Rechtsextremer Terror ist schon lange kein Randphänomen mehr, findet Tanjev Schultz. Der Autor im Gespräch über die Strukturen rechter Netzwerke, den Fall um Beate Zschäpe und die Konsequenzen für Politik und Gesellschaft
[box type=“shadow“ ]Dr. Tanjev Schultz ist Professor für Journalismus an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Zuvor arbeitete er über zehn Jahre als Redakteur bei der Süddeutschen Zeitung, vor allem schrieb er über innenpolitische Themen mit Schwerpunkten wie Bildungspolitik, Innere Sicherheit, Geheimdienste, Extremismus und Terrorismus. Für seine Texte wurde er mit mehreren Preisen ausgezeichnet. An der Freien Universität Berlin, der FernUniversität in Hagen und an der „School of Journalism“ der Indiana University in Bloomington (USA) studierte Schultz Philosophie, Psychologie, Kommunikationswissenschaft, Politikwissenschaft und Germanistik. Später promovierte er an der Universität Bremen in Politikwissenschaft zum Thema „Geschwätz oder Diskurs? Die Rationalität politischer Talkshows im Fernsehen“ zum Doktor der Staatswissenschaften. Sein Buch „NSU: Der Terror von rechts und das Versagen des Staates“ erschien im August 2018 im Droemer Verlag. [/box]
Bevor Sie nach Heidelberg gekommen sind, haben Sie Ihr Buch in Paris vorgestellt. Welche Reaktionen haben Sie erlebt?
In Frankreich ist der Blick weniger auf die deutsche Entwicklung gerichtet, viele Franzosen kennen den NSU-Fall gar nicht. Aber auch durch Gespräche in Amerika habe ich ähnliche Reaktionen erhalten, die Menschen sind dann oft überrascht, was in Deutschland passiert ist. Das Thema wurde 2011 nur kurzzeitig thematisiert, aber danach haben sie nicht mehr viel davon gehört.
Ist ein ähnlicher Fall wie der Fall des NSU in anderen Ländern denkbar?
Ja, leider ist das vorstellbar. Die deutsche Neonaziszene ist international sehr stark vernetzt, beispielsweise nach Tschechischen, die Schweiz oder Polen.
Der Veröffentlichungstermin Ihres Buches wurde immer wieder verschoben. Lag das nur an der Dauer des Prozesses oder gab es dafür noch weitere Gründe?
Es bestand die Möglichkeit, das Buch auch früher zu veröffentlichen, aber wir haben uns dann entschieden, wie ich finde richtig, das Buch erst nach der Urteilsverkündung herauszugeben. Wir wollten abwarten, sich Dinge entwickeln, das Urteil und auch, was beispielsweise Beate Zschäpe noch zu sagen hatte. Untersuchungsausschüsse liefen noch und laufen teilweise immer noch – letztlich kann man nie warten bis die Aufklärung des Falls ganz fertig ist, ich befürchte sie wird womöglich nie ganz abgeschlossen sein.
Zum NSU hat es einige Ermittlungsausschüsse gegeben. Wie sehen sie die Aufklärungswilligkeit der Beteiligten?
Die Untersichungssausschüsse haben insgesamt durchaus erfolgreiche Arbeit geleitet und zur Aufklärung beigetragen, dafür sind sie zu würdigen. Sie waren aber nicht alle gleichermaßen erfolgreich, weil die Konstellationen sehr unterschiedlich waren. Im Bundestag haben die verschiedenen Fraktionen jenseits der politischen Lager sehr gut zusammengearbeitet, aber es gab zum Beispiel in Hessen eine starke Frontstellung zwischen Opposition und Regierungsfraktion. In Sachsen war es auch schwierig, seit die AfD dort vertreten ist, man hatte nicht den Eindruck, dass die Auklärung überall mit dem selben Ernst erfolgte.
Ein Fakt ist, dass zu lange in die falsche Richtung recherchiert (und ermittelt) wurde. Es ist oft die Rede vom „multiplen Staatsversagen“ oder auch „Behördenversagen“. In einem Interview haben Sie in diesem Zusammenhang auch von „Sabotage“ gesprochen. Können Sie das etwas ausführen?
