Scientists for Future ist eine Klimaschutzbewegung, die auf eine Stellungnahme im März 2019 zurückgeht. Über 26 800 Forschende aus Deutschland, Österreich und der Schweiz unterzeichneten. Ihre Botschaft: Die Wissenschaft steht hinter den Forderungen von Fridays for Future. Wir haben mit der Leitung der Ortsgruppe der Scientists in Heidelberg gesprochen: Felix Bosco promoviert in Astrophysik, Nelly Monzer promoviert in Psychologie, Felix Munzlinger ist Masterstudent der Informatik und Simon Wengert Masterstudent der molekularen Biotechnologie.
Wie versteht ihr eure Rolle als Scientists for Future?
Wengert: Die ist natürlich so komplex wie die Wissenschaftswelt selbst. Im Kontext von Fridays for Future geht es vor allem darum, den Argumenten und Forderungen und der Dringlichkeit, die da mitkommt, die nötige wissenschaftliche Validität zu geben. Und zu sagen, dass die Dringlichkeit aufgrund der Datenlage äußerst angebracht ist und dass jetzt etwas passieren muss.
Es geht also nicht darum, konkret Lösungen vorzuschlagen? So wie: Eine CO2-Bepreisung wäre sinnvoll, weil…
Wengert: Doch schon, aber das sind eher Lösungsoptionen. Das Wichtige ist, zu trennen, dass nicht irgendeine Entscheidungsoption von uns gutgeheißen wird, sondern dass es verschiedene Optionen gibt, die wir bewerten. Und mit „wir“ meinen wir den Expertenkonsens, nicht uns persönlich.
Munzlinger: Es ist in einer Weise so, dass wir keine expliziten politischen Handlungen fordern dürfen als Wissenschaftler. Wir sind dazu angehalten, Wege vorzugeben, die man gehen könnte, um damit der Politik überhaupt ein Handlungsspielraum zu geben.
Seht ihr euch als Wissenschaftler in einer besonderen Verpflichtung, jetzt politisch wirksam aufzutreten?
Bosco: Würde ich so sagen. Wir als Wissenschaftler sind ausgebildet, abstrakte Daten nachzuvollziehen, aber auch gleichzeitig Arbeiten von anderen Wissenschaftlern aufzuarbeiten. Und genauso müssten wir auch die wissenschaftlichen Analysen der Klimaforschung bewerten können. Wir müssen diese wissenschaftliche Diskussion auf ein Niveau herunterbrechen können, sodass es jeder Mensch versteht.
Monzer: Wir müssen auch nachvollziehbar machen, dass die wissenschaftliche Methode grundsätzlich Unsicherheiten miteinbezieht. Es ist ein Argument von Klimawandelleugnern, dass die Wissenschaft selten sagt: Das ist so. Immer wenn es Prognosen gibt, werden Fehler mit einberechnet. Das ist für die Allgemeinbevölkerung schwer nachvollziehbar und macht dann möglicherweise Leute skeptisch.
Munzlinger: Wenn wir nicht für die Hochhaltung von wissenschaftlicher Erkenntnis einstehen, wie können wir das dann von anderen erwarten? Deshalb müssen wir auch zu einem gewissen Grad aufstehen. Sicher, man lernt im Studium skeptisch zu denken, aber man lernt auch eine ähnliche Sprache zu sprechen, wie es die Forscher tun. Gewisse Worte, die ein Forscher von sich gibt, mögen sich für einen Laien nicht drastisch anhören – aber sie sind es. Sie sind das Drastischste, was der Wissenschaftler von sich geben kann.
Und dennoch sind die Schülerinnen und Schüler euch zuvorgekommen.
Wengert: Sind sie, definitiv.
Munzlinger: Auf jeden Fall in der breiten Masse. Es gab auch vorher die Wissenschaftler, die gesagt haben, der Klimawandel ist real und wird uns einholen. Die Schüler und Schülerinnen haben das mit einem gewissen, sehr prägnanten Nachdruck getan. Und wir sind sehr dankbar dafür.
Was wollt ihr als Regionalgruppe erreichen?
Bosco: Unser lokales Ziel ist, die wissenschaftliche Position zu kommunizieren und an alle Leute weiterzubringen. Es ist wahrscheinlich ein generelles Problem, dass sich die aktuellste Wissenschaft in eigenen Kreisen bewegt. Die neusten Ergebnisse sollten viel mehr in den öffentlichen Diskurs gebracht werden. Das ist ein Ziel von uns: Vorträge organisieren über den aktuellen Stand der Wissenschaft, möglichst in allgemeinverständlicher Sprache.
