freundin.
Geteiltes Land
Bolsonaro polarisiert auch an den Universitäten: „Wir können nicht mehr über Politik reden. Bolsonaro ist noch gar nicht Präsident, aber seine Unterstützer haben ihre Repressionen schon begonnen.
Wir haben Angst vor der Zukunft“, so Raini. Victor ist vor allem mit der medizinischen Fakultät seiner Universität frustriert: „Die meisten Professoren wählten Bolsonaro, und denken, dass unsere Menschenrechtsagenda nur so eine „Kommunistensache“ ist. Die Professoren sind Ärzte. Menschen, die sich um andere kümmern sollen, besonders um Arme, um Menschen.“
An brasilianischen Universitäten gibt es die sogenannte „Affirmative Action“: Für Schüler, die aus unterprivilegierten Familien stammen und auf armen, öffentlichen Schulen waren, ist an Universitäten eine gewisse Anzahl an Plätzen reserviert, um durch Bildung die starke Schere zwischen Arm und Reich zu verkleinern. Die Anzahl an Plätzen ist dabei an den Prozentsatz der jeweiligen Minderheit im Bundestaat geknüpft. „Affirmative Action gab vielen armen Studenten die Möglichkeit, ihren Traum vom Studium an einer guten Uni zu verwirklichen, und eine gute Bildung zu erhalten,“ so Fernanda aus Rio. Sie befürchtet auch eine schleichende Militarisierung von Bildungsinstituten. So soll militärische Disziplin Einzug in den Schulalltag erhalten.
Raini ist indigener Abstammung und studiert Biologie. Er macht sich besonders um die Umwelt Sorgen, denn Bolsonaro als extrem Neoliberaler ist dezidiert gegen jeden Umweltschutz. „Er will Nationalparks auflösen und Institutionen, die sich den Naturschutz auf die Fahne geschrieben haben, auflösen. Der Amazonas ist bedroht, und Umweltschutz ist offensichtlich nicht Bolsonaros Plan, da das gegen die wirtschaftliche Nutzung des Regenwaldes geht“, so Raini.
Victor fasst die aktuelle Lage zusammen: “Wir hatten noch nie so viele Fake News, so autoritäre und faschistische Reden, Aggressionen, Vorurteile, Ignoranz und Gewalt generell, seit wir vor über 30 Jahren zur Demokratie wurden. Ich hoffe, dass alle meine Ängste unberechtigt sind, und es keine zweite Militärdiktatur geben wird. Ich hoffe, dass wir überleben.“
Von Hannah Steckelberg