Die Serie Babylon Berlin ist eine Reise in die turbulente Zeit der 1920er. Der Protagonist, Gereon Rath, ein Polizeikommissar aus Köln, verstrickt sich in einem Netz aus Korruption, Waffenhandel und Drogen – und muss sich dabei immer wieder die Frage stellen, wer ist Freund, wer ist Feind? Wir haben uns mit Volker Kutscher, dem Autor der Kriminalromane, auf denen die Produktion basiert, zum Interview getroffen.
[box type=“shadow“ ]Volker Kutscher, geboren 1962, ist Schriftsteller. Nach seinem Studium der Germanistik, Philosophie und Geschichte begann seine Laufbahn als Tageszeitungsredakteur bei der Kölnischen Rundschau. Bekannt wurde Kutscher durch seine Kriminalromane der Gereon-Rath-Reihe, die mit dem ersten Buch „Der nasse Fisch“ beginnt. Die Geschichte spielt im Berlin des Jahres 1929. Der Romanstoff diente auch als Vorlage für die erste und zweite Staffel der TV-Serie „Babylon Berlin“, die unter anderem von Regisseur Tom Tykwer verfilmt wurde und mit der Adaption des nächsten Rath-Romans „Der stumme Tod“ demnächst fortgesetzt wird. Mittlerweile ist der siebte Band „Marlow“ erschienen, veröffentlicht im Piper Verlag.[/box]
Wie ist Ihr Eindruck Ihrer aktuellen Lesereise?
Es ist immer wieder schön zu sehen, was meine Leserinnen und Leser bewegt. Bei einer Lesung merke ich, wie meine Bücher ankommen, das ist das direkteste Feedback, das ich bekommen kann. Ich möchte wissen, wie ein neues Buch ankommt, gerade, wenn es vor wenigen Wochen erst schienen ist.
Würden Sie sagen, dass Erfolg zufrieden macht?
In erster Linie freue ich mich, dass meine Bücher von einem breiten Publikum gelesen werden. Und seit dem zweiten Rath-Roman „Der stumme Tod“ habe ich auch das Glück davon leben können, da ist ein Traum für mich in Erfüllung gegangen. Was darüber hinaus noch zusätzlich gekommen ist, genieße ich natürlich auch, aber das war nicht mehr so entscheidend.
Sind Sie von einem Erfolg ausgegangen?
Natürlich nicht, Erfolg kann man nicht planen. Man sollte schreiben, um zu schreiben: das, was man selbst gerne lesen würde oder das, was man der Welt zu sagen hat. Der wirtschaftliche Erfolg sollte erstmal zweitrangig sein. Klar hofft man, dass es funktioniert, aber das sollte nicht das eigentliche Motiv sein, Bücher zu schreiben.
Und nach einem Erfolg sah es beim ersten Rath-Roman auch lange Zeit nicht aus. Ich hatte schnell einen Agenten gefunden, aber die Verlage zeigten sich erst einmal ablehnend. Eineinhalb Jahre lang haben wir für den „Nassen Fisch“ nur Absagen erhalten, und irgendwann dachte ich, meine Frau, mein Agent und ich sind die Einzigen, die den Roman gut finden. Zum Glück hat es dann einen anderen Verlauf genommen.
Sind Sie öffentlichkeitsscheu? (Anmerkung: bezogen auf seine Aussage in einem Interview mit Denis Scheck in der SWR-Sendung „Lesenswert“ mit Hinblick auf seine Studentenzeit)
Wenn man schreibt, sollte man das nicht sein. Man muss den Schritt in die Öffentlichkeit wagen und muss sich der Kritik aussetzen, die unweigerlich kommt. Es wird immer jemanden geben, der das Geschriebene kritisiert. Aber das Gute ist, man kann aus konstruktiver Kritik lernen. Unreflektierte Kritik bleibt leider auch nicht aus, aber auch damit lernt man, mit der Zeit umzugehen. Meine Erfahrungen als Zeitungsredakteur helfen mir bis heute dabei, denn auch die Arbeit eines Journalisten ist der Kritik der Öffentlichkeit ausgesetzt. Das gilt wohlgemerkt nur für die Arbeit; mein Privatleben geht die Öffentlichkeit nichts an.
Wie haben Sie die einzelnen Figuren Ihrer Rath-Romanreihe entwickelt?
Natürlich mache ich mir vorher ein paar Gedanken zu den Figuren, aber dann entwickeln sie sich während des Schreibens, durch das, was sie erleben. Meistens etwas anders, als ich das vorher gedacht hätte. Und so wie sie aus dem letzten Roman herauskommen, gehe ich mit ihnen in den neuen hinein. Ich schaue, wie sie mit den Herausforderungen der Handlung umgehen; zudem interessiert es mich, wie sie auf die historischen Zeitläufte reagieren, denn die interessieren mich neben der Kriminalgeschichte am meisten.
