Die neue Hochschulinitiative Dedda fördert offenen Umgang mit psychischen Problemen, indem sie wöchentliche Gesprächsrunden anbietet
Begrüßt wird man überall mit einem „Wie geht’s dir?“ oder „Wie läuft das Studium?“. „Ich habe fünf anstehende Klausuren, sitze täglich bis tief in die Nacht in der Bibliothek, frage mich jeden Morgen beim Aufstehen, wofür ich das hier eigentlich alles tue, und weiß gar nicht so recht, wie lange ich es hier noch aushalte.“ Das wäre die ehrliche Antwort. Stattdessen hört man aus dem eigenen Munde ein „Alles gut, und bei dir so?“, und man verfällt im Handumdrehen in Smalltalk.
Doch warum trauen wir uns nicht, mal zu sagen, wie es uns wirklich geht? Dass einen das Studium überfordert, dass man an manchen Punkten so gar nicht weiterweiß und sich am liebsten einfach in sein Bett verkriechen und nie wieder rauskommen würde, ist ein sehr verbreitetes Problem unter Studierenden. Angesprochen wird dieses Thema unter Freunden oft nur kurz – das Ausmaß des Problems wird selten ganz klar.
Doch die Konsequenzen können gravierend sein. Spricht man nicht mit anderen Menschen über seine Probleme, so werden depressive oder nervöse Gedanken oft nur noch verstärkt. An dieser Stelle setzt die neue Hochschulinitiative Dedda an. Die Gruppe engagiert sich für offeneren Austausch zwischen Studenten beim Thema psychische Probleme. Gegründet wurde sie von Bella, Germanistik-Studentin im Bachelor, und Tobi, der in Physik promoviert. Jeden Montag finden dazu um 19 Uhr im Dachgeschoss des Marstallcafés sogenannte „Realtalk-Abende“ statt, bei denen die Möglichkeit besteht, anonym über jegliche Sorgen des Alltags sprechen zu können. Was im Marstall besprochen wird, bleibt auch im Marstall. Somit erhofft sich das Paar, dass sich Studierende ermutigt fühlen, ihre Sorgen vom Leib zu reden und zusammen Lösungen zu finden. Dabei haben sie auch keine Hemmungen, selbst an der Diskussion teilzunehmen. Tobi hat besonders im Master sehr unter psychischen Problemen gelitten, weswegen er seit Längerem eine Psychotherapie macht. Seine Probleme sieht er als Potenzial: „Der beste Schritt, Menschen das Vertrauen zu geben, ist, zu ihnen zu gehen und zu sagen „Hey, ich erzähl‘ dir was von mir. Vielleicht magst du mir auch von dir erzählen.“
Zur Gründung wurde Tobi von seiner Tätigkeit als Tutor beeinflusst, wo er immer wieder mit den psychischen Problemen der Studierenden konfrontiert wurde, die seiner Meinung nach häufig durch das Hochschulsystem ausgelöst werden. Der hohe Leistungsdruck und die Konkurrenz untereinander machen es nicht leicht, das Studium zu absolvieren. Darum sehen Tobi und Bella auch so einen großen Bedarf für Dedda. Die Nightline, eine Hotline, die ab 21 Uhr anonym erreichbar ist, sei zu unpersönlich, um eine längerfristige Beziehung aufzubauen und ist außerdem in den Semesterferien nicht verfügbar. Bei der Psychosozialen Beratungsstelle für Studierende (PBS) werden viele immer noch durch den Stempel „psychisch krank“ abgeschreckt. Dabei ist die PBS keine Anlaufstelle für Psychotherapie, sondern eine Beratung um eine Strategie zur Problemlösung zu finden. Das heißt jedoch nicht, dass die PBS ausstirbt – mittlerweile ist ein fester Termin kurzfristig sehr schwer zu bekommen. Doch der leitende Psychologe Hofmann sieht darin auch eine positive Tendenz: „Es kann auch sein, dass die Akzeptanz steigt. Dass es nicht so stigmatisiert ist wie vor zehn Jahren, wenn man mit etwas nicht zurechtkommt und deswegen zum Psychologen geht.“ Hofmann empfiehlt außerdem, für eine erste Einschätzung einen Hausarzt aufzusuchen, um herauszufinden, ob eine Psychotherapie sinnvoll ist.
In Zukunft möchten auch Bella und Tobi eine Verbindung zu anderen Institutionen aufbauen und Studierende an diese weiterleiten oder weitergeleitete Studierende aufnehmen. Im Gespräch mit den beiden wird klar: Ihnen ist das Thema wichtig. Sie möchten das Stigma brechen und mehr Gemeinschaft in das Studentenleben einführen. Was die beiden den Interessenten ans Herz legen würden: „Ich weiß, die Hemmschwelle ist groß, aber gebt uns doch einfach mal ’ne Chance.“
Von Natascha Koch
Dieser Artikel ist Teil einer Reihe über psychische Probleme im Studium. Weitere Beiträge: Der Preis des Examens und Dröhnende Stille.
