Shaul Friberg ist Deutschlands einziger Hochschulrabbiner. Dem ruprecht erzählt er von seinen Erfahrungen und seiner Arbeit an der Hochschule für Jüdische Studien
Kippa, Bart und Schläfenlocken, so stellt man sich einen orthodoxen Rabbiner vor. Das alles suchen wir bei Shaul Friberg vergebens: „In der Tora steht: Es ist verboten, die Haare mit einem Messer zu schneiden. Also benutze ich eine Schere.” Auch sonst ist Friberg besonders: er ist der einzige Hochschulrabbiner Deutschlands.
Im oberen Stockwerk der Hochschule für Jüdische Studien sieht es aus wie in jedem Institut: Bürotür reiht sich an Bürotür. Details verraten jedoch, dass wir uns an einem besonderen Ort befinden: so ziert jeden Türrahmen eine Mesusa, die kleine Torarolle, die an jüdischen Hauseingängen angebracht ist. Fribergs Büro zu finden ist nicht schwer, denn seine Tür sticht hervor: „Alter Schwede” steht auf dem Schild.
Friberg ist in seinem Leben viel herumgekommen. In Nordschweden geboren, wurde er in New York und Jerusalem zum Rabbiner ausgebildet. Danach arbeitete er in Israel, München und Spanien. „Früher bin ich sehr viel herumgefahren“, sagt Friberg und betont die Selbstständigkeit eines Rabbiners. Es gibt keine Institution, die vorschreibt wo und wie man zu arbeiten habe. Nach fünf Jahren in Spanien zog es ihn weiter, „irgendwohin zwischen Chile und Tonga.“ Wie es ihn dabei nach Heidelberg verschlagen hat, wisse er nicht, nur dass er hier zur Ruhe gekommen sei. „Es ist ein wunderbarer Arbeitsplatz”, sagt er.
Friberg begleitet uns in das Beth Midrasch, ein Studierzimmer, das Teil einer Synagoge ist. Deswegen weist neben dem Eingang ein Korb mit Kippas darauf hin, dass alle Männer eine Kippa tragen müssen. Das gilt auch für uns.
Immer wieder liest man über die Hochschule, dass sie auch Rabbiner ausbilde. Als wir Herrn Friberg fragen, ob die Gerüchte stimmen, antwortet er sofort: „Nein, das stimmt nicht und es hat auch nie gestimmt.” Als die Hochschule 1979 gegründet wurde, hatte der Zentralrat der Juden vor allem das Ziel, Mitarbeiter für die Gemeinden auszubilden. Die besten Voraussetzungen dafür schafft noch heute der Studiengang „Praktische Jüdische Studien”. Doch obwohl die Studierenden nach dem Abschluss keine Rabbiner werden, habe man eine gute Basis gelegt, erklärt Friberg.
Das Studium ist zur Hälfte akademisch, beschäftigt sich also mit dem Judentum als Forschungsgegenstand. Für die praktische Hälfte ist Herr Friberg zuständig. Er vermittelt das Judentum als gelebte Religion. Dabei weist er auf die Buchsammlung hinter uns, denn er lehrt die Auslegung der Tora und des Talmud. Außerdem beschäftigt er sich mit dem jüdischen Denken und den Fragen, die das jüdische Alltagsleben heutzutage aufwirft. Sein Lehrauftrag mit Anstellung an der Hochschule macht Friberg auch auf der ganzen Welt einzigartig, denn die „Campus Rabbi“, die es an amerikanischen und britischen Universitäten gibt, sind ausschließlich Seelsorger.
Die Arbeiten als Gemeinde- und Hochschulrabbiner seien „zwei verschiedene Universen“, sagt Friberg lachend. Sein Schwerpunkt liegt hier einerseits auf der Lehre, damit hatte er in Gemeinden fast nichts zu tun. Andererseits sind auch seine seelsorgerischen Aufgaben gewachsen: er spüre einen starken Bedarf nach ihm als Seelsorger.
Viele von denen, die um seinen Rat bitten, seien auf der Suche nach einem Sinn. Dabei kämen nicht nur jüdische Studierende zu ihm, sondern auch Christen, Muslime und Atheisten. Herr Friberg sei offen für alle, die seinen Rat suchen: „In meinen elf Jahren habe ich mit allen zwischen Putzfrau und Professor seelsorgerischen Kontakt gehabt.“
Friberg selbst ist orthodoxer Rabbiner. Doch versucht er alles so zu gestalten, „dass sich alle zu Hause fühlen können.“ Das schafft er auch, denn die Hochschule steht allen Bekenntnissen offen, sowohl an den Lehrveranstaltungen, als auch an dem Studierendenshabbat können alle teilnehmen. Nur etwa ein Drittel der Studierenden sind Juden. „Das ist die Aufgabe der jüdischen Hochschule: eine Brücke zwischen verschiedenen Welten zu schlagen”, sagt Friberg. Diese Welten können das orthodoxe und das liberale Judentum, aber auch verschiedene Religionen sein.
Nach elf Jahren in Heidelberg möchte er nun bis zu seiner Rente hier bleiben, denn seine Arbeit als Hochschulrabbiner vereint alles, was er am Rabbiner-Sein liebt: die Lehre, die Seelsorge und den Dialog. Damit ist er selbst ein Brückenbauer zwischen verschiedenen Welten.
Von Eduard Ebert und Vera Peternek
[box type=“shadow“ ]2019 wird die Hochschule für Jüdische Studien 40 Jahre alt! Sie wurde 1979 im Auftrag des Zentralrats der Juden in Deutschland ins Leben gerufen und wird von Bund und Ländern finanziert. In Tradition der „Lehranstalt für die Wissenschaft des Judentums“ in Berlin sollte sie stehen und wurde mit zunächst 16 Studierenden gegründet. Heute hat sie etwa 100 Studierende, elf Professoren und zehn akademische Mitarbeiter. Die Hochschule bietet Kurse in jüdischer Philosophie, Kunst, Religion und Sprachwissenschaft an. Insgesamt verteilen sich die Kurse auf drei Bachelor- und sechs Master-Studiengänge. Das Studium soll das Judentum aus fächerübergreifender Perspektive nahebringen und ist – anders als oft angenommen – zu keinem Zeitpunkt als Ausbildungsstätte für Rabbiner konzipiert worden.[/box]