Die Aufarbeitung der Kolonialvergangenheit rückt in Heidelberg zunehmend in den Fokus, zuletzt mit einem Stadtrundgang am 24. November. Sollten kolonialgeschichtlich belastete Straßennamen umbenannt werden?
Hier sollte eigentlich ein Contra stehen. Warum sich aber niemand klar dagegen aussprechen wollte, und welche Gegenargumente es dennoch geben könnte, erklärt ruprecht-Redakteur eeb.
Trotz dreiwöchiger Recherche und mehreren Personen sowie Institutionen, die wir angeschrieben haben, hat sich niemand finden lassen, der sich eindeutig und fristgerecht zu dieser Frage positionieren wollte – das könnte daran liegen, dass sie angesichts der deutschen Vergangenheit ein heißes Eisen ist. Es ist an sich kein Problem, wenn man eindeutig belastete Persönlichkeiten aus dem öffentlichen Raum entfernt, doch die Schwierigkeit mit dieser Form von Vergangenheitsbewältigung ist, dass sie ins Unendliche laufen kann: Zur Liste der problematischen Persönlichkeiten der Freiburger Kommission zur Überprüfung von Straßennamen gehörte auch der Botaniker Carl von Linné, dessen Frauenbild kritisiert wird. Dass die Aufarbeitung in unserer Gesellschaft fehlt, ändert man aber nicht dadurch, dass man Namen aus dem Stadtbild entfernt – im Gegenteil: Man unterbindet sie. Zur Aufarbeitung gehört, dass wir unseren Umgang mit diesen Persönlichkeiten überdenken.
These 1: Mit der Benennung einer Straße nach einer Person ist in erster Linie eine Würdigung verbunden.
Nein, das muss nicht unbedingt stimmen. Mit der Benennung kann nicht nur eine Würdigung verbunden werden, sondern auch ein Hinweis auf die Persönlichkeiten, die das Land geprägt haben – im guten wie im schlechten. Historische Persönlichkeiten wie Martin Luther, Immanuel Kant und Johann Gottlieb Fichte werden in erster Linie mit ihrem Lebenswerk verbunden und nicht mit ihren rassistischen Äußerungen. Selbst Wagner war an erster Stelle nicht ein Antisemit, sondern ein Komponist, dessen Werk bis heute von vielen Menschen bewundert wird. Selbstverständlich gibt es Extremfälle: Das sind beispielsweise diejenigen, bei denen offensichtlich ist, dass die genannten Persönlichkeiten ausschließlich mit Kolonialverbrechen in Verbindung gebracht werden.
These 2: Für eine Umbenennung reicht es nicht aus, dass sich eine Minderheit diskriminiert fühlt.
Die Umbenennung von Straßennamen löst allerdings nicht die Ursache von strukturellem Rassismus, sondern nur deren Symptome – und die auch nur, wenn mit Straßennamen überhaupt eine Würdigung verbunden ist. Straßennamen können in Verbindung mit Hinweisschildern aber auch eine andere Funktion einnehmen: die der Aufklärung. Eben gerade die Tatsache, dass ein Teil der Gesellschaft die Verbrechen der deutschen Kolonialvergangenheit schlicht vergessen hat, sollte darüber zu denken geben, ob wir wirklich die Namen dieser Persönlichkeiten aus dem öffentlichen Raum entfernen wollen. Schließlich würde gerade eine Umbenennung dazu beitragen, dass wir die deutsche Kolonialgeschichte völlig vergessen – die Frage ist bloß, wie wir die Erinnerungskultur gestalten wollen und ob wir den Opfern ebenfalls Platz im öffentlichen Raum geben wollen.
These 3: Die Umbenennung einer Straße ist ein unverhältnismäßig großer organisatorischer Aufwand.
Die Stadt Freiburg musste 2016 Kosten im sechsstelligen Bereich bewältigen, nachdem die Alban-Stolz-Straße umbenannt wurde. Anwohner müssen nicht nur Personalausweis und Führerschein korrigieren lassen, für die Recherchen zu den Straßennamen, die Aufbereitung des Materials und der Online-Dokumentation gab die Stadt rund 50 000 Euro aus. Freiburg ist die erste deutsche Stadt, in der eine Kommission eine umfassende Bewertung von Straßennamen vornahm und nicht beim Nationalsozialismus stehen geblieben ist, sondern auch Chauvinismus oder Kolonialismus miteinbezog. Der Aufwand für all die Umbenennungen dürfte schnell in die Höhe steigen. Für den Entscheid der Umbenennung eines Platzes in Münster wurden allein schon 285 000 Euro ausgegeben. Die Straßenumbenennung ist damit im Vergleich zum gesellschaftlichen Nutzen definitiv kein verhältnismäßiger Beitrag.
Von Eduard Ebert