Caroline Rosales stellt bei Querfeldein ihr Buch „Sexuell verfügbar“ vor und diskutiert
feministisch über Pornos, Pop und Poesie
Ein Mädchen wird erzogen zur Achtung anderer statt zur Selbstachtung. Eine Teenagerin muss mit Magersucht kämpfen, später mit den pornogefütterten Ansprüchen ihres Freundes. Eine Frau lässt einen sogenannten One-Night-Stand über sich ergehen, aus Angst, den Mann zu kränken. In „Sexuell verfügbar“ geht Rosales an die Wurzeln des sexuellen Missbrauchs, versucht in dem Dickicht von Erziehung, Normen und Machtstrukturen auszumachen, woraus der Boden besteht, auf dem die Harvey Weinsteins dieser Welt wuchern. Ja, MeToo taucht oft auf, als die Berliner Autorin bei Querfeldein ihr Buch vorstellte.
„Wenn man MeToo noch etwas hinzufügen will, muss es sehr persönlich werden“, erklärt Rosales. Vor dem ersten Kapitel steht ein Zitat aus einem von Britney Spears‘ persönlichsten Songs: „you wanna piece of me“ – dass dies zu ihrem Buch passt, sei Rosales beim Joggen aufgefallen. Wie bei Britney geht es in „Sexuell verfügbar“ um den Blick von Männern auf Frauen, um die Forderungshaltung: Gib dich, sei brav, sei verfügbar. Rosales schreibt über eine allgegenwärtige Sorge um „fuckability“, über Frauen, die deshalb eher schlechten Sex ertragen als sich durchzusetzen. Sie schreibt über ihre Kindheit, ihre Erziehung, darüber, wie sie als junge Journalistin die Grauzonen nahe an sexuellem Missbrauch erlebt hat – es ist ein intimes Buch, auch dazu passt das vorangestellte „piece of me“. Auch wenn Rosales über sich schreibt, gemeint sind alle Frauen: „,Sexuell verfügbar‘ ist der Wert, der für eine Frau immer mitschwingt, egal welches Alter, welcher Beruf.“
„Hätte ich vor MeToo so geschrieben, wäre ich in der Erotiksektion gelandet.“ Viel habe sich geändert, auch vor MeToo, erklärt Rosales. Um das zu erkennen, reiche ein Blick zurück auf Pornos aus den Neunzigern: Lecken suche man da vergebens. Damals sei Feminismus „schrullig“ gewesen, „das war für Emanzen“ – für den Wandel spreche schon, dass zwei Männer, Dominik Kohl und Cedric Wilhelmy, heute mit auf dem Podium sitzen. „Feminismus hat sich gemainstreamed – jetzt gilt es, gegen den Backlash anzukämpfen“, sagt Rosales im Gespräch mit dem ruprecht. Sie spricht über eine MeToo-fatigue: Bei einer ihrer Buchpräsentationen hätten ein „paar alte Männer mit Jutebeuteln“ „Sexuell verfügbar“ erspäht, aufgehoben und dann den Feminismus entdeckt (Rosales imitiert Naserümpfen): „Doch nicht.“
Die Schriftstellerin Antonia Baum kritisierte kürzlich in der ZEIT den „Male Gaze“ mit dem die Autorinnen feministischer Literatur beurteilt würden. Sie sei nicht bereit für einen Text „sozusagen die Beine breitzumachen“, um „gesellschaftlich relevante und gleichzeitig – dumme Koinzidenz – schlüssellochhafte Themen beispielhaft zu machen“. Wäre es schlimm, wenn man (Mann) „Sexuell verfügbar“ aus voyeuristischen Gründen liest? Nein, antwortet Rosales, das könne zum Nachdenken anregen und vielleicht entdecke sich ein Leser (Mann) in dem Text wieder. Sie will eine möglichst breite Beschäftigung mit dem Thema. Dazu wünscht sie sich ein ähnliches Buch aus einer männlichen Perspektive. Der Diskurs um MeToo dürfe nicht nur auf einer wissenschaftlichen Ebene geführt werden – das sei auch Aufgabe der Literatur, des geschriebenen Wortes.
Wo gibt es Feminismus betreffend in der geschriebenen, in der schreibenden Welt noch Grund zum Anecken? Beim Gendern zum Beispiel. „Das finde ich gut, Sprache muss mit der Zeit gehen“, sagt Rosales – und gendert meistens nicht. Warum? Wegen der Männer ganz oben in Zeitungen und Verlagshäusern – wenn Autorinnen zusammenhalten würden und es mehr Frauen in der Chefetage gäbe, sähe das anders aus. Rosales erzählt eine Anekdote: Sie habe einen Artikel für die Bild am Sonntag geschrieben und der sei denen dann – Überraschung – zu feministisch gewesen. „Undruckbar“, das sei ein Kommentar in der Redaktionssitzung gewesen. Doch printability ist Chefsache und wandelt sich: Trotz Widerstand habe schließlich das Wort der Chefredakteurin Marion Horn ausgereicht (Rosales gestikuliert gebieterische Gleichgültigkeit): „Wird gedruckt.“
Der ruprecht hat übrigens keine Chefredakteurin und keinen Chefredakteur.
Von Hans Boehring