Literaturkritiker Ijoma Mangold erzählt in seinem ersten Buch von einem außergewöhnlichen Leben in totaler Normalität
Der gebürtige Heidelberger Ijoma Mangold ist Literaturkritiker bei der ZEIT und hat im vergangenen Jahr sein erstes Buch „Das deutsche Krokodil“ veröffentlicht. Am Mittwoch, den 14. November 2018, war der Autor zu Gast im Karlstorbahnhof zu einer vom Kulturverein Querfeldein Heidelberg e.V. organisierten Lesung. Sein Buch erzählt autobiographisch vom Leben des 42-Jährigen.
Ijoma Mangold wuchs in Dossenheim bei Heidelberg als Sohn einer alleinerziehenden Mutter auf. Sein Vater, der aus Nigeria stammt, ging dorthin zurück, als sein Sohn neun Monate alt war. Zuvor hatte er Medizin in Heidelberg studiert. Hinterlassen hat er seinem Sohn lediglich „sein Aussehen und den seltsamen Vornamen“, so erzählt Mangold. Damit gemeint sind seine dunkle Hautfarbe und die wuscheligen schwarzen Locken auf seinem Kopf. Mangold berichtet mit ruhiger, dennoch eifriger Stimme von seinen Kindheitstagen. Er sei behütet aufgewachsen, in einem Umfeld, wie es gewöhnlicher kaum hätte sein können. Seine Kindheit sei eine Glückliche gewesen, mit Vorurteilen oder Rassismus habe er sich nie konfrontiert gesehen, im Gegenteil, die meisten Leute seien gerade von seiner Frisur und seinem Hintergrund stets fasziniert und begeistert gewesen. Dennoch habe er sich immer anders gefühlt als der Rest seines Umfelds. In seinem Buch erzählt Mangold diverse Anekdoten aus seiner Kindheit und Jugend, aber auch aus seinem späteren Leben. Der Titel sei eine Anspielung auf eine hölzerne Krokodilfigur, die im Haus der Mangolds als eine Art Relikt an den nigerianischen Vater erinnern soll.
Er selbst habe während des Schreibprozesses vieles über die Fähigkeit des Erinnerns gelernt. Gerade für das erste Kapitel musste sich der Autor in seine früheste Kindheit zurückdenken. Erinnerung müsse aktiviert werden, sie sei nicht wie ein Bücherregal, aus dem man zu jedem Zeitpunkt beliebig alles herausziehen kann. Für dieses Aktivieren gebe es laut Mangold nichts Besseres als das Schreiben. „Ich hatte das Gefühl, mein Leben kehrt zurück“, berichtet er.
Doch Mangold wollte aus seinem Buch auf keinen Fall eine Psychoanalyse werden lassen, es ginge ihm nicht darum, sich etwas von der Seele zu reden, betont er in seiner Lesung. Vielmehr sei sein Ziel gewesen, etwas Erzählendes zu schreiben, ein Epos über die verschiedenen Abschnitte seines Lebens. Seinen Vater lernte Ijoma Mangold erst mit 22 Jahren kennen. Nach anfänglichem Widerwillen habe er den von seinem Vater ausgehenden Kontakt angenommen. Wie sich herausstellte, hatte der Arzt große Pläne für seinen Sohn: Er solle in Nigeria sein Nachfolger als Chef eines großen Krankenhauses werden. Dass er diesem Wunsch nicht folgte, habe sein Vater wohl nie richtig nachvollziehen können, erzählt Mangold, dennoch hätten die beiden ein gutes Verhältnis entwickelt. Mangold beendete sein Studium der Literaturwissenschaft in München, arbeitete unter anderem für die Süddeutsche Zeitung und ist heute Literaturkritiker und stellvertretender Leiter des Feuilletons der Wochenzeitung die ZEIT. Was er an seiner Studentenzeit vermisse? „Ich kann nicht mehr so viel rauchen und trinken wie früher“, lacht er. Das typische Studentenleben habe sich mit einem schmalen Geldbeutel in München allerdings nicht ganz so gut realisieren lassen. Das sei in Berlin, wo der Autor später hinzog und auch heute noch lebt, einfacher gewesen. Zur Stadt Heidelberg, die Mangold zum Studieren verließ, habe er noch immer ein sehr inniges und wehmütiges Verhältnis. Seit 2010 seine Mutter verstorben ist, komme er immer wieder in die Stadt zurück, erzählt er. Neben seiner Arbeit, für die er jede Woche neue Bücher rezensiert, hat er sich nun für sein Buch zum ersten Mal in die Rolle des Autors begeben.
Nachdem Mangold Einblicke in einige Kapitel gegeben hatte, beantwortete er Fragen vonseiten des Publikums. Besonders zu seinem Familienhintergrund und zum Thema Rassismus gab es davon einige. Manchen Lesern ist Mangold zu unkritisch gegenüber Vorurteilen und verpasse damit die Möglichkeit, die gesellschaftliche Situation kontrovers zu diskutieren. „Ich habe Deutschland nie als rassistisch wahrgenommen“, sagt Mangold. Seine Perspektive sei somit keine, die eine große Diskussion auslösen solle.
In Bezug auf die Politik bezeichnet sich der Autor als ein leidenschaftlicher Pluralist. Mit Rechten reden? „Ja!“, ist Mangolds klare Antwort auf diese Frage, denn kein Thema dürfe totgeschwiegen werden. In der Politik gibt es ihm zufolge keine eindeutig gute und böse Seite. Der Dialog sei gerade deshalb von größter Bedeutung. Als Autor und Journalist möchte Mangold jedoch politisch lieber in der Beob-
achterposition bleiben.
„Die, die für eine Sache kämpfen, sind selten die, die sie am besten beschreiben“, sagt er. Eine spannende Lesung mit Ijoma Mangold endete im Karlstorbahnhof nach zwei Stunden voller Humor, literarischer Vielfalt und angeregtem Dialog.
von Pauline Roßbach