Es gibt Fälle, da kann man definitiv von „Sabotage“ reden, Ämter standen sich gegenseitig absichtlich im Weg und wollten dem anderen nichts gönnen, um eigene Quellen zu schützen.
Das ist auch einer der zentralen Gründe dafür, dass im gesamten NSU-Komplex nicht klar war, wie man die Lage einschätzen kann. Vor allem der Verfassungsschutz kommt da besonders schlecht weg. Ich würde es als „Ämterwirrwarr“ bezeichnen, aber es gab auch rassistische Ober- und Untertöne bei der polizeilichen Ermittlung der Mordserie. Das führte dazu, dass die Opferfamilien kriminalisiert wurden ohne dass man auf die Ídee gekommen wäre, es könnte sich um rechtsextreme Terroristen handeln. Hinzukommen menschliche Pannen und Schwächen, bis hin zu einer möglichen Kumpanei zwischen einzelnen Beamten und der rechtsextremen Szene.
Was spricht für die Theorie, dass es mehr Mitglieder gab als nur das Trio?
Es gibt Beweise dafür, dass es sehr viele Helfer gab – gerade bei der logistischen Hilfe, beim Untertauchen oder Beschaffen von Tarnpapieren und Geldspenden. Einige wenige Helfer sind auch dafür verurteilt worden, aber andere Taten sind schon verjährt oder Spuren wurden nicht weiter strafrechtlich verfolgt. Die Frage steht noch im Raum, ob es mögliche Komplizen gab im Sinne von Mitwissern bei den Morden. Und gibt es Komplizen jenseits des Trios, die in die Mordpläne eingeweiht waren? Das ist bisher nicht oder schwer nachzuweisen.
Wie haben Sie die Berichterstattung über Beate Zschäpe wahrgenommen?
Am Anfang ist sie besonders von Boulevardmedien mit Blick auf Äußerlichkeiten thematisiert worden – welche Frisur trägt sie und andere Dinge bis hin zu Begriffsschöpfungen der Bildzeitung, wie die „Nazibraut“. Das führt zu einer starken Personalisierung der ganzen Geschichte des NSU Terrors. Ich halte das für ein Problem, sodass ich in meinem Buch eher wenig über Beate Zschäpe schreibe. Mir geht es vielmehr um die Strukturen, wie der NSU agieren konnte und um die Rolle der Behörden.
Sind die Angehörigen der Opfer in Ihrer Wahrnehmung zu kurz gekommen?
Auch wenn viele enttäuscht sind über den Ausgang des Prozesses und dass noch zu wenig aufgeklärt wurde, ist es trotzdem eine wichtige Funktion, dass die Opfer und deren Angehörige ein Forum bekommen haben. Und dass sie auch ein offizielles Zeichen erhalten, indem sie rehabilitiert werden von der Justiz, gerade weil sie zuvor in Verdacht geraten waren und darunter sehr gelitten hatten.
Zeigen die Fälle des NSU oder der Fall Anis Amri, dass der föderale Staat an seine Grenzen gerät?
Ja, leider. Es stellt sich nur die schwierige Frage: Was ist die Lehre daraus? Man könnte jetzt sofort sagen, weg mit dem Föderalismus im Sicherheitsbereich, aber ist es so einfach? Ein zentralistisches System, wie es Frankreich beispielsweise ist, hat seine eigenen Probleme, auch im Sicherheitsapparat. Es ist dann zu befürchten, dass sich die Macht zu sehr auf eine Stelle konzentriert, sodass es kein machtbalancierendes Korrektiv mehr gibt. Es ist in der BRD zudem eine Lehre aus der Zeit des Nationalsozialismus, dass man eine Trennung zwischen Nachrichtendiensten und der Polizei vornimmt – ein System aus „checks and balances“.
Der Fall Anis Amri offenbart die Schattenseiten unseres Systems, gerade in Bereichen, in denen Informationen nicht richtig ausgetauscht werden.
Und was schlagen Sie vor?