Und welche Figuren haben noch besonderes Entwicklungspotenzial?
Alle Figuren natürlich. Jeder Mensch entwickelt sich weiter. Natürlich nicht immer so, wie er gerne will. Und jede Figur hat ihre Geheimnisse, von denen auch ich nicht alle kenne. Wenn man alles über eine Figur weiß, ist sie irgendwann nicht mehr menschlich. Das geht doch allen Menschen so, dass man nicht einmal von sich selber alles weiß, geschweige denn von anderen.
Wissen Sie schon, mit welchen Themen Sie sich in Zukunft auseinandersetzen werden?
Einige Jahre werde ich mit der Reihe noch beschäftigt sein, ich möchte die Geschichte bis ins Jahr 1938 erzählen. Genauer gesagt bis zu den Novemberpogromen. Das ist für mich einer der entscheidenden Zivilisationsbrüche des Dritten Reichs, damit ist der Weg nach Auschwitz endgültig beschritten worden.
Was ich nach der Rath-Reihe schreiben werde, kann ich noch nicht genau sagen. Ich habe da eine Schublade, in der ich meine Ideen sammle. Und wenn es so weit ist, werde ich schauen, auf welche dieser Ideen ich die meiste Lust habe, und das mit meinem Lektor besprechen. Und wenn er grünes Licht gibt, lege ich los.
Sie wollen die Geschichte bis zur Reichskristallnacht spielen lassen. Warum gerade dieses Datum?
Für mich ist das Datum sehr entscheidend. Eigentlich hatte ich vor, vier Romane in der Weimarer Republik und vier Romane im Dritten Reich zu schreiben und die Geschichte 1936 enden zu lassen. Aber dann wurde mir sehr schnell klar, dass 1936 das falsche Jahr ist. Ich brauchte ein Jahr, in dem unmissverständlich klar wird, wohin die Reise mit dem Dritten Reich geht, und das war 1938 der Fall: Es war klar, dass Hitler den Krieg wollte, und mit der Pogromnacht wurde auch dem letzten Optimisten vor Augen geführt, dass es nicht nur um die Ausgrenzung und Diskriminierung der deutschen Juden ging, um ihren Ausschluss aus der sogenannten Volksgemeinschaft, sondern um deren Ermordung.
Woher kommt Ihr Interesse für das Berlin der 1920er, 1930er Jahre und die Zeit der Weimarer Republik?
Das fing vor vielen Jahren an, mit den Kinderbüchern von Erich Kästner, die ich als kleiner Junge gelesen habe, allen voran „Emil und die Detektive“ und „Pünktchen und Anton“. Deren Welt hat mich von Anfang an fasziniert, und über Kästner habe ich dann später die Literatur der Neuen Sachlichkeit kennengelernt; Alfred Döblin, Hans Fallada, Irmgard Keun. Und die Welt, die in diesen Büchern geschildert wird, die Berliner Welt der Weimarer Demokratie, hat neben all dem Elend auch sehr viel Hoffnung auf ein besseres Deutschland — eine Hoffnung, die mit dem Dritten Reich ein jähes und brutales Ende fand.
Neben den Millionen Toten, die das Dritte Reich in Deutschland und auf der ganzen Welt zu verantworten hat, ist der massive kulturelle Schaden, den die Nazis angerichtet haben, irreversibel. Der Aderlass, den unser Land damals in der Wissenschaft, in Kunst, Literatur und Film, erfahren hat ist enorm, auch und gerade was die jüdische Intelligenz betrifft. Deutschland hast sich bis heute noch nicht von diesem Exodus erholt.
Und was war Ihr Antrieb für das Schreiben Ihrer Romanreihe?
Das Abwürgen dieser hoffnungsvollen Demokratie empfinde ich als eine der tragischen Wendungen der Geschichte, und mich beschäftig bis heute die Frage: Wie konnte es passieren, dass in einem zivilisierten Land wie Deutschland solch eine unvorstellbar barbarische Diktatur entstehen konnte. Das ist einer der wichtigsten Triebfedern für mein Romanprojekt.
Wie ist Ihr Eindruck zum Zustand unserer heutigen Demokratie?
