Die Grenze von Irland zu Nordirland ist seit jeher von Unruhen geprägt. Durch die Brexit-Politik werden die Konflikte wieder aktuell. Auf Spurensuche in Belfast
Hanna Hoppe, 20, verbrachte ihr Erasmusjahr an der National University of Ireland, Maynooth. Dort begegneten ihr immer wieder Anspielungen auf historisch irische Ereignisse. Nach einer intensiven Auseinandersetzung versteht sie die Bezüge zum Grenzkonflikt und Brexit besser.
Irland ist inzwischen kein Land mehr, das man mit bürgerkriegsähnlichen Zuständen assoziiert. Und doch hat das Land eine Vergangenheit voller Konflikte, die durch den Brexit wieder auszubrechen drohen und das Land abermals spalten könnten.
Zwischen 1968 und 1998 tobten in Nordirland die sogenannten „Troubles“. Nach der Gründung des an Großbritannien gebundenen, nördlichen Teils der grünen Insel im Jahr 1920 verschärften sich die Beziehungen zwischen irischen Katholiken und Protestanten. Der katholische Bevölkerungsanteil fühlte sich zunehmend von der protestantischen Mehrheit diskriminiert und beschloss, sich gegen diese Ungerechtigkeit zu wehren. Was zunächst mit friedlichen Demonstrationen begann, artete schließlich in gewaltsame Auseinandersetzungen aus, zuletzt auch mit Beteiligung der britischen Armee.
Es bildeten sich zwei Lager: die eher protestantisch eingestellten „Unionists“, die sich für eine Bindung an Großbritannien aussprachen, und die oftmals katholischen „Nationalists“, die ein von Außenstaaten unabhängiges Leben bevorzugten. Im Laufe der „Troubles“ gerieten diese beiden Fraktionen aneinander. In den Konflikthochburgen Derry und Belfast waren Autobomben und Häuserbrände eine sich über dreißig Jahre erstreckende traurige Realität.
Radikale Gruppen wie die „Irish Republican Army“ (IRA) fanden immer mehr Zuspruch. In Belfast wurde gezwungenermaßen eine „Peace Wall“ errichtet, die katholische von evangelischen Siedlungen abschottete. Überbleibsel dieser Mauer kann man bis heute in Belfast entdecken, ebenso wie Graffitimalereien, die je nach Lage innerhalb der Stadt unterschiedlichen Opfern gedenken. In versteckten Ecken findet man beim Erkunden der Stadt außerdem regelrechte Schreine, die auf mehr als subjektive Art und Weise die Verbrechen der Gegner verurteilen. Die „Troubles“ verursachten den Tod von 3600 Menschen und mehr als 50 000 Verletzte. Nicht zu vergessen sind die heute noch nachhallenden Spaltungen von ganzen Gemeinden. Das „Good Friday Agreement“ von 1998 brachte jene Auseinandersetzun gen zu einem Ende.
Zentraler Bestandteil dieses Abkommens ist eine offene, fast schon unsichtbare Grenze zwischen den beiden Staaten. Laut John Paul Newman, Dozent für Geschichte an der University of Maynooth, führte dieses Abkommen zu einem erfolgreichen „modus operandi“ für nunmehr 21 Jahre.
Dieser relative Friede ist durch den Brexit nun wieder in Gefahr. Die Entscheidung Großbritanniens, aus der EU auszutreten, verkompliziert die Regelung der irischen Grenze erheblich. Nicht nur würde durch eine sichtbare Grenze mit Kontrollen das „Good Friday Agreement“ verletzt werden. Irland droht nun auch die Wiederkehr feindlicher Auseinandersetzungen zwischen Unionists und Nationalists. Mögliche Konsequenzen eines britischen EU-Ausstiegs für Irland sowie die Frage der Grenze wurden in der von Lügen geprägten Meinungsmache vor der Entscheidung schlichtweg nicht thematisiert. Dabei ist es keine Angelegenheit, die man auf die leichte Schulter nehmen sollte. Rút Ní Theimhneáin, Irischdozentin in Maynooth, sorgt sich um den bereits fragilen Frieden in Nordirland und den Grenzgebieten. Sie ist der Meinung, dass negative Auswirkungen des Brexits auf die irische Wirtschaft zu erneuter Gewalt im Norden und einem Bruch des Friedens in ganz Irland führen könnten.
Eine „Hard Border“ wäre ein direkter Verstoß gegen das „Good Friday Agreement“ und, wie Newman es ausdrückt: „I do not believe anybody, Leave or Remain, Irish or British, wants this“. Der sogenannte „Backstop“ findet zwar mehr Zustimmung, ist aber seinerseits umstritten, da er nur eine Verzögerung eines unmöglich zu lösenden Problems bedeutet.
Fakt ist, dass über die Spannungen auf der irischen Insel, die während der „Troubles“ so brutal aus dem Boden brachen, nie Gras gewachsen ist. Zusätzlich zu kommunalen Spannungen muss sich Irland auch mit terroristischen Organisationen auseinandersetzen. So wurde erst im Januar 2019 eine Autobombe in Derry gesprengt und im April die Journalistin Lyra McKee durch einen Kopfschuss getötet. Zur letzten Tat bekannte sich die „New IRA“, ein Spross eben jener Vereinigung, die in Zeiten der „Troubles“ oft zu extremen Maßnahmen griff. Der Friede in Irland ist also noch längst nicht gesichert. Irland bleibt ein gespaltenes Land, dessen Probleme noch immer nicht überwunden und durch ignorante, überstürzte britische Politik zu früh wieder thematisiert und angefacht wurden.
Von Hanna Hoppe