In mehreren Reihen stehen sie da, den Blick auf die Leinwand gerichtet. Conor O’Brien steht als Chorleiter mit Mikrofon und Keyboard bewaffnet an ihrer Seite. Ungefähr dreißig Personen kommen einmal im Monat zum Choir Club im Karlstorbahnhof. Er ist ideal für Chorsängerinnen und Chorsänger, die nicht mehr die Zeit für wöchentliche Proben haben. Aber auch Menschen, die sonst nur im Auto oder unter der Dusche singen, einen Ausgleich zum stressigen Alltag suchen oder einfach etwas Neues ausprobieren wollen, sind hier genau richtig. Gemeinsam werden Klassiker der modernen Popmusik einstudiert. Dafür muss man kein geübter Sänger sein.
Nachdem Beamer, Keyboard und Technik stehen und der richtige Text an der Wand zu sehen ist, geht es mit dem ersten Song los. Die Lieder werden nicht einfach von Anfang bis Ende durchgesungen. Abschnittsweise gibt Conor für Textstellen, an denen er eine spezielle Idee hat, oder bei schwereren Passagen gezielte Tipps und Anweisungen. Manche Zeilen gibt er vor, lauter oder leiser zu singen. Manche Zeilen teilt er in der Gruppe auf, sodass ein Part höher und der andere tiefer singt. An vielen Stellen lässt er Freiheiten, die die Möglichkeit erschaffen, die eigene Stimme nach Belieben einzusetzen.
Die Abschnitte werden dann wiederholt und verfeinert. Danach wird das Lied vollständig gesungen, und ehe man es sich versieht, singen dreißig sich eigentlich fremde Menschen zusammen „Hit me, baby, one more time“ ganz ohne 90er-Party. Auf diese Weise wurden dieses Mal auch „Basket Case“ von Green Day und das Highlight des Abends „I‘m Gonna Be (500 Miles)“ von The Proclaimers ganz neu einstudiert. Im Anschluss an das Singen kann man sich in einem Buch noch Lieder für die Zukunft wünschen.
Conor weiß dabei genau, was er tut, denn die Musik begleitet ihn auch über seine Freizeit hinaus. Aufgewachsen ist er in einer Künstlerfamilie in Springfield (Illinois) und hat an der Universität in Oklahoma Music Composition studiert. Seit 2014 lebt er in Deutschland, arbeitet in einem Kindergarten als Musiklehrer und ist Teil der Band „Classic Brian“ – und seit kurzem ist er auch Leiter des Choir Clubs. Dabei erhält er Unterstützung seiner Freunde, die ihm beim Aufbau helfen oder das Weiterskippen des Textes übernehmen.
Für Conor ist der Choir Club eine Möglichkeit, frei und ohne Vorgaben Musik zu machen. „Das Schöne ist, dass ich an niemanden gebunden bin. Ich finde, der Choir Club ist eine Mischung aus Chor und Karaoke“. Es ist nicht wichtig, besonders gut singen zu können, Liedtexte auswendig zu lernen oder Noten lesen zu können. Eine Teilnehmerin beschrieb die Veranstaltung sogar als „Singen am Lagerfeuer ohne Feuer“.
Da man in einer Gruppe singt und diese nicht den Anspruch hat, dies perfekt zu tun, muss man keine Angst haben, nicht gut genug zu sein oder Fehler zu machen. Der Spaß steht hierbei klar im Vordergrund. Das erkennt man auch an der angenehmen und lockeren Atmosphäre. Zusätzlich trägt die entspannte und sympathische Art des Chorleiters zu dieser Stimmung bei. Conor lockert das Ganze auf, indem er zum Beispiel über kleine Details seiner Arbeit im Kindergarten spricht.
Zu Glühwein, Spekulatius und Tannengrün findet am 18. Dezember um 20 Uhr die Christmas Edition des Choir Clubs statt. Der bekannte Weihnachtssong „Last Christmas“ steht auch auf dem Programm, wird allerdings erst am Ende gesungen. Falls man also von diesem Song schon genug hat, besteht die Möglichkeit der frühzeitigen Flucht.
Von Manuel Kraiss
Manuel Kraiss studiert Economics. Er schreibt seit Herbst 2019 für den ruprecht - vor allem über Geschehnisse rund um Heidelberg und die Universität.