Um Schattenbibliotheken tobt der Rechtsstreit. Alternativen zu den Onlinediensten sind in Sicht
Paris, 30. März 2019. Das Zivilgericht Tribunal de Grande Instance kommt einer Klage der Wissenschaftsverlage Elsevier und Springer Nature nach. Es ordnet an, dass der Zugang zu den Webseiten Sci-Hub und Library Genesis über französische Provider blockiert wird. Nach Russland und Schweden ist Frankreich damit ein weiteres Land, das sich gegen die Nutzung von Schattenbibliotheken positioniert.
Diese sind hochkontrovers. Es handelt sich nicht um die düsteren Magazine in den Kellern der Unibibliotheken. Auch verbergen sich hinter Namen wie „Library Genesis“ und „Sci-Hub“ weder Metal-Bands noch noble Naturwissenschaftszentren. Schattenbibliotheken sind Angebote im Internet, die es ihren Nutzern ermöglichen, kostenpflichtige wissenschaftliche Aufsätze umsonst zu lesen. Ihre Verwendung ist einfach: Nutzer müssen lediglich DOI oder Titel des Aufsatzes in die Suchmaske eingeben. Anschließend nutzt der Server Bibliotheksproxys, um die Paywall zu umgehen, und lädt den gewünschten Artikel in seine Datenbank. Acht Jahre nach seiner Gründung ist Sci-Hub mit 74 Millionen zur größten Sammlung illegal heruntergeladener Aufsätze geworden.
Während Gegner noch über die Verletzung des Urheberrechts klagen, läuten Befürworter schon dessen Totenglocken. Ein Gesetz, das dem Fortschritt im Wege steht, müsse abgeschafft werden, erklärt Sci-Hub-Gründerin Alexandra Elbakyan.
Das Verfassen wissenschaftlicher Arbeiten gleicht mittlerweile einem Hürdenlauf, in dem Studierende und Wissenschaftler sich immer wieder Paywalls gegenüber sehen. Wissenschaftler auf der ganzen Welt sind auf Schattenbibliotheken angewiesen: Nur sie ermöglichen ihnen, Entwicklungen in der Forschung zu folgen. Bei hohem Universitätsetat können Forscher die Hindernisse mit Großlizenzen überspringen.
Solche Verträge werden jedoch seit Jahren teurer. Für eine Zeitschrift berechnen Verlage derzeit im Schnitt 3400 Euro pro Jahr. Viele Bibliotheken sehen sich deshalb gezwungen, ihre Abonnements zu kündigen und damit ohne die Journals auszukommen – zumindest offiziell. Preise für einzelne Artikel beginnen bei 30 Euro, aber auch 50 Euro und mehr sind keine Seltenheit. Verfechter der Schattenbibliotheken werfen den Verlagen daher Bereicherung vor.
Die Verlage betonen demgegenüber ihre Rolle in der Qualitätssicherung. Eine Sprecherin von Elsevier, dem am stärksten von der Piraterie betroffenen Verlag, erklärte im März 2016: „Ich bin für den allgemeinen Zugang zu Wissen, aber nicht durch Diebstahl!“
In Bezug auf legale Zugriffsmöglichkeiten bekundete Elbakyan, sie habe Sci-Hub gegründet, um die legalen Alternativen zu übertreffen. Dienste wie Google Scholar oder Unpaywall könnten nur ohnehin frei zugängliche Aufsätze finden, während Förderungsanträge schlichtweg zu zeitaufwändig seien. Eines ist allerdings unumstritten: Das Phänomen der Schattenbibliotheken weist auf einen tieferen Missstand hin. Im Wissenschaftsbetrieb ist Reputation an die Veröffentlichung in renommierten Zeitschriften gebunden. Hierdurch wiederum entsteht die monopolähnliche Stellung, die es Verlagen wie Elsevier erlaubt, derart hohe Gebühren für ihre Produkte zu verlangen.
Kritiker fordern daher, das Problem müsse vielmehr an der Wurzel gepackt werden: Hochschulen und Stiftungen sollten es Wissenschaftlern attraktiver machen, in frei zugänglichen Zeitschriften zu veröffentlichen, sogenannten Open-Access-Publikationen.
Zukunftsweisend könnte ein Pilotprojekt aus Norwegen sein. Im April hat Elsevier den Skandinaviern eine Nationallizenz eingeräumt, die sieben Universitäten und 39 Forschungseinrichtungen ohne weitere Kosten den Zugang zu seiner Literatur ermöglicht. Weiterhin gewährt der Verlag freien Zugriff auf die Arbeiten norwegischer Forscher.
Die deutsche Hochschulrektorenkonferenz verfolgt ein ähnliches Ziel. Bereits seit 2016 steht sie in Verhandlungen mit den Verlagen Elsevier, Springer Nature und Wiley. Im Januar konnte ein erster Erfolg mit dem Verhandlungspartner Wiley verzeichnet werden. Ähnlich dem norwegischen Modell wurde eine Lizenz für alle beteiligten Wissenschaftsorganisationen erworben und die Möglichkeit der Open-Access-Publikation für Forscher dieser Einrichtungen vereinbart.
Ungeklärt ist momentan, wie sich das deutsche Recht zum Phänomen Schattenbibliotheken positionieren wird. Es besteht Uneinigkeit darüber, ob die Nutzer von Schattenbibliotheken einen Rechtsverstoß begehen.
Ob legale Open-Access-Modelle sich durchsetzen werden, bleibt abzuwarten. Andernfalls werden die illegalen Schattenbibliotheken wohl auch in Zukunft die Tore des Wissens öffnen.
Von Vera Peternek und Antonia von Hassell