Wolfgang Ernst ist Förster des Heidelberger Stadtwaldes. Ein Gespräch über die Geschichte des Waldes, Borkenkäfer und die Auswirkungen des Klimawandels
Herr Ernst, auf Matthäus Merians Kupferstich aus dem Jahr 1620 ist auf dem Königsstuhl nur wenig Wald zu erkennen. Wie kam Heidelberg zu seinem heutigen Stadtwald?
Zunächst hatte das strategische Gründe. So konnte man Angreifer auf das Schloss schon von Weitem sehen. Früher war aber auch die Bedeutung des Holzes als Brennstoff und Baumaterial und später dann in der Köhlerei größer. Es fand eine Übernutzung des Waldes statt.
Und wie kam es dann zur Aufforstung des Königsstuhls?
Da gab es mehrere Wellen. Das hat zunächst mal damit begonnen, dass Samen aus dem Odenwald gesammelt, vermischt und ausgesät wurden, die noch heute in der Literatur zu findende „Odenwälder Mischsaat“. Da sich die Laubbäume in der ersten Generation oft schwerer tun, insbesondere auf schlechten Böden, nahm der Nadelbaumanteil in Heidelberg stetig zu. Hinzu kam das Problem, dass der Wald gleichzeitig noch Waldweide war und die Kühe und Ziegen besonders die jungen Laubhölzer gerne fraßen.
Wie sah dieser ursprüngliche Odenwald denn aus?
Die dominante Baumart bei uns wäre mit etwa 70 bis 80 Prozent der Fläche die Buche. Die Fichte dagegen kommt von Natur aus bei uns im Odenwald gar nicht vor. Sie kommt in den Hochlagen, in den Hochmooren in Oberschwaben und natürlich in Skandinavien und Russland vor.
Wodurch kam ihr weiterer Siegeszug dann zustande?
Die Reinertragslehre, die Ende des 19. Jahrhunderts das Forstwesen prägte, spielte der Fichte in die Karten. Die Fichte produziert auf einem Hektar etwa 450 Kubikmeter Holz. Das Gleiche kann zwar auch die Buche liefern, doch diese braucht dafür statt 80 Jahren etwa 150 Jahre. Auch für ihre geraden Schäfte wurde sie geschätzt. Waren im Mittelalter noch Buchen und Eichen mit viel Astmaterial als Brennholz gefragt, wurde die Fichte nun für ihren hohen Stammholzanteil zum idealen Lieferanten für Bauholz. Das führte dazu, dass man die Fichte in großen Stil anpflanzte. Die Nachfrage nach Bauholz wurde durch andere Materialien aber wieder verringert.
Warum setzte man auch im 20. Jahrhundert auf die Fichte?
In Deutschland gab es damals große Autarkiebestrebungen und die relativ hohen Erträge der Fichte führte zu einer größeren Unabhängigkeit von Importen.
Und nach dem Zweiten Weltkrieg?
Die Reparationszahlungen an die Alliierten mussten auch in Form von Holz gezahlt werden. Die Wälder wurden auf großer Fläche im Kahlschlag abgeerntet. Als man danach wieder neuen Wald begründen wollte, hat man aus der Not heraus wieder die Fichte gewählt. So sind die reinen Fichtenbestände, welche wir an der Kuppe des Königsstuhles vorfinden, aus dieser Zeit.
Wann kam es zu einem Umdenken?
Die sogenannten Jahrhundertstürme in den 90er Jahren waren ein weiterer gravierender Einschnitt für die Forstwirtschaft. Seit 1991 hat man die Forstwirtschaft konsequent umgestellt. Statt dem Kahlschlag, bei dem alle Baumarten auf einer Fläche gefällt werden, ist heute die Naturverjüngung üblich. Bei dieser lässt man die heruntergefallenen Samen den neuen Wald begründen. Seitdem haben wir nur noch dort gepflanzt, wo entweder die Borkenkäfer oder ein Sturm uns Lücken beschert haben oder wir bewusst eine Änderung vornehmen wollten. Aufgrund des Borkenkäfers und der stärkeren Stürme wird seit geraumer Zeit vermehrt auf Laubholzarten gesetzt.
Und wie geht es ihm nun, unserem Heidelberger Stadtwald?
Wenn man jetzt momentan durch den Wald läuft, sieht man noch wenig vom Klimawandel oder vom Absterben der Bäume. Dem Übersäuerung der Böden ausgelöste Waldsterben in den 70er und 80er Jahren wurde durch die Entschwefelung der Großkraftwerke etwas Einhalt geboten. Auch die Bodenschutzkalkungen haben geholfen, die Versauerung der Böden zu reduzieren.
Aber?
Aber wir haben die letzten Jahre gemerkt, dass der Klimawandel den Bäumen extrem zusetzt. Die Hauptwachstumsphase der Bäume findet ja im Mai und Juni statt. Dann sollten die auch mit Niederschlägen üppig übersät werden. In den letzten Jahren sind wir jedoch oft von einem trockenen Frühjahr in einen heißen Sommer übergegangen.
Wenn es dann mal regnet, dann haben wir Starkregen, bei dem das Wasser schnell abfließt. Ein niederschlagsreicher Winter, in dem langsam der Schnee schmilzt und in den Boden sickert, das fehlt uns.
