Die EU plant eine Reform, um Inhaber von Urheberrechten im Internet zu stärken. Besonders Artikel 11 und 13 sind jedoch umstritten. Mögliche Uploadfilter sorgen für Proteste und Angst um die Netzkultur. Wir haben die Europaabgeordneten rund um Heidelberg nach ihrer Position gefragt
Nur noch die finale Abstimmung im EU-Parlament fehlt, dann wäre nach jahrelangen Verhandlungen die Reform der europäischen Richtlinie zum Urheberrecht abgeschlossen. Doch das Vorhaben schlägt so hohe Wellen wie kaum ein anderer Gesetzesvorschlag der letzten Zeit, gerade unter jungen Menschen. Zwei Tage nach Bekanntwerden des finalen Kompromissvorschlags (siehe Hintergrund) gingen in Köln bereits rund 1500 Menschen auf die Straße, weitere Demonstrationen sind angekündigt und könnten noch wesentlich größer ausfallen. Eine Petition mit etwa 4,7 Millionen Unterschriften, die durch das Vorhaben das freie Internet gefährdet sieht, erreichte auch Justizministerin Katarina Barley, die Bundesregierung stimmte im Ausschuss der ständigen Vertreter der Mitgliedsstaaten dennoch für die Reform.
Selbst innerhalb der deutschen Parteien sind viele Politikerinnen und Politiker uneins, ob durch die geplante strengere Haftung für Internetplattformen tatsächlich unverhältnismäßige Uploadfilter und damit Zensur drohen, wie Kritiker und IT-Rechtsexperten befürchten. Der ruprecht hat deshalb die Europaabgeordneten der verschiedenen Parteien aus den Wahlkreisen rund um Heidelberg nach ihren Positionen gefragt.
Unter den vier Abgeordneten spricht sich nur der Vorsitzende der CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament, Daniel Caspary, klar für die Reform aus. Der Abgeordnete für den Bezirk Nordbaden betont: „Die Sorgen, die die Menschen bei dieser Thematik haben, nehme ich sehr ernst.“ Dennoch halte er den aktuellen Kompromiss für sinnvoll: „Das Internet bleibt frei und die Kunst- und Kulturschaffenden bekommen etwas vom großen Kuchen der großen Plattformen ab.“ Auf die Tatsache angesprochen, dass im Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD Uploadfilter eigentlich explizit abgelehnt werden, verweist Caspary lediglich darauf, dass automatische Prüfsysteme auf großen Plattformen bereits existierten. „Den Plattformen werden sicherlich innovative Instrumente einfallen, um die Freiheit des Internets zu erhalten und dennoch Urheberrechte durchsetzen zu können“, so Caspary. Der CDU-Verhandlungsführer und einer der größten Unterstützer der Reform, Axel Voss, hatte zuletzt auch gegenüber kritischen Parteikollegen immer wieder bestritten, dass der Vorschlag überhaupt automatische Filter beinhalte.
Bis zum Erscheinen dieses Artikels stand eine versprochene Stellungnahme des Mannheimer SPD-Abgeordneten Peter Simon noch aus. Seine Parteikollegin und Vizepräsidentin des EU-Parlaments aus dem Hohenlohekreis, Evelyne Gebhardt, lässt auf Anfrage wissen, sie habe sich „entschieden“ gegen das Leistungsschutzrecht für Presseverlage in Artikel 11 und die Uploadfilter in Artikel 13 eingesetzt und werde im Parlament gegen das Vorhaben stimmen. „Die Erfahrungen in Deutschland und Spanien haben bewiesen, dass ein Leistungsschutzrecht für Presseverleger Rechteinhaber und Rechteinhaberinnen nicht schützt.“ Außerdem seien Uploadfilter keine rechtsstaatlichen Mittel. „Algorithmen sind nicht in der Lage, eine Urheberrechtsverletzung von einer legalen Verwendung geschützter Werke zu unterscheiden. Großen Plattformbetreibern die Macht und Verantwortung zu geben, zu entscheiden, was hochgeladen wird und was nicht, ist unverhältnismäßig und falsch“, so Gebhardt weiter. Einen Widerspruch zum Koalitionsvertrag sieht sie jedoch nur bei Bundeskanzlerin Merkel, die bei der Entscheidung im Vertreterausschuss die Bedenken von Barley und den SPD-Europaabgeordneten „schlicht ignoriert“ habe.
