Die Vorbereitung auf die erste juristische Prüfung (von Studierenden auch ehrfurchtsvoll-zärtlich „das Examen“ genannt) ist eine stressige Angelegenheit. Viele haben während der Vorbereitung auf die alles entscheidende Prüfung mit Angstzuständen und Depressionen zu kämpfen.
Das war nicht von Anfang an allen klar. Jura sei „einfach“, schrieb 2014 Thomas Fischer, damals Bundesrichter und Zeit-Kolumnist im Nebenberuf, und löste prompt einen Shitstorm aus. Zuletzt läuteten die Alarmglocken aber selbst im Elfenbeinturm der juristischen Lehre. In Heidelberg ist dieser Turm zwar nicht aus Elfenbein, sondern eher asbestverseucht. Hier sind die Examenskandidaten aber auch besonders gestresst.
Die Fakultät fackelte nicht lange und handelte: Die Villa HeidelPräp! wurde eingerichtet. Examenskandidaten können sich dort für einen Arbeitsplatz bewerben, an dem sie sich zwei Semester lang zusammen mit Gleichgesinnten auf das Examen vorbereiten. Dazu gab die Fakultät eine Studie in Auftrag, die ermitteln sollte, ob die Maßnahme fruchtet.
Die Ergebnisse können seit kurzem auf einem Plakat im juristischen Seminar eingesehen werden. Sie überraschen kaum: Kandidaten werden immer gestresster, je näher der Examenstermin rückt – wer jemals mit einem Examenskandidaten zu tun hatte, kommt zwangslos zum selben Resultat. Auch sind Kandidaten, die einen Arbeitsplatz in der Villa ergattern konnten, weniger gestresst als Kollegen, die sich mit anderen um Lernplätze balgen müssen.
Die Studie schlussfolgert, eine Examensvilla sei eine strukturelle Ressource. Strukturelle Ressourcen bei der Bekämpfung von Stress und seelischen Krankheiten sind Einflüsse, die aus dem Umfeld der Betroffenen kommen.
Der Fokus auf strukturelle Ressourcen heißt, Ursachen für Stress und Depression nicht mehr – wie bisher geschehen – nur bei den Kandidaten selbst zu suchen, sondern auch in deren Umfeld und Lernbedingungen.
Das ist ein guter Anfang. Die Examensvilla geht aber nicht weit genug – und setzt zu spät an.
Warum nicht weit genug? Sie hilft nur Studierenden, die einen Platz bekommen. Die Platzvergabe erfolgt nicht notenabhängig, aber die Kapazitäten sind begrenzt. Die Villa kann nicht allen helfen, die Hilfe bräuchten. Besser ist das „Projekt Selbstregulation“, das allen Studierenden offensteht. Es zeigt Wege auf, mit Examensstress umzugehen und trägt so hoffentlich zur Entstigmatisierung bei („Kann ich noch verbeamtet werden, wenn ich in Therapie war?“). Blöd nur, dass das dann nicht im Vorlesungsverzeichnis der Fakultät zu finden ist. Ist aber auch weniger glamourös als eine Examensvilla.
Warum kommt die Villa zu spät? Weil Jura nicht einfach ist, man dem eingangs erwähnten Thomas Fischer aber Recht geben muss, wenn er sagt, dass viele Schwierigkeiten, denen angehende Juristen im Studium begegnen, nicht mit Komplexität oder Umfang der Materie zu tun haben. Bei den Juristen gibt es einen menschengemachten Klimawandel eigener Art: Es wird eine Umgebung erzeugt, die Studierenden unnötige Angst vor ihrem eigenen Studium macht – auch durch Mitglieder der Fakultät.
„Schaut euch die Leute rechts und links von euch an, nächstes Semester sind die nicht mehr da!“ Dieser Klassiker wird häufig von Lehrpersonal zu Studienbeginn serviert.
Unabhängig davon, dass er unwahr ist (sonst müsste ja der gesamte Studiengang abbrechen), versetzt dieser Spruch, häufig garniert mit übertriebenen Aussagen über das Examen („Ja, da müsst ihr mindestens 35 Seiten schreiben.“) schon Erstsemester in eine Atmosphäre, die von Examensangst und dauernden Selbstzweifeln geprägt ist. Das ist unnötig – der Verfasser hat das Examen bestanden, ohne auch nur einmal an den 30 Klausurseiten zu kratzen.
„Jura kann man, oder man kann es halt nicht!“ Eine Meinung, die in Heidelberg von einigen Professoren vertreten und immer wieder zum Besten gegeben wird. Auch das stimmt nicht – Übung und Glück mit den (Examens-)klausuren sind von größerer Bedeutung. Dafür haben Erstsemester nun schon von Anfang an Angst, weil sie glauben, an ihren ersten Klausurergebnissen bereits ihre Examenschancen ablesen zu können. Auch schön.
Strukturelle Ressourcen sind was Tolles. Sie als Aushängeschild zu nutzen, um die echten Probleme ignorieren zu können, jedoch nicht.
von einem anonymen Juristen
Dieser Artikel ist Teil einer Reihe über psychische Probleme im Studium. Weitere Beiträge: Ehrlichkeit statt Smalltalk und Dröhnende Stille.