50 Jahre nach den 68ern weht ein Hauch Rudi Dutschke durch die Mitte der Gesellschaft – versteckt im „TransitionHaus“, hinter einem Fußballplatz und Bahngleisen
Es ist Samstagmorgen. Am Rande Rohrbachs sitzt eine Gruppe auf der Couch und frühstückt. Nebenbei besprechen sie den Ablauf des Abends: Wer bringt die Getränke? Wer räumt danach den ganzen Dreck weg? „Wenn jemand Öl und Essig hat, kann ich noch einen Kuchen backen“, sagt Simon. „Wird das dann nicht eher ein Salat?“ Alle lachen. Was wie die Vorbereitung einer WG-Party wirkt, ist die letzte Einsatzbesprechung für die Eröffnung des „TransitionHaus“.
Das ist Teil eines Konzepts namens „TransitionTown“, einer Idee des Engländers Rob Hopkins. Die Devise: Bau dir deine eigene Stadt der Zukunft, zentrale Kriterien: Nachhaltigkeit und Klimaschutz. Die ersten Follower hatte sie in englischen Kleinstädten, deren lokale Wirtschaft nicht mehr lief. In der Folge schlossen sich zahlreiche Läden zu einer regionalen Währungsunion zusammen. Mit deren Geld erhält man nun Produkte aus der Umgebung und fördert damit die Hersteller. Transition nach Hopkins heißt aber auch: Du musst nicht gleich die Weltwirtschaft in Angriff nehmen! Tu etwas für dich, lern dazu und änder‘ was – am besten zuallererst eine Kleinigkeit in dir selbst. Es gibt kein festes Konzept, das Townler anderen aufdrücken wollen – stattdessen stehen Hopkins Kriterien im Vordergrund. Dementsprechend wundert es nicht, dass der Heidelberger Ableger andere Projekte plant als die Engländer: Im Sommer mietete Simons Gruppe ein Grundstück und renovierte das darauf stehende Haus. Das soll nun zum lokalen Lern- und Begegnungsort werden – für alle, die nach anderen Wegen des Umgangs mit der Natur suchen als die neue ALDI-Werbung.
Gefördert wurde das Ganze vom Bund – mit 150 000 Euro. Am 1. Dezember wurde offiziell zur Eröffnung eingeladen. Zunächst mal mussten diejenigen, die das Haus finden wollten, aber schon auf die Nummern der Nachbarhäuser gucken, denn das Gebäude stammt nicht nur aus den Sechzigern, sondern ist auch so versteckt wie die Ideen der damaligen Generation. Eingepfercht zwischen Fassaden reaktionärerer Fertighäuser liegt es hinter Fußballplatz und Bahngleisen, eigentlich mehr in Rohrbach denn Kirchheim. Vor der Haustür hängt ein rotes Band, upgecycelt.
An die 40 Leute sind zur Eröffnung gekommen – bis zum Ende des Tages werden es fast hundert gewesen sein. Unter ihnen Alt und Jung: Thomas, erfahrener Arzt, ist ebenso da wie Fahrradpfleger Felix und Aris, vielleicht bald Student.
Alle gemeinsam erhalten zur Begrüßung eine Idee davon, dass Nahrung nicht um den ganzen Globus geschippert werden muss, um schmecken zu können: Neben selbstgepresster Apfelschorle gibt es Kuchen – auch Simon hat seinen rechtzeitig fertig bekommen. Der ist Veganer und steht nun unter anderen im Eingangsbereich des Hauses, wo auch die Küche ist. „Es schmeckt sehr frisch“, sagt eine Teilnehmerin und nimmt sich vom Buffet. Während für die meisten die Hausführung beginnt, erkundet sie das Gelände auf eigene Faust und landet prompt in einem der Hinterzimmer. Hier haben Engagierte eine Kleiderbörse aufgebaut. Wer will, kann eigene Teile mitbringen und sie gegen welche aus der Börse eintauschen. So wird Shopping möglich, ohne noch mehr Schadstoffe zu produzieren.
Im Laufe des Tages zeigen die Koordinatoren weitere Einsatzmöglichkeiten des Hauses: Kinoabend mit selbstgemachtem Popcorn, Nähkurs und im Garten gibt es sogar einen großen Ofen. Am Abend wird der Gemeinschaftsraum zur Tanzfläche umfunktioniert, es gibt Impro-Theater und DJ. Durch die Flexibilität des Hauses sind den Möglichkeiten nur wenig Grenzen gesetzt – und so lädt Koordinator Marco alle ein, die auch „ein Interesse daran haben, mit uns eine klima- und ressourcenschonende Lebensweise zu entwickeln“, sich hier zu verwirklichen. Er selbst ist früher täglich im Anzug über die Autobahn gejagt, unter anderem als Vertrauensmann für die Industrie. Heute fährt er Fahrrad und liebt Simons Kuchen. Transition kann so einfach sein.
Von Martin Herrmann