Was ist mit dem Borkenkäfer, von dem man diesen Sommer überall lesen konnte?
Je heißer und trockener, desto mehr sind Insekten im Vorteil, insbesondere der Borkenkäfer. Da es bereits im Frühjahr warm genug für seine Fortpflanzung ist, konnte er in den letzten Jahren bis zu drei Generationen hervorbringen.
Der Borkenkäfer ist besonders für die Fichte ein Problem. Machen die anderen Baumarten mehr Hoffnung?
Bei der Buche haben wir ein Problem, wenn sie starker Sonneneinstrahlung ausgesetzt ist. Da platzt schon mal die Rinde auf, wenn über mehrere Stunden über 35 Grad herrschen. Die Wasserleitungen des Baumes verlaufen unter der Rinde und haben einen kühlenden Effekt von 1 bis 3 Grad. Bei diesen hohen Temperaturen kann der Baum kein Wasser mehr nach oben transportieren und der kühlende Effekt geht verloren.
Die Eiche dient oftmals als Metapher für Robustheit. Kann sie Abhilfe verschaffen?
Auch wenn sie sehr kostspielig sind, haben wir es in den letzten Jahren auch wieder mit der Pflanzung der Eiche versucht, denn sie kommt tatsächlich sehr gut mit der Trockenheit zurecht. Aber unter dem Frost beim Königsstuhl leidet sie massiv. Der Schnee fällt durch die höheren Temperaturen nur nicht mehr als Pulverschnee, sondern in Form von schwerem Nassschnee. Da gleichzeitig die Bäume durch den warmen Herbst relativ lange ihre Blätter behalten, kann es passieren, dass die ganze Pflanze einfach umkippt, wenn sich der Schnee auf sie legt.
Genaue Klimaprognosen sind also entscheidend für sie. Woher nehmen Sie diese?
Wir arbeiten mit der forstlichen Versuch- und Forschungsanstalt in Freiburg zusammen. Dort sitzen Wissenschaftler aus verschiedenen Gebieten und erstellen sogenannte Baumarteneignungskarten. Die Entwicklung des Klimawandels überfordert die Wissenschaftler aber zusehends. Sie springen den Ereignissen hinterher. Wir tappen im Dunkeln. Wir haben eine Auswahl an fremdländischen Baumarten, aber ob diese tatsächlich dem Klima widerstehen können, wissen wir auch nicht.
Bedeutet das, man sollte den Wald in Ruhe lassen?
Nein, die normale Nutzung widerspricht dem nicht. Holz ist als nachwachsender Rohstoff ein klimaneutraler Energieträger zum Heizen. Als Baumaterial wird CO2 sogar über Jahrzehnte gespeichert. Auch in der Verarbeitung verursacht Holz nur sehr wenig CO2. Ganz anders sieht es bei der Stahl- oder Zementherstellung aus. Also so gesehen spricht alles für die aktive Holznutzung. Rodungen, bei denen Wald in landwirtschaftliche Fläche umgewandelt wird, finden bei uns ja nicht mehr statt. Dazu kommt noch, dass Bäume in ihrer Jugend ein stärkeres Wachstum haben und somit mehr speichern, als im Alter.
Es kann also gut für das Klima sein, den Wald zu verjüngen?
Ja, aber das ist ja nicht die einzige Aufgabe, die wir als Förster haben. Wir bemühen uns auch um Artenschutz. Für viele Tiere im Wald sind ältere Bäume wichtig, da diese mehr Totholz in der Krone haben. Bestimmte Insekten brauchen genau solches Altholz. Wir sind also trotzdem daran interessiert, den Wald alt werden zu lassen.
Heidelberg lässt sich die Nachhaltigkeit seines Waldes mit mehreren Zertifikaten bestätigen. Diese schreiben aber auch vor, dass ausschließlich heimische Baumarten angepflanzt werden dürfen. Inwieweit ist das noch sinnvoll, jetzt da sich die Klimazonen verschieben?
In der Tat kann man unseren Stadtwald um eine Höhenzonierung nach unten korrigieren. Aber die Einstufung der Baumarten finde ich etwas befremdlich, denn auch die Esskastanie oder die Walnuss werden als nicht-heimische Baumarten eingestuft, obwohl sogar die älteste wissenschaftliche Beschreibung der Esskastanie aus Heidelberg stammt. Für uns sind aber gerade diese Arten sehr interessant, da sie mit Trockenheit gut zurechtkommen.
Der kühlende Effekt kann auch das Klima innerhalb einer Stadt verbessern. Wie sieht hier die Situation in Heidelberg aus?
Heidelberg hat etwa 50 000 Bäume im Stadtgebiet, wovon allein im letzten Jahr wegen Trockenschäden etwa 400 abgestorben sind. Die diesjährige Trockenheit wird sich nächstes Jahr wahrscheinlich in noch schlimmerem Ausmaß zeigen. Wir versuchen gegenzusteuern. Die Gartenplaner tun sich jedoch sehr schwer, noch geeignete Baumarten zu finden.
Das Gespräch führte Joel Seiffer.