Munzlinger: Wir machen auch überregionale Dinge, die fangen ja irgendwann in einer Regionalgruppe an. Dann geht man in die Abstimmung mit den überregionalen Gruppen, versucht sich zusammenzuschließen und Konsens zu finden. So haben wir es zum Beispiel geschafft, im Namen von Scientists for Future Germany Fragenkataloge an die Mitglieder des Klimakabinetts zu schicken (Nachtrag der Redaktion: Die Fragen seien vor der Verabschiedung des Klimapakets am 20.09.19 herausgeschickt worden, um die verschiedenen klimapolitischen Positionen der Mitglieder im Vorfeld festzuhalten, erklärt Felix Munzlinger). Man sollte sich nicht daran bemessen, was man regional tun kann – vielleicht wird‘s überregional, vielleicht nicht. Aber auch Sachen, die nicht überregional sind, haben einen Sinn. Think global, act local.
Habt ihr denn weitere lokale Projekte?
Munzlinger: Ja, absolut. Wir haben uns in den letzten Wochen damit auseinandergesetzt, was die Uni Heidelberg für den Klimaschutz macht. Uns ist aufgefallen, dass wir, als Uni Heidelberg, recht wenig tun. Heidelberg produziert jährlich insgesamt knapp 800 000 Tonnen CO2, wovon auf die Uni knapp 200 000 entfallen. Diese Zahl umfasst das Klinikum, die Gebäude, das hat mit Dämmung und Heizung zu tun, mit dem Verbrauch von Servern. Wir müssen damit anfangen, diese Themen anzusprechen.
Wengert: Wichtig ist, dass man nicht bei der eigenen Community aufhört, dass man nicht seine eigene Nase ausschließt. Das ist für die Glaubwürdigkeit wichtig, nicht nur auf andere zu zeigen, sondern auch zu schauen, was kann ich bei mir selbst verbessern.
Ihr habt am Freitag (27.09.19) einen Infostand auf dem Marktplatz. Wollt ihr Leute zum Umdenken bewegen oder über die Bewegung Scientists for Future informieren?
Monzer: All of the above. Grundsätzlich ist es eine Möglichkeit, ins Gespräch zu kommen mit Menschen vor Ort, sich zu zeigen, Infos zu verteilen. Die Frage ist natürlich: Wer taucht da auf? Tauchen da eher kritische Menschen auf – das wäre sehr spannend. Gleichzeitig ist es für uns auch eine Akquise-Idee, sicherlich wollen wir noch mehr Menschen, die bei uns mitmachen. Es geht auch darum, gesehen zu werden, als Teil dieser großen Fridays-Bewegung.
Wen wollt ihr denn in eurer Bewegung haben? Wer kann sich ein Scientist for Future nennen?
Wengert: Ich würde auf die Charta verweisen (www.scientists4future.org/about/charta/). Im weitesten Sinne: Jeder der einen akademischen Hochschulabschluss hat, kann gerne dazukommen. Es ist eine Graswurzelbewegung, sie ist lokal organisiert und hat einen losen Zusammenhalt. Wichtig ist, dass generell Sachen wie der Fragenkatalog, die in den Raum der Expertise fallen, nochmal einen internen Peer-Review durchlaufen. Es wird nichts herausgeschickt von Einzelpersonen.
So wie in der universitären Wissenschaft auch?
Wengert: Genau, es gib ein Gutachterverfahren. Es gibt einen Expertenpool, nicht beschränkt auf die Naturwissenschaften, der schließt auch Geistes- und Sozialwissenschaften ein.
Munzlinger: Ich glaube, gerade dadurch wird es auch interessant, da so viele verschiedene Leute am Tisch sitzen. So ein Prozess des sich aktiv für mehr Klimaschutz Einsetzens …
Monzer: … ein gesellschaftlicher Umwälzungsprozess.
Munzlinger: Genau, dieser Prozess braucht auch von allen möglichen Ecken Unterstützung. Und die bilden alle möglichen Disziplinen im universitären Rahmen ab. Deswegen wäre es von uns kurz gedacht, nur eine gewisse Gruppe von Menschen zuzulassen zu dieser Diskussion.
Bosco: Du kannst in jeder wissenschaftlichen Disziplin einen Bezug zum Klimawandel finden.
Welche Projekte erhofft ihr euch von Scientists for Future in naher Zukunft?
Munzlinger: Mein Projekt ist der Fragenkatalog. Den habe ich mit Agnes Gambietz gemacht und ganz viel von der „Scientists for Future Deutschland“-Ecke eingeholt. Irgendwann kommen die auch zurück – hoffentlich – und dann wird das Auswertearbeit, das bedeutet, das Ganze zusammenzutragen und zu veröffentlichen.
Bosco: Ein wichtiges Projekt wäre das Konzept, das in Berlin schon stattfindet, Lectures for Future auch hier umzusetzen. Und das auch öffentlich zugänglich zu machen, die Sprache anzupassen, damit viele Leute von den Fakten erfahren können. Damit das auch in der Gesellschaft ankommt.
Das Gespräch führte Hans Boehringer