Das Buch zieht meist den Kürzeren, wenn es mit Netflix und Instagram konkurriert. Unsere Autorin nimmt sich eine Woche lang jeden Tag Zeit zum Lesen
Ich gehöre zu den Menschen, die gerne betonen, wie viel sie ja als Kind gelesen haben und wie sie sich stundenlang durch verschiedene Welten schmökerten. Wie jede Person, die das so gerne betont, füge ich danach immer hinzu, dass ich jetzt leider weniger lese und dass man damit ja eigentlich mal wieder anfangen müsste. Genauso wie man ja mal wieder mehr Sport machen oder weniger am Handy hängen müsste. Leider blieb auch das Lesen bei mir nach jedem Neujahr ein „müsste“. Ab und zu lese ich zwar ein paar Seiten, sehe dann aber etwas auf meinem Display aufblinken und kann mich nicht mehr konzentrieren. Meine Aufmerksamkeitsspanne ist vergleichbar mit der einer Dreijährigen. Mit Selbstdisziplin habe ich es nicht so.
In der Hoffnung, wieder Spaß am Lesen zu finden, melde ich mich also begeistert dafür, mir sieben Tage lang ein wenig Zeit zum Lesen zu nehmen.
Dass es trotz meiner hohen Motivation schwer werden würde, meinen inneren Schweinehund zu besiegen, zeigt sich schon wenige Stunden nachdem ich mich bereitwillig dafür eingetragen hatte, diesen Artikel zu schreiben.
Diese Nacht stehe ich vor der Wahl, wie auch die drei Nächte danach, mich entweder todmüde von Instagram Explore Videos berieseln zu lassen oder mich im grellen Licht einer Stehlampe auf ein Buch zu konzentrieren. Also entschließe ich mich dazu, erst in der darauf folgenden Woche anzufangen.
Es ist Donnerstagnacht um halb zwei Uhr morgens und eigentlich wollte ich schon seit anderthalb Stunden schlafen. Genervt schlage ich die Augen auf und denke mir, dass ich die große Tasse Kaffee heute besser nicht getrunken hätte.
Mir ist langweilig, und ich rechne aus, dass ich nicht mal mehr sechs Stunden Schlaf bekomme, wenn ich nicht in den nächsten zwei Minuten einschlafe. Nichtsdenken und Augenschließen bringen nichts, aber vielleicht macht lesen ja müder. Also stehe ich auf, reiße die Fenster auf, knipse das Licht an und blicke auf mein Bücherregal, in dem genau 17 ungelesene Bücher stehen. Ich greife nach dem ansprechendsten Rücken, „Every Last Lie“ von Mary Kubica, schmeiße mich zurück aufs Bett und lasse mich in die Welt von Clara und Nick fallen. Nach 23 Seiten merke ich, wie meine Augen langsam schwerer werden. Ich schließe zufrieden das Buch und schlafe ein.
Die Abendplanung für Freitag steht noch nicht ganz fest, also platziere ich mein Handy neben mir und das Buch auf meinen Schoß, um nichts zu verpassen. Ich versuche, auf den Bildschirm zu linsen, ohne die Konzentration zu verlieren. Natürlich klappt das nicht. In der nächsten halben Stunde erfahre ich nur brockenweise mehr über Nicks Tod. In meiner Welt konkretisieren sich die Pläne für den Abend auf dem Bildschirm neben mir und reißen mich jedes Mal erneut aus der Geschichte. Enttäuscht von meiner eigenen Zerstreutheit klappe ich das Buch zu und nehme mir vor am nächsten Tag, bevor ich lese, das Handy ganz weit wegzulegen. Wie es aber nunmal so ist, fällt es mir schwer, aus Fehlern zu lernen. So entpuppt sich auch der Samstag als Fehlversuch.
Für den Sonntag hatte ich mir vorgenommen, das Lesen möglichst früh hinter mich zu bringen, um nicht gegen Abend wieder irgendwo eine Stunde zwischen Tür und Angel freischaufeln zu müssen. Ein Glück also, dass der Handyakku eines iPhone5 und die Pünktlichkeit der Deutschen Bahn zuverlässig schwach sind. So verbringe ich die Bahnstrecke zwischen Heidelberg und Darmstadt mit Claras Versuchen, mehr über den Tod ihres Ehemannes in Erfahrung zu bringen.
Auch Montag und Dienstag geben mir das Gefühl, mein Leben heftig im Griff zu haben. Mit meinem Handy zu Hause und dem Buch unter dem Arm setze ich mich auf eine Bank vorm Marstall. Ungestört schmökere ich vor mich hin und werde erst langsam von einem steigenden Geräuschepegel aus meiner Konzentration gerissen.
Am Mittwochmorgen muss ein Autofahrer sich auf der Ringstraße besonders geärgert haben, als er gegen halb sechs Uhr morgens meint, alle Anwohner mit einem Hupkonzert aus dem Schlaf reißen zu müssen. Wach und genervt überlege ich noch, eine Stunde vor mich hin zu gammeln, entschließe mich dann jedoch, bei dem Cliffhanger, bei dem ich gestern stehen geblieben bin, weiterzulesen. Jetzt endlich bin ich kurz davor, herauszufinden, warum Nick so viele Geheimnisse vor seiner Frau Clara hatte.
Obwohl die sieben Tage jetzt um sind, freue ich mich darauf, morgen, wenn ich auf meine Freunde auf der Neckarwiese warte, das Buch zu Ende zu lesen. Ich hoffe, dass ich jetzt öfter daran denke, eines der nun verbleibenden 16 Bücher in meine Tasche zu werfen, um meine Pausen nicht nur mit der immer gleichen Playlist oder Instagram zu verbringen.
von Mona Rouhandeh