Die Geschichte des Verrats ist bekannt – doch wer war der Mensch hinter dieser Tat? Samuel Koch tritt als Judas in einem Monolog im Nationaltheater Mannheim zur Verteidigung des zwölften Jüngers an. Ein Gespräch über Glauben, Zweifel und den Weg zur Schauspielerei
Die Bühne liegt im Dunkeln. Nur ein schwacher Scheinwerfer ist auf einen Punkt im oberen Teil gerichtet. Während die Zuschauer sich noch in ihren Sitzen arrangieren und murmelnde Gespräche führen, wird schlagartig eine Person nahe der Decke sichtbar. In der plötzlichen Stille betrachten sich Publikum und Schauspieler gegenseitig.
Samuel Koch, der einzige, der in dem Stück „Judas“ auftreten wird, befindet sich an Seilen gehalten, in einem Stuhl sitzend, über der Bühne.
In den letzten Jahren erhielt er viel mediale Aufmerksamkeit. Er wurde bekannt als der Sportler, der bei „Wetten dass…“ alles riskierte, um nicht auf den Titel „Wettkönig“ verzichten zu müssen. Seit seinem Unfall in dieser Show, musste er sich Hindernissen und großen Veränderungen in seinem Leben stellen. Trotzdem scheint er seinen herausfordernden Weg zu meistern. Vor seinem Auftritt traf er sich mit dem ruprecht zu einem Gespräch.
Du bist vor kurzem von Darmstadt nach Mannheim gezogen. Wie gefällt es dir bisher?
Ganz gut. Leider habe ich noch gar nicht so viel gesehen, außer dem Theater und Probenräumen. Ich bin gerade noch mitten im Umzug.
Du bist ja jetzt fester Bestandteil des Ensembles in Mannheim. Was hat dich an Judas, also der Rolle die du gleich aufführen wirst, fasziniert?
Erst einmal kamen die Dramaturgieabteilung und der Schauspielintendant auf mich zu und haben mich gefragt ob ich das Stück mal lesen will und ob ich mir das vorstellen könnte. Dann hab ich das gelesen und mir überlegt und hab es abgewogen. Warum? Ich fand es nach wie vor zeitgemäß, vielleicht sogar heute besonders. Und diese Thematik der biblischen Geschichte, die dahintersteckt, ist mir gar nicht so fremd. Ein Solo-Abend wie dieser Monolog ist natürlich eine Herausforderung. Ich hatte und habe noch immer viel Respekt davor. Aber ich hab erstmal gesagt, das probier ich.
Bist du jetzt vor deinem Auftritt nervös?
Ja voll.
Hast du dann ein Ritual bevor du auf die Bühne gehst, zum Beispiel einen Song, den du hörst?
Nö, Song hab ich nicht. Ich geh meine Texte durch und mache ein bisschen meinen Körper und meine Lunge und meinen Geist fit
Du hast ja jetzt andere Herausforderungen als deine Kollegen. Wie gestaltest du deinen Auftritt? Wie nimmst du die Bühne ein? Obwohl wir es ja auch gleich sehen werden.
Vielleicht werdet ihr es sehen, vielleicht scheitert es auch. Natürlich bediene ich mich einiger theatralischer Hilfsmittel, zum Beispiel wird es Videoprojektionen geben. Sonst ist mein Auftritt natürlich relativ reduziert – auf Sprache und Gedanken. Aber teilweise geht der Monolog auch in einen Dialog mit den Zuschauern über. Was dann noch einmal eine direktere Kommunikation sein kann um die Leute zu erreichen.
Und dieser Dialog entsteht dann spontan oder wie funktioniert das?
Mal gucken. Es kommt darauf an, wie die Zuschauer reagieren.
Gebt ihr euch auch gegenseitige Kritik?
Auch. Ich fordere das auch gerne ein um sich zu optimieren und zu verbessern. Und natürlich lernt man noch viel von Produktion zu Produktion, wenn man will. Auch in der Arbeit mit dem Regisseur, aber das meiste doch in der Arbeit und Zusammenarbeit mit anderen Schauspielern. Während meines Schauspielstudiums hatte ich recht viel Kontakt gehabt mit Ulrich Matthes, einem Schauspieler am Deutschen Theater in Berlin und sonst habe ich noch immer ganz guten Kontakt zu verschiedenen Dozenten, mit denen ich mal mehr, mal weniger an Sachen gefeilt habe.
Wolltest du schon immer Schauspieler werden oder gab es auch einen Plan B?
Ne, im Gegenteil. Es war mein aller erster Antiberufswunsch, Schauspieler zu werden. Ich hatte das erste Mal so mit 12 oder 13 Schauspielunterricht. Und fand das grauenvoll. Mit wildfremden Mädchen im Kreis zu latschen, und die Kameras, die auf einen gerichtet sind und sich so pseudo-melancholische Blicke zuzuwerfen und mit kitschiger Titanic-Musik.
Eine Maskenbildnerin und Samuels Assistent kommen in die Maske. Für den Auftritt sollen schwarze Kontaktlinsen eingesetzt werden. Es braucht mehrere Anläufe und Versuche bis die Maskenbildnerin fragt, ob Samuel eine Pause brauche. „Nein. Attacke!“, antwortet er. Schließlich sitzt die rechte Linse. Wir kehren zum Gespräch zurück.
