Gassi gehen im Wandel der Zeit
Um die Oberkörper der Leute, deren Generationenbezeichnungen nahe am Ende des Alphabets liegen, baumelt seit einiger Zeit ein neues Accessoire. Die Menschheit hat sich entschlossen, ihre Mobiltelefone vermeintlich lässig um den Körper zu tragen. Das Prinzip der Handyhülle zum Umhängen ist simpel. In der Gastronomie würde man sagen: Handy im Hüllenmantel an Schnur. Und dafür 30 Euro zahlen. Et voilà – die Umhängehülle.
Fragt man die einseitig blinkenden Träger nach dem Kaufgrund, bekommt man ausschließlich eine Antwort: „Es ist so praktisch!“ Bedenkt man, dass das Telefon bei derartigem Tragen dem Regen ausgesetzt ist, wandert die erste Augenbraue nach oben. Beachtet man den fehlenden Datenschutz, der durch das offene Herumtragen alle Nachrichten einsehbar macht, runzelt man zusätzlich die Stirn. Der Preis provoziert ein Kopfschütteln und bei dem bescheuerten Aussehen entweicht einem ein gequältes Winseln. Wer sich damit auf den Weihnachtsmarkt traut, kann nicht ernsthaft überrascht sein, wenn er am Ende des Tages nur noch mit der Hülle dasteht. Das ist genauso, wie einen Alkoholiker vor ein Glas Rotwein zu setzen und sich dann zu wundern, dass das Glas nach ein paar Minuten leer ist.
Zu kritisieren, dass man das Mobiltelefon immer griffbereit haben muss, wäre sehr 2012. Darum geht es bei den angeleinten Plastiklappen auch nicht. Sie füllen einfach eine Lücke, die nie da war. Dass ein Griff in die Hosen- oder Manteltasche dem Konzept „Griffbereit“ im Weg stehen soll, erscheint zusätzlich widersprüchlich.
Das Dämlichste an den Hängehandys ist nicht, dass sie nur einen Nutzen haben. Sie erfüllen ausschließlich den Zweck, das Telefon um den Körper zu hängen. Zu nichts anderem sind sie zu gebrauchen. Nachdem die eigentliche Handyhülle fest mit der Schnur verbunden ist, kann man weder das Seil noch die eigentliche Hülle separat verwenden. Legt man sein angeleintes Telefon ab, windet sich die Schnur wie eine Blindschleiche über die gesamte Tischplatte. Clevere Handyträger lassen also das Geschirr im Sitzen umgelegt, laufen dabei aber Gefahr, dass ihr Handy von jedem Passanten achtlos getreten und von Hunden beschnuppert wird. Die Dinger sind so vielseitig wie die Bananenbox. Und ebenso überflüssig. Mit dem Unterschied, dass man in eine Bananenbox im Zweifel noch Nüsse füllen kann, während die Hängehülle nur für ein einziges Handymodell brauchbar ist. Geht das aktuelle Handy kaputt – vielleicht durch einen Wasserschaden – muss man gleich eine neue Leine kaufen.
Ironischerweise ist dieser Trend parallel zu einem anderen aufgetaucht. Nachdem jahrelang jeder seinen Laptop in wenig ästhetischen Säcken durch die Innenstädte schleifen musste, sind seit einiger Zeit bequeme, gutaussehende, geräumige Rücksäcke der Kassenschlager. Oft kommen sie mit integrierter Powerbank, sind regensicher und sind dabei vor allem eins: praktisch.
Von Svenja Schlicht
Svenja Schlicht machte im Sommer 2020 ihren Bachelor in Politikwissenschaft und Ethnologie an der Uni Heidelberg. Von Februar 2020 bis August 2020 leitete Sie das Feuilleton. Theater und Kultureinrichtungen waren aber bereits seit Oktober 2019 vor der ruprecht-Redakteurin nicht mehr sicher. Jetzt studiert sie an der Kölner Journalistenschule und freie Journalistin.