Eine Woche lang jeden Tag ein Tinderdate – ist das auszuhalten? Unsere Autorin hat den Selbstversuch gewagt und in die Abgründe männlicher Verzweiflung geblickt
[dropcap]T[/dropcap]inder ist mehr als eine Dating-App. Es ist eine kulturelle Begegnung“ – So zumindest heißt es in dem Blog Swipe Life, der von Tinder selbst herausgegeben wird. Große Versprechen, denke ich. Mal sehen, ob sie auch gehalten werden. Denn mein Leben als Tinderella soll bald beginnen: „7 Tage, 7 Tinderdates“, so meine Aufgabe.
Ich lade mir Tinder an einem Montag herunter. Die erste Herausforderung: gute Fotos. Ich habe ungefähr 702 Selfies von mir auf dem Handy, aber kein gutes. Außerdem kann ich nicht nur Selfies nehmen, es soll schließlich so wirken, als wäre ich interessant. Nach längerem Hin und Her habe ich eine Auswahl getroffen, mit der ich zufrieden bin – das Swipen kann beginnen. Ich befinde mich in der anfänglichen Euphorie, wie ich später feststellen soll. Das Wischen macht Spaß, es gibt so viele Leute, die man kennenlernen könnte und die Matches sind gut für mein Ego. Ich bin ziemlich enttäuscht, als ich das Maximum an Rechts-Swipes erreiche, das gewährt wird, wenn man kein Geld bezahlt. Nun muss ich zwölf quälende Stunden warten, bis ich weiter swipen darf.
Am nächsten Tag habe ich schon einige Matches angesammelt, auch die Nachrichten häufen sich. Ich habe mein erstes Date für Mittwoch vereinbart. Am Nachmittag hat die App technische Probleme, ich kann sie nicht mehr öffnen. Ich werde nervös, gereizt, unruhig. Was soll ich tun? Was habe ich überhaupt mit meiner Zeit gemacht, bevor ich Tinder hatte? Ich weiß es nicht mehr. Panisch schreibe ich Freunden und Ressortleitung, nur um festzustellen, dass die Probleme nach zwei Stunden wieder behoben sind.
Am Mittwoch bin ich in der Stadt, bereit für mein erstes Date und schon ziemlich aufgeregt. Doch ich werde versetzt. Mein Date schreibt, er hätte die falschen Motive, fände mich aber sehr nett. Okay. Neuer Tag, neues Glück. Am Donnerstag findet mein Date auch tatsächlich statt. Ich treffe Jan* und wir gehen gemeinsam Mittagessen. Es läuft ziemlich gut, wir verstehen uns, tauschen Nummern. Ein Bilderbuchdate.
Den Tag darauf treffe ich Marie*. Eigentlich. Doch auch sie sagt mir kurzfristig ab. Langsam fange ich an, die Spielregeln dieser App zu verstehen. Verabredet man sich zu einem Date in drei Tagen, heißt das nicht „Ja, in drei Tagen haben wir ein Date!“ sondern „Ja, in drei Tagen haben wir ein Date, wenn ich nichts besseres finde.“
Also mache ich mich auf die Suche nach einem neuen Date für Freitagabend. Kann ja nicht so schwer sein, denke ich mir. Ich finde drei Männer, die direkt zu mir nach Hause kommen wollen, um „entspannt einen Film zu schauen“.
Als ich Bedenken darüber äußere, einem fremden Mann meine Adresse mitzuteilen und vorschlage, dass wir uns lieber erstmal in der Stadt treffen, haben alle Kopfschmerzen, sind zu müde oder müssen noch ihre Katze füttern.
Ein anderer junger Mann möchte Nacktbilder. Er vergleicht mich zu diesem Zweck mit einem Diamanten im Sand, und man wolle den Diamanten ja ohne Sand sehen. Die Metapher ist zwar kreativ, holt mich aber nicht ab. Daraufhin schreibt er mir: „Treffen mit mir ist wie Löwen beobachten, man sieht großen Schwanz.“
Nächster Versuch: Ein Arzt Anfang 30, er wirkt nett. Wir schreiben und es läuft gut. Bis er fragt, was ich eigentlich auf Tinder suche. Ich antworte, dass ich nichts Bestimmtes suche und einfach mal gucken wollte, wer sich hier so tummelt. Daraufhin er: „Weibliche Bekanntschaften wo nichts läuft habe ich genug. Würde denn schon beim ersten Date was laufen?“ Ich antworte nicht und bekomme zwei Stunden später die Frage: „Wann warst du denn das letzte mal mit einem Mann intim?“ „Ist das eine Anamnese oder ein Tinder Chat?“, frage ich. Er versteht es nicht.
Ich gebe mich geschlagen und treffe mich nochmal mit Jan vom Vortag. Man könnte es Schummeln nennen, ich nenne es mein gutes Recht nach den Chatgesprächen, die ich führen musste.
Mein Date am Samstag ist nett, mehr aber auch nicht. Wir merken schnell, dass wir nicht auf einer Wellenlänge sind. Er ist Sportenthusiast, ich weniger. Nach einer Stunde ist das Date auch schon vorbei, denn er muss zum Sport. Ich habe den Eindruck, dass wir bei der Verabschiedung eine stille Vereinbarung treffen, uns nicht wiederzusehen.
Am Sonntag gibt es streng genommen kein Tinderdate. Ich kenne Kai* bereits über Freunde und schreibe ihm auf Instagram, nachdem er mich auf Tinder nach links gewischt hat. Wir verabreden uns auf einen Kaffee. Meine Freunde meinen, es sei Cross-Plattform-Dating und damit legitim. Zu dieser Zeit bin ich einfach froh über ein Date mit jemandem, den ich schon kenne. Montag ist der vorletzte Tag meines Experimentes und mein absoluter Tiefpunkt. Ich habe keine Lust mehr, bin gereizt und genervt. Um 17 Uhr bin ich mit meinem Date verabredet. Vorher hoffe ich fast, er sagt ab. Aber er kommt und wir verstehen uns gut. Trotzdem gehe ich nach einer Stunde. Am Abend feiert meine Mitbewohnerin Geburtstag. Ich bleibe nur kurz, bevor ich ins Bett gehe. Meine sozialen Kapazitäten sind ausgereizt.
Am nächsten Tag habe ich wieder etwas mehr Energie für mein letztes Date. Endspurt, denke ich. Ich treffe mich mit Viktor*, er ist Weinliebhaber. Wir gehen in eine schicke Weinbar und danach auf eine Aussichtsplattform über der Stadt. Auch wenn er hier vermutlich all seine Tinderdates hinbringt, fühle ich mich ein bisschen wie etwas Besonderes, als wir knutschen.
Die Bilanz nach einer Woche Tinder: Mein Datenvolumen ist bereits am Anfang des Monats aufgebraucht, genau wie meine Geduld. Ich muss fairerweise sagen, dass meine Dates (oder zumindest die, die auch gekommen sind) alle sehr positiv waren. Außerdem hat die Tatsache, dass die App keine Kamerafunktion in den Chats besitzt, mir wohl viele dick pics erspart. Was mir allerdings nicht erspart blieb, waren die unzähligen schmierigen Nachrichten von Männern. Abschließend muss ich zugeben, dass Swipe Life Recht hatte. Tinder ist wirklich eine Kultur für sich.
*Namen geändert
Von Stefanie Weber