Das setzt nicht nur bei den Sicherheitsbehörden an, das betrifft die gesamte Gesellschaft. Ich sehe vor allem die Schulen und Lehrer in der Pflicht, politische Bildung zu vermitteln, damit junge Leute nicht empfänglich werden für terroristische Ideologien. Das geht aber auch bis weit in die politische Kultur rein, wenn beispielsweise CSU-Politiker vom „Asyltourismus“ reden, dann entsteht eine bestimmte Sprachkultur, die nicht förderlich ist und am Ende den Militanten hilft.
Und auch die Mentalität muss sich in den einzelnen Sicherheitsbehörden ändern, wie der Fall Hans-Georg Maaßen (Anmerkung: ehemaliger Präsident des Amtes für Verfassungsschutz) wieder gezeigt hat. Wir müssen ganz andere Leute in die Polizei- und Verfassungsschutzbehörden bekommen.
Sie haben über sechs Jahre zum NSU recherchiert. Wie haben Sie die enormen Daten- und Informationsmengen bewältigt bekommen? Wie war Ihre Vorgehensweise für das Buch?
Wir haben uns für die Begleitung des Prozesses in der Süddeutschen Zeitung als Team organisiert. Für meine Monografie habe ich das Schreiben und Ordnen dann natürlich selbst gemacht. Man muss sehr viel recherchieren, gerade auch kleine Details, die dann letztlich nur in einer Fußnote vorkommen. Die Fülle an Personen, Gremien und der lange Prozess machen es schon sehr schwierig die Übersicht zu behalten – und dafür benötigt man unheimlich viel Zeit.
Hat diese Arbeit mit Ihnen etwas gemacht?
Viele Dinge werden mir vermutlich immer im Gedächtnis bleiben. Aber man entwickelt mit der Zeit dazu auch eine professionelle Haltung als Journalist. Empathie muss man haben bei diesem Thema, aber darf dabei den kühlen Kopf nicht verlieren, gerade wenn man bestimmte Beweise und Belege suchen und einordnen muss.
Was bewirken Ihrer Meinung nach Filme wie Fatih Akins Kinofilm „Aus dem Nichts“ (2018) oder die TV-Trilogie der ARD „Mitten in Deutschland“ (2016)?
Manche Filme tragen zur Aufklärung bei und erhöhen die Sensibilität für das Thema und erreichen auch ein breites Publikum und können zudem ein Bewusstsein schaffen, wie der Film von Fatih Akin, der meines Erachtens sehr gut umsetzt ist. Er führt vieles zusammen in einem fiktionalen Plot, was meine Erfahrungen widerspiegelt, die ich als Beobachter und Rechercheur nachvollziehen kann ohne dass dabei zu sehr gesagt wird, so und so muss es passiert sein.
Aber hingegen die ARD-Trilogie, vor allem der dritte Teil „Die Ermittler – Nur für den Dienstgebrauch“, halte ich für weniger hilfreich. Diese führt zu Verwirrung und einer Art Desinformation. Der Grund dafür ist, dass zu diesem Zeitpunkt viele Ermittlungen noch nicht geklärt waren und die Zuschauer haben einen verschwörungstheoretischen Brei serviert bekommen. Dann kann es passieren, dass viele Zuschauer den Schluss ziehen, es wird immer alles vertuscht und dass man im Grunde gar nichts weiß. Es hat viele skandalöse Momente in diesem Fall und Verfahren gegeben – das ist Fakt, aber bei diesem Film wird einfach alles auf haltlose Weise zusammengewürfelt.
Kann man aus den Lehren des NSU auch etwas Positives abgewinnen?
Die Hoffnung ist, dass beispielsweise der Generalbundesanwalt und die Behörden insgesamt jetzt wachsamer sein werden, um früher und härter gegen terroristische oder extreme Gruppierungen vorzugehen. Und letztlich müssen wir als ganze Gesellschaft wachsamer sein und dürfen Dinge nicht verharmlosen. Auch die Medien sehe ich in der Pflicht umsichtiger zu sein und die Gefahr von rechts nie aus dem Blick zu verlieren.
Das Gespräch führte Jean-Claude Jenowein
Die Recherche der Süddeutschen Zeitung und ein Video zu den Hintergründen des Prozesses:
Stand: 05.12.2018