Während in San Francisco eine kleine, reiche Oberschicht den Wohnungsmarkt beherrscht, müssen immer mehr Menschen auf der Straße leben. Auch Studierende sind betroffen
Diesen Sommer machte ich die Erfahrung, für eine Summer School Session die University of California, Berkeley zu studieren. Diese liegt etwa 20 Minuten von der kalifornischen Großstadt San Francisco enfernt und steht aufgrund ihrer Geschichte vor allem für Vielfalt, Toleranz und Aktivismus beziehungsweise Protest.
Mehrmals wöchentlich finden Demonstrationen zu tagespolitischen Themen statt, meist geht es darum, Donald Trump loswerden zu wollen – Stichwort Impeachment. Die Demonstrierenden rufen dabei die Parole „Get him out“ in Anlehnung an eine Rede Trumps, in der er eine Kongressabgeordnete mit Migrationshintergrund dazu aufrief, in ihr Land zurück zu gehen, wenn sie mit der Art und Weise, wie die Dinge in USA momentan laufen, nicht zufrieden sei. Es scheint also, als seien die Menschen in San Francisco politisch aktiv und engagiert für benachteiligte Menschen.
Doch wer schon einmal in den USA war, weiß, dass dort nicht alles nur Glitzer und Glamour ist. Die Anzahl der Zeltstädte mit Menschen ohne Dach über dem Kopf ist kaum zu begreifen. Wenn man als Tourist durch San Francisco schlendert, wird einem mulmig und man muss bei dem Anblick schlucken. Die Zeltsiedlungen und die Menschen, die ihre Nahrung für den Tag im Müll suchen, schockieren mich. Verwirrten Menschen, die einem ins Gesicht schreien, begegnet man immer wieder.
Das Problem ist nicht ausschließlich die Obdachlosigkeit an sich, denn die meisten Obdachlosen sind zusätzlich drogenabhängig, ob von Opioiden oder Crystal Meth. Hier sind viele der Meinung, ein Staatsversagen sei die Ursache. Ich frage mich bei dem Anblick, was schiefgelaufen ist, dass es zu diesem Punkt und Ausmaß kommen konnte. Diese Menschen sind Teil der Stadt, prägen das Stadtbild und trotzdem schenkt niemand ihnen Aufmerksamkeit oder hilft ihnen aus ihrer Situation heraus. Amerikaner verfolgen oftmals die Denkweise, dass man selbst daran Schuld sei, wenn man auf der Straße landet. Daher kümmern sie sich nicht um diese armen Menschen. Ich frage meine amerikanischen Freundinnen und Freunde, die gutaussehend, sportlich, weiß und privilegiert sind. Ich frage sie, ob sie sich ihrer Privilegien bewusst sind und was ihrer Meinung nach der mögliche Grund für die Problematik der Wohnungslosigkeit sein könnte. Ich bin überrascht, denn ich führe mehrmals ein wirklich gutes Gespräch, was dazu führt, dass ich realisiere, dass nicht alle Amerikaner gleich sind und so denken, wie wir es erwarten.
Das ist wohl die Besonderheit an der University of California. Dort findet man sehr viele Menschen, die bereit sind, die amerikanische Kultur, die Politik und die Mentalität kritisch zu hinterfragen. Ich nehme sehr viel mit aus diesen Gesprächen und erkenne den Frust, den die meisten Bewohner Kaliforniens verspüren.
„Not my president“ ist ihr Motto, sie fühlen sich nicht wohl in ihrem eigenen Land und schämen sich für die Rhetorik ihres eigenen Präsidenten. Trotz alledem ist eine Reise nach San Francisco sehr zu empfehlen Die Stadt hat sehr viel zu bieten und besitzt einen ganz eigenen Charme, den man selbst erlebt haben muss: Sie ist bunt und sehr vielfältig.
Von Citlalli Brauchle