In ihrer Geschichte war die Kirche der Gleichberechtigung eher abgeneigt. Um zu zeigen, dass sich beides vereinen lässt, organisieren Studierende queere Gottesdienste in der Peterskirche
Das Theologische Seminar in der Karlstraße gehört zu den weniger schönen. Es ist ziemlich grau, es mieft ein wenig und auch von außen wirkt es nicht besonders einladend – Ähnliches hat so mancher schon über die Institution Kirche gesagt.
Doch wer an diesem Spätnachmittag durch die frisch renovierten Gänge schlurft, hört aus einem der Büros lautes Lachen. Hier sitzen Lydia und Lili mit einer Tasse Tee in den Händen und erzählen von sich, ihrem Studium und von ihrer Idee, das Ganze etwas bunter zu gestalten. Was einige zu Beginn nicht so ganz verstehen wollten („Ach, ihr wohnt zusammen, wie cool, eine Zweier-WG!“), ist nun spätestens nach dem zweiten von ihnen organisierten Queer-Gottesdienst allen klar: Die Beiden sind ein Paar.
Am 8. Januar wollen sie gemeinsam mit ihrer kleinen studentischen Gruppe zum dritten Mal unter dem Symbol des Regenbogens einen Gottesdienst in der Peterskirche halten: „Wir haben gemerkt, es gibt kein Angebot und keine Repräsentation. Im Venn-Diagramm von Kirche und Queer-Sein gibt’s keine Überschneidung“, erklärt Lili die Motivation der Organisatorinnen und Organisatoren. Die Idee hatten sie auf einer theologischen Exkursion nach Griechenland: „Auf den Spuren von Paulus“, dem Apostel, von dem eines der populärsten Bibelzitate gegen Homosexualität stammt: „Desgleichen haben auch die Männer den natürlichen Verkehr mit der Frau verlassen und sind in Begierde zueinander entbrannt und haben Männer mit Männern Schande über sich gebracht.“
Pride-Flaggen im Kirchenschiff, ein aufgebrochener Bilderrahmen am Altar, Bohemian Rhapsody auf der Orgel – ansonsten bleibt der Ablauf der protestantischen Liturgie treu. „Man muss keinen untypischen Gottesdienst machen, um etwas Neues zu bringen“, meint Lydia. Es gehe um die Aussage in Predigt, Gebet und Fürbitte, nicht um den Umsturz alles Altbekannten. „Du schockst die Leute mit der Botschaft, aber nicht mit der Form“, stimmt Lili zu.
Die Zusprache von Seiten der Fakultät ist groß – auch wenn sich bei den Veranstaltungen bisher kaum Lehrende blicken ließen. Was die Gruppe hingegen besonders freut: Kommilitoninnen und Kommilitonen, die sie anders eingeschätzt hatten, besuchten den Gottesdienst, um sich ihr eigenes Bild zu machen. Lehrveranstaltungen zu Queer-Theology und Ähnlichem gibt es in Heidelberg nämlich bislang nicht – und das, obwohl diese Thematik durch die Einführung der Ehe für alle im Jahr 2017 für Pfarrerinnen und Pfarrer nun umso größere Relevanz hat. Konkrete kirchenrechtliche Auswirkungen hatte die Gesetzesänderung für die evangelische Kirche nicht: Die Entscheidung, ob homosexuelle Paare getraut werden oder nicht, obliegt der jeweiligen Landeskirche und dort meist der „Gewissensfreiheit“ der einzelnen Pfarrerinnen und Pfarrer.
Was das bedeutet, haben die beiden in einem Heidelberger Gottesdienst am eigenen Leib erfahren müssen: Lydia begleitete die Andacht musikalisch und Lili saß auf der Kirchenbank, als der Pfarrer von der Kanzel herab mit einer Schimpftirade auf die Ehe für alle begann. Auf eine anschließende Konfrontation wollte er sich nicht einlassen – wie soll man mit so etwas umgehen? „Man regt sich auf und macht dann halt das Kontraprogramm“, entgegnet Lili.
Mit den Queer-Gottesdiensten hoffen sie, der Welt zeigen zu können: „Das ist kein Schnitt zwischen den beiden Bereichen, es gibt eine Mitte. Kirche und Queer-Sein muss sich nicht ausschließen“, so Lydia. Denn Skepsis herrscht nicht allein auf Seiten der Kirche, auch queere Freunde können Lydias und Lilis Entscheidung für die Theologie schwer nachvollziehen. „Total verständlich“, meint Lili, wenn man einen Blick auf die Geschichte werfe.
Was den meisten fehle, seien die Berührungspunkte. Weder Lydia noch Lili hätten vor ein paar Jahren gedacht, dass sie einmal auf der Kanzel stehen würden. Während ihrer Arbeit in kirchlichen Einrichtungen im Ausland – Lydia in Costa Rica und Lili in London – fassten beide dann den Entschluss, den Schritt ins Pfarramt zu wagen. Die Bedenken vor dem Studium, dort auf einen „frommen Haufen“ zu treffen, stellten sich schnell als unbegründet heraus. „Ich hab’ dann schon in der ersten Woche festgestellt, die Gedanken hatten wir alle“, erzählt Lili und lacht. Dass die Menschen nicht überall so offen und die Umwelt so divers sein wird, wie im bunten Heidelberg, kann beunruhigen. Oft hören Lili und Lydia deshalb, sie hätten es sich doch leichter machen können mit ihrer Berufswahl, aber für die beiden ist klar: „Wenn man etwas gerne macht, findet man immer einen Weg.“
Von Cosima Macco
Nicolaus Niebylski studiert Biowissenschaften. Beim ruprecht ist er seit dem Sommersemester 2017 tätig – meist als Fotograf. Er bevorzugt Reportagefotografie und schreibt über Entwicklungen in Gesellschaft, Kunst und Technik. Seit November 2022 leitet er das Ressort Heidelberg. Zuvor war er, beginnend 2019, für die Ressorts Studentisches Leben, PR & Social Media und die Letzte zuständig, die Satireseite des ruprecht.
Das ist eine wunderbare und wichtige Aufgabe, die Lili und Lydia da angenommen haben. Es geht um nichts weniger als die Liebe. Ich gratuliere den beiden und wünsche dazu Gottes Segen.
Sergio Jost,
Präsident der Reformierten Kirchgemeinde Wil Hüntwangen Wasterkingen (Schweiz)
und Papa von Lili