Sieben Minuten Redezeit. Eine vorgefertigte Meinung zu einem hochbristanten politischen, gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Thema. Und je drei RednerInnen, die den konträren Standpunkt vertreten.
Bei der diesjährigen Deutschsprachigen Debattiermeisterschaft, die vom 30. Mai bis zum 2. Juni in Heidelberg ausgetragen wurde, konnte sich ein Team des Debattierclubs Streitkultur Tübingen gegen über 220 Debattierende aus Deutschland, Österreich und der Schweiz und letztlich auch gegen ihre Finalgegner von der Berlin Debating Union durchsetzen. Damit erstritten sie sich im wahrsten Sinne des Wortes den Titel des Deutschsprachigen Debattiermeisters 2019.
In der Aula der alten Universität Heidelberg herrscht Ruhe, als der erste Redner der Finaldebatte vor das Rednerpult tritt. Fünfzehn Minuten zuvor war den beiden Finalteams aus Tübingen und Berlin, bestehend aus je drei RednerInnen, weder das Thema der Debatte bekannt, noch wussten sie, ob sie als sogenannte Regierung die Pro-Position oder als Opposition die Contra-Position der Debatte einnehmen müssen. Trotz kurzer Vorbereitungszeit, in der keinerlei Hilfsmittel erlaubt sind, steht der erste Redner selbstbewusst vor dem voll besetzten Saal, als er mit erhobener Stimme zu sprechen beginnt. Die Streitfrage des diesjährigen Finales: Sollten wir Populismus, anstatt mit Diskurs, mit den Methoden des Populismus bekämpfen?
Dann geht es Schlag auf Schlag. Im Sieben-Minuten-Takt wechseln sich Redner und Rednerinnen der Regierung und Opposition ab. Sie widerlegen Gesagtes, bauen neue Argumente auf, wehren Einwände ab. Auch fraktionslose Redner, die als Intermezzo zwischen Regierung und Opposition neue Impulse einbringen und die Zuhörerschaft vertreten, kommen zu Wort. Immer wieder wirft die Gegenfraktion Hände in die Luft, um Fragen zu beantragen, oder ruft dazwischen. Das Publikum klatscht oder klopft auf die Bänke, um dem Gesagten Beifall zu bekunden.
Trotz aufgeheizter Stimmung geht es gesittet zu, nach einem festgeschriebenen Regelwerk. Denn Debattieren ist nicht gleich Diskutieren. Es herrschen festgelegte Redezeiten, Rednerabläufe und ein strukturiertes Fragerecht nach dem Vorbild parlamentarischer Debatten. Das Format des Meinungsstreits ist die Offenen Parlamentarischen Debatte (OPD), deren Regelwerk immerhin ganze 24 Seiten umfasst.
Am Ende der beinahe einstündigen Debatte werden von einer studentischen Chefjury nicht nur inhaltliche Überzeugungskraft, gute Argumentation und Rhetorik der einzelnen Redner und Rednerinnen, sondern auch die Gesamtstrategie der beiden Dreierteams in die Beurteilung miteinbezogen. Dieses Jahr konnte dabei das Team der Streitkultur Tübingen erstmals die deutschsprachige Meisterschaft im OPD-Format für sich entscheiden.
Unabhängig von der Teamleistung wurde auch Lara Tarbuk von der Berlin Debating Union von einer prominent besetzten Ehrenjury, bestehend aus Sönke Wortmann, Sarah Andiel, Leo Fischer und Nilam Farooq, als beste Finalrednerin gekürt. Neben der offenen Kategorie gab es auch für Debattierende mit „Deutsch als Fremdsprache“ die Möglichkeit, sich in einer eigenen Kategorie im Wortsport zu messen. „Sprache ist eine hohe Hürde in der rhetorischen Auseinandersetzung“, erklärt Moderator Willy Witthaut die gesonderte Kategorie. Dabei konnte sich im Finale das Team DaF Earthers gegen Jenas Internationale Streitmacht durchsetzen. Den Ehrenpreis für die beste Rede erhielt in der DaF-Kategorie Braedon Lehman.
Veranstaltet wurde die Debattiermeisterschaft vom ältesten Heideberger Debattierclub Die Rederei e.V., die jede Woche Trainings rund um den Debattiersport anbietet. Sie ist damit eine der mittlerweile über 70 Debattierclubs im deutschsprachigen Raum. Obwohl die Debattierkultur im Wachsen begriffen ist, hält sich das öffentliche Interesse in Grenzen. Oft wird die Rede- und Streitkultur mit Skepsis beäugt. „In meiner Welt waren debattierende Menschen solche, die unter dem – ich glaube man könnte sagen – Philipp-Amthor-Effekt gelitten haben. Etwas zu konservativ, etwas zu alt für ihr Alter, etwas zu steif“, berichtet auch der Moderator über anfängliche Vorbehalte gegenüber der Szene. Mittlerweile habe er sich, sowie auch die Mitglieder der Ehrenjury, in den Redewettkampf verliebt.
Denn in den Debattierclubs wird das gelehrt, was – so das Grußwort der Menschen- und Frauenrechtsaktivistin Seyran Ates – in der Politik oft fehle: sachorientierter Streit. Genau dieser wird in Debattierclubs wie Sport wettkampfmäßig trainiert. In zivilisierten Diskussionen wird mit Eloquenz, Schlagfertigkeit und Selbstbewusstsein Farbe zu konträren politischen und gesellschaftlichen Themen bekannt, argumentativ untermauert und verteidigt. Denn eines ist sicher: auch Streiten will gelernt sein.
Von Judith Steinkellner
Toller Artikel! Ich war auch dort und es war wirklich super. Ich konnte gar nicht glauben, dass die Reden in nur 15 Minuten geschrieben wurden.