Natascha Koch studiert Politikwissenschaften und Geschichte und schreibt seit 2019 für den ruprecht. In ihren Artikeln dreht es sich um aktuelle politische und gesellschaftliche Trends und alles, was die Welt bewegt – oder auch nur das Internet. Seit 2020 leitet sie das Ressort für die Seiten 1-3.
Nicolaus Niebylski studiert Biowissenschaften. Beim ruprecht ist er seit dem Sommersemester 2017 tätig – meist als Fotograf. Er bevorzugt Reportagefotografie und schreibt über Entwicklungen in Gesellschaft, Kunst und Technik. Seit November 2022 leitet er das Ressort Heidelberg. Zuvor war er, beginnend 2019, für die Ressorts Studentisches Leben, PR & Social Media und die Letzte zuständig, die Satireseite des ruprecht.
Lieber Hugo,
Zunächst herzlichen Dank für deinen ausführlichen Kommentar und das Äußern deiner Bedenken. In dem Artikel mag es anders rüberkommen, aber Dedda ist natürlich nicht dafür da, um psychische Krankheiten zu therapieren, denn wie du schon richtig gesagt hast, fehlen uns dafür die nötigen Qualifikationen. Generell meiden wir das Wort ‚Krankheiten‘ und sprechen eher von ‚Problemen‘. Die #Realtalk-Abende sollen eher als Angebot für Studierende mit Alltagsschwierigkeiten und Probleme mit dem Studium gesehen werden. Es soll die Möglichkeit geschaffen werden, einfach frei über das Reden zu können, was einen gerade beschäftigt oder Probleme bereitet, ohne verurteilt oder schief angeguckt zu werden. Auch kann es eine Möglichkeit sein für Studierende, die noch nicht so richtig in Heidelberg angekommen sind, soziale Kontakte zu knüpfen. Bei schweren Problemen stehen wir beispielsweise mit der PBS in Kontakt und haben auch andere Anlaufstellen auf die wir verweisen können. Unser Angebot soll sich eigentlich in die Schnittstelle von PBS und Nightline einbinden und soll als Selbsthilfegruppe verstanden werden, die eben nicht anonym ist. Ich hoffe deine berechtigten Bedenken können hiermit etwas erleichtert werden und vielleicht schaffst du es ja auch mal, an einem Abend dazu zukommen.
Liebe Grüße
Das Dedda-Team
Beim Lesen des Artikels stellen sich mir doch einige Fragen, die mir auch nach einer Online-Recherche zu Dedda noch Bauchschmerzen bereiten.
Am meisten erschreckt mich, dass die Initiative den Umgang mit psychischen Problemen fördern will, ohne dass an irgendeiner Stelle erwähnt wird, woher die dafür nötigen Qualifikationen kommen. Weder hier, noch auf der Seite von Dedda taucht dazu irgendetwas auf. Dass Tobi selber in Therapie ist, befähigt ihn leider noch lange nicht dazu, Anderen in dieser Hinsicht zu helfen.
Versteht mich nicht falsch; ich will keinesfalls schlechtreden, dass offener über psychische Probleme geredet wird und dem Stigma entgegengewirkt wird!
Aber ich finde es unmöglich, wie dieses Angebot – hier und auf den Seiten von Dedda – beworben wird. Wenn es eben nicht nur darum geht, dass man gerade den einen Mitbewohner doof findet oder die Freundin Schluss gemacht hat, sondern es explizit auch um psychische Probleme geht, dann ist das einfach nur gefährlich!
Zum Einen ist die Anonymität, die auf der Seite von Dedda zu finden ist, doch in keinem Falle gewährleistet. Wie soll man anonym bleiben, wenn man sich einen Abend lang persönlich unterhält? Nur weil man den eigenen Namen nicht nennen muss, ist es noch lange nicht anonym.
Das gilt ebenso für Bella, Tobi und alle Anderen, die sich bei Dedda engagieren: Ihr seid genauso wenig anonym. Und das kann auch für euch zum Problem werden.
Zum Anderen kann ich, als Psychotherapeut in Ausbildung, euch wirklich nur eindringlich davor warnen, dieses Angebot so zu beginnen bzw. fortzuführen. Was macht ihr denn, wenn Menschen mit psychischen Störungen zu euch kommen? Seid ihr in irgendeiner Weise dafür geschult oder darauf vorbereitet worden? Wie geht ihr mit Studierenden um, die suizidal sind? Da klingeln bei euch hoffentlich noch die Alarmglocken und ihr verweist sie weiter? Aber wohin? Und was, wenn sich jemand von euch dieser Aufgabe aus irgendwelchen Gründen doch gewachsen fühlt und sich dieser Person annimmt? Wollt ihr euch nachher damit auseinandersetzen müssen, dass sich diese Person eventuell suizidiert hat?
Und noch viel schwieriger: Wo liegen die Grenzen zwischen „Mir geht es gerade schlecht und ich esse weniger,“ und einer Anorexie oder Bulimie, die nicht selten tödlich verlaufen?
Das Ganze mag noch so gut gemeint sein, aber am Ende des Tages übernehmt ihr euch da meiner Meinung nach ganz gehörig!
Trotzdem liebe Grüße!