Soziale und politische Veränderung beginnt auf der Straße. „Mut zur Wut“ möchte Menschen genau dort durch Kunst zum Nachdenken motivieren
Klimakrise, Wohnungsnot, Rosinen im Müsli, Donald Trump. Es gibt viele Dinge, über die es sich zu empören lohnt. Eine Möglichkeit, seinem Ärger auf künstlerische Weise Ausdruck zu verleihen, bietet der Plakatwettbewerb „Mut zur Wut“. Dieses Jahr findet er zum zehnten Mal in Heidelberg statt.
Letztes Wochenende suchte eine fünfköpfige internationale Jury die Finalisten aus. Die Auswahl war groß – insgesamt 3213 Einsendungen aus knapp 66 Ländern standen zur Debatte. Nun stehen die 30 Gewinnerposter fest. Sie werden ab Juli im öffentlichen Raum, beispielsweise an Litfaßsäulen ausgestellt. In der Ausschreibung, die sich sowohl an etablierte als auch unbekanntere Kunstschaffende richtet, erklären die Veranstaltenden: „Wir wissen, dass Projekte wie dieses nicht die Flüchtlingsproblematik in Europa, den Krieg gegen Terrorismus oder die Entsorgung radioaktiver Abfälle lösen werden.“ Dennoch gebe es eine soziale Verantwortung und die Möglichkeit jedes Einzelnen, einen kleinen Beitrag zur Verbesserung des Status quo zu leisten. Eduardo B. Arambarri, Grafikdesigner aus Mexiko und Teil der Jury, hofft, durch die Plakatierung „Menschen zum Nachdenken zu bewegen“. Dabei sieht er einen großen Unterschied zu herkömmlichen Werbepostern, die normalerweise im Stadtbild zu sehen sind. „Kommunikation in der Werbung verläuft generell etwa so: ‚Ich zeige dir ein Produkt. Geh los und kauf es.‘ Wir stellen mit dem Wettbewerb ein Gegenstück dazu dar, denn wir wollen nichts verkaufen.“
Die Motive der Einsendungen orientieren sich meistens an aktuellen Ereignissen. „Es fällt auf, dass dieses Jahr viel zum Thema Gender dabei ist, auch zahlreiches zu Umweltverschmutzung“, stellt Alexander Henninger, einer der Mitveranstalter von „Mut zur Wut“, fest. Er führt aus: „Einige Plakate beschäftigen sich auch mit mobiler Erreichbarkeit und den sozialen Netzwerken. Aber ebenso die Missbrauchsskandale in der Kirche und klassische Themen wie Armut und Hunger spielen eine große Rolle.“
Aufmerksamkeit für unbequeme Inhalte zu schaffen, ist eines der erklärten Ziele des Wettbewerbs. Aufsehen erregte beispielsweise ein Poster von Lex Drewinski im Jahr 2017. Auf weißem Grund waren dabei Schlagstöcke angeordnet, von weitem betrachtet erinnerte die Form vage an ein Hakenkreuz. Mit dem simplen Titel „Police“ spielte der Künstler auf amerikanische Verhältnisse von Polizeigewalt an. Im Kontext der Ausschreitungen um den G20 Gipfel in Hamburg jedoch erhielt das Plakat eine weitere politische Dimension. „Die Vernissage der Gewinner findet jedes Jahr Ende Juli im Landgericht Heidelberg statt“, erklärt Henninger. „Mit dem Plakat bekamen wir viele Leserbriefe, warum wir das Poster gerade an diesem Ort ausstellen. Sogar der Polizeipräsident kam vorbei, um es sich anzuschauen.“
Ein großer Anteil der Einsendungen stammt aus Ländern mit stark eingeschränkter Pressefreiheit, insbesondere China und dem Iran. Henniger schildert, dass es „vielen Teilnehmern in ihren Ländern nicht möglich ist, ihre Standpunkte beispielsweise über soziale Netzwerke oder öffentlich deutlich zu machen. Deshalb nutzen sie die Form des Plakats und reichen es beim Wettbewerb ein.“ Durch die Ausstellung im öffentlichen Raum könne ein größeres Publikum konfrontiert werden. Weiterhin bietet sich mit dem Wettbewerb die Möglichkeit, auch eher kunstfremde Menschen zu erreichen, denn auf der Straße erhält jeder Zugang zur Plakatkunst. Der Effekt der Poster entsteht dabei im Zusammenspiel von
Botschaft und Ästhetik. „Manchmal kann man mit zwei Bildern eine ganze Rede zusammenfassen, und die Grafik hilft dem Verständnis. Trotzdem ist die Aussage selbst für mich am wichtigsten und steht im Vordergrund“, resümiert Arambarri. In den nächsten Wochen werden die Gewinnerplakate online veröffentlicht, bis nach der Vernissage Mitte Juli die Plakatierung in Heidelberg beginnt.
von Nele Bianga