Warum sind Menschen unterschiedlich intelligent? Ein großer Teil der Antwort liegt in unserer DNA. Die Einzelheiten haben es in sich – und können Weltbilder auf den Kopf stellen
Gen und Gesellschaft
In der Serie Gen und Gesellschaft lotet der ruprecht die Bedeutung genetischer Entdeckungen für das menschliche Zusammenleben aus. Diesmal widmen wir uns speziell den genetischen und gesellschaftlichen Aspekten von Intelligenz. Bild: jjo[/box]
Seien es knifflige Statistikaufgaben, brummende Schädel trotz leerer Köpfe nach Nachmittagen in der Bibliothek, die unmöglich scheinende Abgabe eines Papers, ein Sudoku, Schrödingers Katze oder das Maultaschenrezept der Großeltern. Häufig sehen wir uns im täglichen Leben mit den Grenzen unserer eigenen Intelligenz konfrontiert. Auf die eigene Faulheit fluchend fällt der Blick rasch den Turborechnern, Blitzmerkern, Schnellschreibern, Hobbyknifflern, den Weiterdenkern und Traumköchen zu. Haben diese Leute etwas mehr bekommen? Ist bei Ihnen etwas anders? Ist man selbst zu wenig? Einfach zu dumm?
Inwiefern unsere geistigen Kompetenzen durch genetische Grundvoraussetzungen bedingt werden, ist nicht bloß für das Bildungs- und Erziehungswesen relevant. Wegen der nachweislichen Erblichkeit von Intelligenz gestalten sich auch ethische Debatten um den pränatalen Eingriff in die DNA schwierig. Namhafte Experten haben Alarm geschlagen, nachdem letztes Jahr zwei Babys auf die Welt kamen, deren Erbgut durch die „Genschere“ CRISPR/Cas verändert wurde.
Die Verhaltensgenetik weiß seit langem, dass die Bandbreite von Intelligenz innerhalb der Gesellschaft zu großen Teilen an genetischen Unterschieden liegt. Wie sehr, hängt dabei vom Alter ab. Auch wenn bei Kleinkindern nur ein Fünftel der Intelligenzunterschiede durch verschiedene DNA zu erklären ist, steigt diese Zahl bis ins Erwachsenenalter dramatisch: auf 60 Prozent.
Mittlerweile kennt man auch einen Teil der beteiligten Gene. In einer aufsehenerregenden Studie wurden über eine Million US-Amerikaner nach ihrer DNA in Fünftel eingeteilt, sogenannte Quintile. Dabei stellte sich heraus, dass die Personen im höchsten Quintil eine um 40 Prozentpunkte größere Wahrscheinlichkeit hatten, einen Collegeabschluss zu erreichen.
DNA-Unterschiede bestimmen Intelligenzunterschiede
Genetischer Einfluss findet sich über die gesamte Bildungslaufbahn hinweg. Schon im Grundschulalter lassen sich Leistungsunterschiede durch genetische Vielfalt erklären. Der entsprechende Anteil, die Erblichkeit, beträgt je nach Bereich zwischen 44 Prozent (Buchstabieren) und 73 Prozent (Lesen). Varianzen in der Umwelt, in der Kinder aufwachsen, sind weit weniger bedeutend. Insgesamt erklären die Abweichungen des Elternhauses nur zwölf Prozent des Bildungserfolgs – so zumindest der Mittelwert aus den USA, Großbritannien und den Niederlanden.
Vor diesem Hintergrund mag es nicht überraschen, dass Schüler in Großbritannien systematische genetische Unterschiede aufweisen, je nachdem, welche Schulart sie besuchen. Fast zwei Drittel der Schüler auf weniger selektiven Schulen haben demnach einen eher niedrigen genetischen Score – niedriger als der Durchschnitt auf anspruchsvolleren Schulen.
An den Extremen zeigen sich die Unterschiede besonders deutlich. Im obersten Zehntel der genetischen Bandbreite findet man dreimal so viele Schüler auf selektiven Schulen wie im untersten. Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, zeigt sich, dass diese Muster von Leistungseigenschaften kommen. Insgesamt sieht es also danach aus, dass die beobachtete genetische Schichtung aus erblichen Leistungsunterschieden herrührt.
Auch später kommt es für den Bildungserfolg darauf an, welches Erbmaterial man in sich trägt. An britischen Unis lässt sich rund die Hälfte der Leistungsunterschiede auf genetische Abweichungen zurückführen. Das Umfeld eines Menschen nimmt einen großen Einfluss darauf, ob er sich für ein Studium entscheidet. Wie er sich dann an der Uni schlägt, liegt aber kaum noch an äußerer Prägung.
Das Elternhaus ist nur begrenzt wichtig
Das ist jedoch nicht die ganze Geschichte. Immer mehr zeigt sich, dass der Ausdruck natürlicher Begabungen vom Elternhaus abhängt. Eine unlängst erschienene Metaanalyse verwies auf die unterschiedliche Erblichkeit des IQs in verschiedenen sozialen Schichten: Je nach sozioökonomischem Status manifestieren sich natürliche Talente verschieden stark. Dieses Phänomen, das Fachleute den Scarr-Rowe-Effekt nennen, konnte vor allem in den USA nachgewiesen werden – in den letzten Jahren aber immer mehr auch in Europa. So wurde die verhängnisvolle Interaktion von Begabung und Elternhaus allein in Deutschland bereits mehrmals aufgespürt.
Schlauere Eltern „vererben“ ihre Intelligenz jedoch nicht stärker als andere Menschen. Über die Generationen hinweg schleifen sich extreme IQs auch ab: Kinder sind tendenziell näher am Mittelwert der Bevölkerung als ihre Eltern. Wenn also knapp ein Fünftel der sozialen Ungleichheit unter britischen Kindern an DNA-Differenzen liegt, gibt das nur ein undeutliches Abbild der Gene, die ihren Eltern zu Status und Erfolg verholfen haben. Der tatsächliche genetische Anteil an der sozialen Schichtung dürfte daher größer sein.
Dass Begabung sich nicht immer ungefiltert ausdrückt, zeigt auch ein beachtlicher Befund aus Estland. Dort hat sich die Erblichkeit von Erfolg in Bildung und Beruf nach der Unabhängigkeit 1991 verdoppelt. Also wurden genetische Unterschiede nach dem Übergang zum Kapitalismus zweimal so wichtig wie zuvor. Diese beachtliche Entwicklung gilt als Zeichen für eine stärker leistungsorientierte Selektion: In marktwirtschaftlichen Gesellschaften würde sich Erfolg stärker nach Talent richten als in der kommunistischen Planwirtschaft.
Mehr noch, höhere Intelligenz geht mit vielerlei Vorteilen in anderen Bereichen einher. So haben Menschen mit einem höheren IQ eine höhere Lebenserwartung, und zwar hinsichtlich jeglicher Art von Todesursachen. Auch erfreuen sie sich einer robusteren Gesundheit als andere.
Nicht nur das, sondern auch ansatzweise zu wissen, warum das Denken einem schwerfällt, und wie sich geistiges Vermögen modifizieren ließe, führt zu gesellschaftlich sehr schwierigen Fragen. Eine intelligente Antwort auf solche Probleme zu finden, fällt wohl jedem schwer – unabhängig von der Genetik.
Von Paula Jemima Binder und Lukas Jung
Lukas Jung studiert Philosophie und Politikwissenschaft. Er schreibt seit SoSe 2018 für den ruprecht – vor allem über Wissenschaft, Investigatives und Stadtentwicklung. Seit SoSe 2019 leitet er das Ressort Wissenschaft. ruprecht-Urgestein.