Das Heidelberger Wohnraumbündnis möchte Probleme auf dem Wohnungsmarkt sichtbar machen. Alternative Wohnformen können eine Teillösung für mehr Gerechtigkeit sein
Wie kann ein Zugang zu Wohnraum gewährleistet werden, der trotz starker Nachfrage ausreichend, bezahlbar und gerecht ist? Diese Frage kommt in Debatten rund um die Situation des Heidelberger Wohnungsmarktes immer wieder auf, aktuell zum Beispiel im Zusammenhang mit der Ausgestaltung der Konversionsflächen. Auch vielen Studierenden begegnen Herausforderungen wie hohe Mietpreise und eine lange Suche nach der passenden Unterkunft. „Studierende in Heidelberg stellen wie alle anderen Wohnungssuchenden fest, dass in den Jahren 2012 bis 2016 zwar sehr viele, nämlich 4250, neue Wohnungen gebaut wurden. Das sind 850 pro Jahr im Schnitt, sie waren aber fast nur hochpreisig und für Durchschnittsverdiener viel zu teuer“, betont Christoph Nestor vom Mieterverein Heidelberg.
Seit Beginn des Wintersemesters setzt sich auch das Heidelberger Wohnraumbündnis mit der Problematik auseinander. Die Vereinigung ist dem Selbstverständnis nach ein zivilgesellschaftliches Bündnis und möchte als Plattform für Betroffene auf Missstände des Heidelberger Wohnungsmarktes aufmerksam machen, um langfristig Änderungen in der Wohnungspolitik zu erreichen. Auch wenn ein Großteil der Mitglieder momentan noch aus Studierenden besteht, will das Bündnis für Menschen aus verschiedenen Gesellschaftsgruppen offen sein. „Es war uns von Beginn an wichtig, dass wir uns nicht nur für die Belange von Studierenden einsetzen“, erklärt Hannah Niemeyer, Studentin und Mitglied des Bündnisses.
Abgesehen von häufig diskutierten Herausforderungen wie der Wohnungsknappheit ist für sie vor allem der Aspekt der Diskriminierung zentral: „Der Wohnungsmarkt ist allgemein umkämpft und ein Zugang ist schwierig, aber eben nicht für alle Menschen in gleicher Weise.“ So spielten verschiedenste Kategorien wie Herkunft, Aufenthaltsstatus oder sexuelle Orientierung in die Problematik mit hinein, die für bestimmte Menschen noch zusätzliche Hürden verursachten. Neben einer Vernetzung mit anderen relevanten Organisationen, städtischen Behörden, gesellschaftlichen Gruppierungen und Projekten aus anderen Städten betont das Wohnraumbündnis deshalb die Bedeutung von Bildung und Aufklärung. „Wir wollen auch dafür ein Bewusstsein schaffen, welche gesellschaftlichen Strukturen in der Wohnungsfrage eigentlich vorliegen und wirken, und was hierzu vielleicht Alternativen sein können“, so Hannah. Maßnahmen wie ein Vorantreiben des sozialen Wohnungsbaus seien zwar relevant, darüber hinaus müsse jedoch der Blick dafür geöffnet werden, welche alternativen Lebens- und Wohnkonzepte jenseits von „Kleinfamilie oder klassischer WG“ noch existierten.
Eines dieser alternativen Wohnkonzepte besteht in Heidelberg in Form des Solidarischen Kollektiv Oberbadgasse (SoKo OBG). Das Altstadthaus in der Oberbadgasse 6 wird bereits seit mehreren Jahren von verschiedenen WGs aus Studierenden, Berufstätigen und Auszubildenden bewohnt, seit Oktober 2018 sind diese Bewohner nun auch die Eigentümer des Hauses. Zwar habe sich im Rahmen des Verkaufsprozesses „schnell abgezeichnet, dass wir nicht die einzige Verkaufsoption sind, sondern Konkurrenz besteht durch Hotelinhaber, die sich erweitern, und Immobilienhaie, die das Gebäude entkernen und luxussanieren wollten“, erzählt Franzi Reiche vom SoKo OBG.
Letztendlich sei es aber möglich gewesen, beim Kaufpreis mitzubieten und das Haus zu erwerben – unterstützt durch verschiedenste Geld- und Ratgeber und in Kooperation mit dem Miethäuser Syndikat, einem Zusammenschluss einzelner Wohnprojekte, welcher selbstorgansierte Hausprojekte bei ihrer Gründung fördert. Ziel war es, in der Altstadt ein Stück bezahlbaren Wohnraum zu erhalten und diesen auch aktiv und selbstbestimmt gestalten zu können. „Durch das Mietshäuser Syndikat erworbene Gebäude können zukünftig nicht mehr reprivatisiert werden. Ebenso wenig kann daraus Profit geschlagen werden. Es bietet darüber hinaus die Möglichkeit, Mieten solidarisch zu gestalten – also nach den Möglichkeiten und Wünschen der Bewohner*innen“, so Franzi. „Wohngerechtigkeit entsteht auch da, wo Menschen selbst darüber verhandeln und entscheiden können, wie sie wohnen wollen, zum Beispiel darüber, was wie renoviert werden muss.“
Einen „Paradigmenwechsel von renditeorientiertem auf gemeinwohlorientierten Wohnungsbau“ durch die politischen Gremien in Heidelberg und Umland wünscht sich Nestor in der Wohnungspolitik. So müssten bei der Vergabe von Wohnprojekten gemeinwohlorientierte, und hierbei auch externe Baugenossenschaften Vorrang haben. Vor allem müsse darüber hinaus aber ein Engagement „von Bürgern in Wohngruppen, alternativen Wohnformen, Wohnkollektiven und so weiter massiv propagiert und gefördert werden“. Die Wichtigkeit der Problematik ist für Nestor eindeutig: „Hier geht es um den Kern des gesellschaftlichen Zusammenlebens, das Wohnen, und um die Begegnung als Möglichkeit einer sozial gemischten Bevölkerungsentwicklung ohne weitere Segregationstendenzen wie in den letzten Jahrzehnten.“
Auch das Wohnraumbündnis möchte die Thematik noch stärker im öffentlichen Diskurs verankern und vor allem im Hinblick auf die Kommunalwahlen im Mai auf die politische Agenda bringen: „Unser Ziel ist es, dass noch viel mehr politischer Druck hinter dem Thema entsteht, weil in Heidelberg eigentlich viel Potential vorhanden ist, das aber im Moment eben noch bei Weitem nicht ausreichend und gerecht genutzt wird.“
Von Marie-Thérèse Roux