Ich habe dann gesagt, ich will niemals Schauspieler werden. Das war nie mein Traumberuf. Ich bin da eher so reingerutscht und hängen geblieben.
Unsere Interviewzeit geht zu Ende. Samuel muss in die Garderobe und sich vorbereiten, die linke Kontaktlinse fehlt noch immer. „Wir können ja nach dem Stück weiterquatschen“, sagt er zum Abschluss
Der Monolog „Judas“ der Autorin Lot Vekemans greift die biblische Figur des Judas als Verräter und Mörder auf, und versucht ihm ein menschliches Gesicht zu geben. Das Umherziehen mit den Jüngern, die Freundschaft zu Jesus sowie sein unerschütterlicher Glaube an diesen als göttlichen Erlöser, sind Thema des Stückes. Wut, Zweifel und Trauer angesichts des Tods Christi werden von Samuel Koch in eindrucksvoller Weise verkörpert und durch Videoprojektionen seines Gesichts verstärkt. Während des Sprechens wird Koch langsam auf einer Art Tribüne in die Unterbühne gesenkt und ist so bei den finalen Worten nur noch mit seiner Stimme anwesend. Aufgebrochen wird der Monolog durch Sequenzen, in denen der Zuschauerraum beleuchtet wird, wobei das Publikum direkt angesprochen und einbezogen wird. Durch subtile Fragen gibt Judas so die Schuldfrage an die Zuschauer weiter. Dies beginnt im Kleinen mit der Suche nach einer Person, die ihr Ticket nicht bezahlt hätte und endet anklagend in dem Vorwurf, dass niemand seinen Namen für Judas hergeben würde. Zu missverstanden und instrumentalisiert sei die Figur des 12. Jüngers. Denn eigentlich führte er nur die Anweisungen Jesu aus und glaubte zudem nicht daran, dass das Volk ernsthaft dessen Tod wünschen würde. Erst durch die Kreuzigung, formuliert Judas drastisch, sei eine Judenverfolgung möglich geworden – wäre Jesus als alter Zimmermann friedlich gestorben, gäbe es „kein Gas, kein Auschwitz“. Samuel Koch verkörpert Judas als komplexe Person, zwischen Reue und dem Versuch sich und seine Tat zu verteidigen. Am Ende des Stückes, geschrien von unterhalb der Bühne, bleibt nur sein Stolz: „Ich bin Judas. Ich bin Judas“, wiederholt er bis der Vorhang fällt.
In einem sich anschließenden Nachgespräch haben die Zuschauer die Möglichkeit, Fragen zu stellen:
Hat sich durch die Beschäftigung mit dem Stück Ihr eigener Glaube verändert?
Nein, dann wäre mein Glaube sehr klein, würde ich intuitiv sagen. Judas war mir natürlich irgendwie bekannt, so wie ein Klassenkamerad, der zwei Stühle weiter sitzt. Durch die eingehende Beschäftigung mit ihm ist er zu jemandem geworden, mit dem ich mich auch privat treffen würde. Ich würde nicht sagen, dass das meinen Glauben verändert hat. Wobei man auch Veränderung definieren müsste. Er hat meinen Glauben viel mehr bereichert.
Ich fand es schade, dass Judas am Ende versunken ist. Hätte er nicht emporsteigen können?
Das ist eine logistische Sache – oben gibt es keinen Graben, in dem man verschwinden kann. Es war außerdem eine Entscheidung der Regie, auch als Assoziation mit der Hölle. Aber Sie haben Recht, eigentlich rehabilitiert sich Judas während des Monologs: Zuerst sagt er „Ich war stolz auf meinen Namen“, am Ende „Ich bin stolz“. Ihn aufsteigen zu lassen, würde auch Sinn ergeben.
Wieso wird in dem Stück Judas eigentlich so blass und mit Glatze dargestellt?
Wenn man nach Bildern von Judas sucht, sieht man oft Personen mit roten Haaren. Aber hier hat sich die Maske überlegt‚ wie jemand aussehen würde, der 2000 Jahre so rumsitzt.
Finden Sie, dass so alte biblische Geschichten und Charaktere noch immer aktuell sind?
Vielleicht heute mehr denn je. Wenn man sich die politische Situation anschaut – die ideale Krippe für manche Menschen in Deutschland im Jahr 2018 wäre leer, ohne Juden, ohne Afrikaner, ohne Fremde.
Wieso war der Judas-Kuss als Erkennungszeichen notwendig? Alle kannten Jesus doch.
Ich habe mich das als Kind auch gefragt. Heute gebe ich mir dafür eine sehr simple Erklärung. Damals war es anders mit der Popularität. Da gab es keine Medien, kein Instagram. Da wusste man nicht unbedingt, wie jemand Bekanntes aussieht. Deshalb war ein Erkennungszeichen notwendig. Und so wurde Judas mit dem Kuss zum Sündenbock, weil Menschen immer nach einem Schuldigen suchen.
Am Ende des Gesprächs kommen viele Zuschauer auf den Schauspieler zu, um sich persönlich zu verabschieden. Auch wir unterhalten uns noch ein paar Minuten. „Ich hoffe ihr habt alles was ihr braucht. Schade, dass die Zeit so kurz war.“
Das Gespräch führten Selina Demtröder und Nele Bianga