Der Ludwigshafener Grünen-Abgeordnete Romeo Franz lehnt die Reform ebenfalls ab: „Der aktuelle Verhandlungsstand zeigt leider, dass das Gesetzesvorhaben an einigen Stellen ordentlich vermurkst wurde. Dazu zählen Artikel 11 und 13, die vielleicht gut gemeint sind, aber in ihrer aktuellen Form möglicherweise starke Einschnitte der Meinungsfreiheit erwirken würden.“ Uploadfilter würden mit dem Gesetz faktisch unumgänglich, seien aber nicht unfehlbar und könnten „auch für antidemokratische Zwecke missbraucht werden.“ Wie die beiden anderen Abgeordneten auch wurden er und sein Büro in den letzten Tagen von E-Mails zu dem Thema regelrecht überflutet. Es sei beim besten Willen nicht möglich, sie alle zu beantworten. „Dass einige Politiker öffentlich behaupten, alle Emails kämen von Bots , ist ein starkes Stück. Denn hier zeigt sich politisches Interesse einer Generation, die oft als unpolitisch verschrien wird“, so Franz.
Über den Reformvorschlag muss das EU-Parlament noch ein letztes Mal entscheiden. Die Abstimmung findet voraussichtlich Ende März statt. Bei einem Beschluss hätten die Mitgliedsstaaten zwei Jahre Zeit, die Verordnung in nationalen Gesetzen umzusetzen.
[box type=“shadow“ ]Hintergrund
Die geplante Reform soll das veraltete EU-Urheberrecht an die Anforderungen des Internetzeitalters anpassen und die Position von Rechteinhabern stärken. Besonders zwei Artikel der Verordnung rufen jedoch bereits seit letztem Jahr immer mehr Kritiker auf den Plan. Beim sogenannten Leistungsschutzrecht in Artikel 11 geht es um Abgaben, die beispielsweise Betreiber von Suchmaschinen an Presseverlage bezahlen sollen, wenn sie Ausschnitte von geschützten Texten auf ihren Webseiten veröffentlichen. Entsprechende Gesetze gibt es bereits in Spanien und in Deutschland, die deutsche Gesetzgebung wird jedoch aktuell noch vom Europäischen Gerichtshof geprüft . Noch weitaus heftiger umstritten ist Artikel 13, der insbesondere soziale Netzwerke wie Facebook, Instagram oder Youtube direkt für Urheberrechtsverletzungen ihrer Nutzer haftbar machen soll. Bisher müssen die Plattformen erst aktiv werden, wenn sie von Rechteinhabern auf mögliche Rechtsbrüche hingewiesen werden. Künftig sollen sie unter „bestmöglichen Anstrengungen“ vorsorglich Lizenzvereinbarungen mit allen Rechteinhabern abschließen. Näher definiert werden diese Anstrengungen dabei jedoch nicht. Andernfalls müssen die Plattformen dafür sorgen, dass geschützte Werke gar nicht erst widerrechtlich verbreitet werden können – zumindest, wenn die Rechteinhaber die Werke bei der Plattform hinterlegt haben. Besonders letzteres ist laut Kritikern jedoch ohne automatische Uploadfilter kaum machbar. Befürworter wie die GEMA weisen immer wieder darauf hin, dass solche Filter beispielsweise bei Youtube und Facebook längst im Einsatz sind. Künftig wären jedoch wesentlich mehr und auch kleinere Plattformen auf Filter angewiesen. Einzige Ausnahme: sehr kleine Start-Ups, die jünger als drei Jahre sind. Das bislang ausgefeilteste System „Content ID“ von Youtube steht dabei bereits ohne strengere Rechtsanforderungen in der Kritik, äußerst fehleranfällig zu sein. Auch wenn in der Verordnung explizit Zitate, Parodien und ähnliche Fälle ausgenommen werden, befürchten Kritiker jedoch, dass die neuen Anforderungen trotzdem zu großen Einschränkungen auch für legale Nutzungen führen würden. [/box]
Von Simon Koenigsdorff