Die Bewerbungsfristen der Begabtenförderungswerke sind vor Kurzem zu Ende gegangen. Stipendien sollen zu mehr Bildungsgerechtigkeit beitragen. Aber werden sie ihrem Anspruch gerecht?
Stipendien waren ursprünglich dazu gedacht, begabte und engagierte Studenten zu fördern. Damit sollten sie unterschiedliche Ausgangsbedingungen ausgleichen. Aber bei der Bewerbung zeigt sich nicht nur, dass sich beispielsweise Arbeiterkinder oder Frauen systematisch weniger Erfolg haben. Das liegt unter anderem daran, dass Akademikerkinder oft nicht nur engere Kontakte zu Parteien oder Stiftungen haben, sondern auch mehr Zeit, ihren Lebenslauf mit guten Noten und sozialem Engagement auszuschmücken, weil sie sich nicht nur um weil sie sich nicht mit Nebenjobs herumplagen müssen. Vielen Stiftungen geht es nicht mehr um finanzielle Förderung, sondern um Prestige und Vernetzung. Mit Bildungsgerechtigkeit hat das nichts mehr zu tun.
These 1: Die Stipendienchancen werden maßgeblich durch Geschlecht und Elternhaus bestimmt.
Obwohl Frauen im Schnitt bessere Noten in der Schule und im Studium schreiben, erhalten sie seltener ein Stipendium als Männer. Das Cusanuswerk mag sich da von anderen Stiftungen unterscheiden, aber die Statistik zeichnet ein anderes Bild: Insgesamt erhalten 20 Prozent weniger Frauen eine Förderung von den Begabtenförderungswerken. Frauen bewerben sich zwar insgesamt seltener, aber ihre Bewerbungen sind auch seltener von Erfolg gekrönt sind. Gründe hierfür könnten nicht zuletzt in der Sozialisation oder in struktureller Ungleichheit zu finden sein.
Ähnliches gilt für Arbeiterkinder. Wann soll man sich auch engagieren, wenn man am Wochenende kellnern muss, weil die Eltern nicht genug verdienen? Oder wenn die Eltern weder Bibliothek, noch ein Klavier im Haus haben?
These 2: Stipendien fördern elitäres Denken.
Bei den großen Stipendiengebern bleibt die Elite beispielweise unter sich. Die Mehrheit der Stipendiaten stammt aus Familien mit sozioökonomisch hohem Status. Was hat es mit Vielfalt zu tun, wenn Diplomatensöhne und Professorentöchter unter sich bleiben? Und wie sollen Stipendiaten egalitäres Denken entwickeln, geschweige denn die Fähigkeit, Brücken zu bauen, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken? Was dafür fehlt ist die Stimme des Kindes, welches um vier Uhr morgens aufstehen musste, um Zeitungen auszutragen.
Wenn in den Auswahlgremien dann noch Akademiker sitzen, ist es keine große Überraschung mehr, wenn die Wahl auf das Akademikerkind fällt. Am Ende entscheidet nicht die Leistung, sondern auch der Habitus.
These 3: Für mehr Bildungsgerechtigkeit sind Stipendien ein geeignetes Instrument.
Nein, ein geeignetes Instrument wäre ein höheres und elternunabhängiges BAföG. Das würde Studierende unabhängig von ihrer Herkunft dazu ermutigen, ihr Potenzial zu verwirklichen, auch gegen den Widerstand der Eltern.
Aber das reicht nicht: Stattdessen muss der Staat viel früher anfangen. Ganztagsschulen mit Hausaufgabenbetreuung würden die Eltern aus dieser Pflicht entlassen. Bildungsgutscheine könnten die Entfaltung aller Kinder unabhängig von dem kulturellen Kapital ihrer Familie befördern. Dies und weitere Maßnahmen würden eine gerechte Behandlung von Kindesbeinen an ermöglichen und die Grundlage für ein Studium schaffen.
Wer aber glaubt, dass die jetzige Stipendienlandschaft Arbeiterkinder dazu ermutigt, ein Studium aufzunehmen, lebt in einer Traumwelt.