Ich hätte vor zehn, fünfzehn Jahren nicht gedacht, dass unsere Demokratie einmal ernstlich in Gefahr geraten könnte. Das stimmt mich sehr nachdenklich. Gleichwohl verwehre ich mich dagegen, allzu einfache Parallelen zwischen den Jahren um 1933 und heute zu ziehen. Wir leben heute in ganz anderen Zeiten, uns geht es wirtschaftlich viel besser, und ich halte unsere Demokratie heute auch für stärker. Aber die Gefahr ist da. Heute haben wir – das hoffe ich wenigstens – zwar nicht so viele Demokratiefeinde wie zur Zeit der Weimarer Republik, was wir aber haben, ist eine gefährliche Saturiertheit. Die Demokratie und die damit verbundenen Freiheiten werden nicht mehr als Errungenschaft, sondern als selbstverständlich gesehen, und dadurch hat sich eine gewisse Gleichgültigkeit breitgemacht. Und aus dieser Trägheit müssen wir herauskommen, wir sind alle dazu aufgerufen, Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat zu verteidigen. Gegen jeden, der diese Errungenschaften in Frage stellt, nicht nur gegen Rechtspopulisten. Auch Salafisten wollen die Demokratie zerstören.
Grenzverletzungen, wie sie immer häufiger geschehen, darf man nicht durchgehen lassen; egal ob das auf einer Party, in der U-Bahn oder sonst wo passiert, man muss solchen Äußerungen entschieden entgegentreten.
Ich hoffe, dass Ereignisse wie die Wahl Donald Trumps, der Brexit oder die Wahlerfolge der AfD dazu beitragen, dass die Menschen aufwachen und merken, was auf dem Spiel steht.
Wen sehen Sie als Helden oder Heldin in Ihrer Geschichte? Ist Gereon Rath ein Antiheld?
Rath ist weder ein Held noch ein Antiheld, er ist ein Protagonist mit vielen Fehlern. Und er ist nicht der einzige, Charlotte Ritter ist ebenso wichtig.
In Ihrem neuesten Buche „Marlow“ gibt es eine Szene in Nürnberg in der Gereon Rath seinen rechten Arm hebt und mehrfach „heil!“ schreit in einer Menschenmasse, die auf den anfahrenden Adolf Hitler wartet. Wofür er sich im nächsten Moment hasst. Wie interpretieren Sie diese Szene? Verfällt Rath der Verführung der Nationalsozialisten oder steht er sinnbildlich für viele Menschen zu dieser Zeit, die dem Phänomen der Massen verfallen sind?
Die Szene zeigt ganz einfach, wie schwierig es ist, sich dieser Wirkung der Masse zu entziehen. Das Hirn wird ausgeschaltet, das kennt jeder, der im Fußballstadion schon mal ein Lied mitgesungen hat, dass er eigentlich nicht singen würde. Das soll keine Entschuldigung sein; die meisten, die damals an den Straßenrändern standen und Hitler zujubelten, haben das aus vollster Überzeugung getan, aber es zeigt, wie perfide die Nazis diese Wirkung der Masse benutzt haben und wie schnell jemand in diesen Sog geraten kann. Für Rath ist das eine heilsame Erfahrung, ein wichtiger Schritt auf seinem Lernprozess.
Welche Bücher Ihrer Rath-Romanreihe verkaufen sich am besten? Und warum glauben Sie gerade diese?
Immer noch „Der nasse Fisch“. Ganz einfach weil er der erste ist und alle, denen ein Rath-Roman gefällt, dann beim ersten anfangen. Was ja auch sinnvoll ist. Wenn die Kriminalfälle auch abgeschlossen sind — die Entwicklung der Figuren und der geschichtlichen Hintergründe kann man besten verfolgen, wenn man die Romane chronologisch liest.
Wie haben Sie die Zusammenarbeit mit Tom Tykwer empfunden?
Ich habe mit Tykwer ja nicht zusammengearbeitet. Er hat — zusammen mit Henk Handloegten und Achim von Borries — aus meinem Roman „Der nasse Fisch“ eine TV-Serie gemacht. Aber die Gespräche mit den dreien waren immer sehr angenehm, auch die mit allen anderen Beteiligten von „x-Filme“.
Finden Sie den Titel „Babylon Berlin“ für die Serie treffen gewählt?
Der Titel passt. Man musste ja etwas Übergreifendes finden, dass auf alle Romane passt, auf „Der nasse Fisch“ ebenso wie auf „Der stumme Tod“ oder „Goldstein“ oder alle weiteren Rath-Romane.
Deutsche Serien sind normalerweise keine Erfolgsgeschichte. Finden Sie, dass deutsche Produktionen zum Teil besser sind als ihr Ruf?
Nein. Die, die gut sind, haben auch einen guten Ruf. Leider nicht immer eine gute Quote. Schade, dass sie dann abgesetzt werden. Da würde ich mit gerade bei den öffentlich-rechtlichen Sendern mehr Durchhaltevermögen wünschen. Schade zum Beispiel, dass eine wirklich gelungene Serie wie Kriminaldauerdienst nach drei Staffeln abgesetzt wurde. Da hätte man guten Gewissens auch sechs oder sieben erzählen können.
Das Gespräch führte Jean-Claude Jenowein.