Die polizeilichen Einsatzpläne auf dem „Fusion“-Festival sorgten für Diskussionen. Zur Debatte steht das Verhältnis von staatlichen Sicherheitsmaßnahmen und freiem Kulturschaffen. Ist eine dauerhafte Polizeipräsenz auf Festivals wünschenswert?
Deutschland sieht einem beunruhigenden Trend entgegen: NSU 2.0 ist nur das jüngste Beispiel des Verwachsens von rechter Ideologie und dem Sicherheitsapparat. Die Bespitzelung staatskritischer Menschen, der NSU-Skandal oder die Gewalt an Geflohenen durch Sicherheitsfirmen zeigen: dies war nicht die Ausnahme. Wen wundert dann der Überwachungseifer gegenüber dem „Fusion“-Festival, das den „Freiheitskommunismus“ feiert und alternative Entwürfe zur Gesellschaft entwickelt? Insbesondere, da die Veranstaltung schon Jahre zuvor ohne Polizeipräsenz auskam? Hier ist nicht die Sorge um das Wohl der Besucher ausschlaggebend für die Sorgen der Polizei. Angesichts des Zustands der Polizei ist zu einer groß aufgestellten Gegenveranstaltung statt Obrigkeitsgehorsam zu raten. Die Frage ist mit einem klaren Nein zu beantworten. Polizei kann weder Sicherheit noch freies Kulturschaffen garantieren.
These 1: Dauerhafte Polizeipräsenz behindert freies Kulturschaffen
Sicherheit und freies Kulturschaffen sind keine Gegensätze; nur wer sich sicher fühlt, kann sich frei entfalten. Die Frage ist: Wer ist frei, welche Kultur zu schaffen? Die Polizei oder die Feiernden? Foucault zeigt, dass allein der Verdacht, beobachtet zu werden, das Verhalten verändert. Polizeipräsenz bedeutet, Kontrolle über Kulturschaffende auszuüben und ihr Verhalten zu bestimmen. Gerade Reflektion über Kultur und Experimente, sie zu ändern – ob gedanklich oder konkret –, lassen sich in Anwesenheit der Polizei wesentlich schlechter ausführen. Wer würde schon gerne über die Legalisierung von Marihuana, die Enteignung von Banken oder Dumpsterdiving reden, wenn ein Polizist mithört? Dank Vorratsdatenspeicherung und weitreichenden Befugnissen hat die Polizei bereits große Freiräume, ihre Kultur im Alltag zu behaupten. Braucht sie mehr?
These 2: Das Sicherheitsbedürfnis überwiegt das Interesse an einer ungestörten Teilnahme am Festival
Ist das aber nicht gut so? Die Polizei will uns doch schützen, richtig? Naja. Wie wir an NSU (2.0) sahen, ist sie hauptsächlich dafür gut, rechte Extremisten zu schützen und mit ihnen Minderheiten nachzustellen. Mehr Investition in Polizei ist ebenfalls keine Lösung. Amerika ist ein gutes Beispiel dafür, dass starke Polizeipräsenz und Ausstattung vor allem zu tragischen Toden unschuldiger Menschen, wie dem von Trayvon Martin, führt. Ein Polizist kann dich auch nicht versorgen, wenn du eine Alkoholvergiftung oder eine Panikattacke hast. Höchstens dafür in Gewahrsam nehmen. Sicherheit auf Festivals ist wichtig, ja. Aber die Polizei kann Straftaten nicht rückgängig machen, lediglich Personen dafür bestrafen. Wichtiger ist es, Sanitäter, Ordner und anderes professionelles Notfallpersonal vor Ort zu haben.
These 3: Generelles Misstrauen gegenüber der Polizei ist Grund an der Kritik an der Polizeipräsenz
Tatsächlich vertrauten über 80 Prozent der Deutschen letztes Jahr Polizisten. Angesichts der Unterwanderung durch rechte Kräfte ist aber dieses blindes Vertrauen verheerend. Ein Beispiel sind die Aufmärsche rechten Hasses in Chemnitz: Statt Schutz erhielten Journalisten Anzeigen und Schikane von Seiten der Polizei, die sich zum Erfüllungsgehilfe der Rassisten machte. Wenn der Einfluss der Polizei mobilisiert werden kann, um Journalisten zu diskreditieren, dann ist das eine Gefahr für unsere Demokratie. Die Polizei ist kein neutraler Schiedsrichter, sondern durch Vorurteile und politische Ansichten im Handeln bestimmt. Es ist nicht verwunderlich, wenn sie nicht auf Festen willkommen ist, auf denen Minderheiten sich wohlfühlen sollen.