Der Bologna-Prozess wird 20 Jahre alt. Die italienische Universitätsstadt feiert, während weiterhin kritische Stimmen bestehen
In der altehrwürdigen Universitätsstadt Bologna spielte sich am 24. Juni ein seltsames Schauspiel ab. Gekleidet in wehende, altertümlich anmutende Talare zogen Männer und Frauen in einer langen Prozession durch die Altstadt, um sich schließlich in dem mittelalterlichen Palazzo Re Enzo einzufinden. Es handelte sich dabei um Hochschulvertreter aus mehreren Dutzend Ländern. In jenem Palast fanden nämlich die Feierlichkeiten zum 20-jährigen Jubiläum des wohl umstrittensten Hochschulreformvorhabens der vergangenen Jahrzehnte statt: dem Bologna-Prozess.
Im Jahr 1999 unterzeichneten die Bildungsminister von 29 europäischen Staaten in Bologna eine Absichtserklärung, in welcher die Errichtung eines europäischen Hochschulraumes beschlossen wurde. Man setzte sich konkrete Ziele, die auf freiwilliger Basis durch nationale und internationale Regelungen erreicht werden sollten. Zu diesen Zielen gehörten die Schaffung eines zweistufigen Systems von Studienabschlüssen (Bachelor und Master), die Einführung des Leistungspunktesystems und Maßnahmen zur Förderung der Mobilität für Studierende in Europa. Seitdem finden meist alle zwei Jahre Treffen der Bildungsminister der inzwischen 48 teilnehmenden, nicht nur europäischen Staaten statt, bei denen die Fortschritte beurteilt und das weitere Vorgehen abgestimmt werden. Unterstützung bei der Umsetzung erhalten die Staaten dabei von einer Arbeitsgruppe auf europäischer Ebene, der „Bologna-Follow-Up Group“.
Unter den Teilnehmern der zweitägigen Konferenz, die im Anschluss an die Feierlichkeiten stattfand, war auch Marc Baltrun, der Referent für Hochschulpolitische Vernetzung der Verfassten Studierendenschaft Heidelberg. „Die Teilnahme an einem internationalen Kongress erschien mir eine gute Gelegenheit, Kontakte zu knüpfen und überhaupt mal vertiefendes Wissen über den Bologna-Prozess zu sammeln“, teilt er mit. Besonders die Teilnahme am Diskussions-Panel zu den sozialen Dimensionen von „Bologna“ lieferte ihm viele Anregungen. Es sei wichtig, dass Hochschulen auch im Bologna-System ihrer sozialen Verantwortung gerecht werden: „Zum Beispiel indem ein Umdenken stattfindet, dass nicht nur mehr die Veröffentlichungen nach Qualität und Quantität bewertet werden, sondern auch der ‚Social Impact‘, also der Nutzen für die Gesellschaft, betrachtet wird.“ Vonseiten der Uni Heidelberg heißt es in diesem Kontext auf Anfrage: „Die Übernahme sozialer Verantwortung im Sinne der Förderung von Chancengleichheit, Diversität oder Gendergerechtigkeit ist keine Frage des Bologna-Prozesses, sondern eine zentrale Aufgabe, zu der sich die Universität Heidelberg nicht zuletzt in ihrem Leitbild bekennt.“
Doch auch über die sozialen Themen hinaus bleibt beim Bologna-Prozess noch viel zu tun. Die Liste der Kritikpunkte ist immer noch lang: Sie reicht von der unzureichenden Berufsqualifizierung des Bachelorabschlusses über die nach wie vor großen Qualitätsunterschiede zwischen den europäischen Hochschulen bis hin zur generellen Aushöhlung des humboldtschen Bildungsideals. Grundsätzlich finde er es gut, dass es einen Rahmen gibt, in dem europaweit zusammengearbeitet werde, auch wenn der Bologna-Prozess noch lange nicht bei den Zielen angelangt sei, die er sich ursprünglich einmal gegeben habe, sagt Baltrun. Gerade die reale Vergleichbarkeit zwischen den teilnehmenden Länder sei noch nicht gegeben: „Das dürfte auch in Zukunft schwierig sein, wenn an unfairen ‚Finanzierungswettbewerben‘ wie der Exzellenzstrategie festgehalten wird.“
Von Cornelius Goop