Bekanntlich kann alles Kunst sein. Weniger bekannt ist, dass alles Mathematik sein kann. Noch weniger bekannt ist, dass sich Kunst und Mathematik vereinen lassen. Ein Ort, an dem das versucht wird, ist das Heidelberger Filmfestival Mathematik und Informatik. Es findet jährlich statt, zum letzten Mal vom 23. bis 30. November 2019 mit dem übergreifenden Thema Künstliche Intelligenz (KI).
Das Festival wird von der „Heidelberg Laureate Forum Foundation“ (HLFF) organisiert, welche Nachwuchswissenschaftlern aus den Bereichen Mathematik und Informatik eine Plattform bieten will. Das HLFF und damit das Festival finanzieren sich zumindest teilweise aus Geldern der Klaus-Tschira-Stiftung.
Ob die Besucher vorwiegend Mathematiker und Informatiker oder doch eher Cineasten sind, sieht man ihnen nicht an. Studenten sind jedenfalls nur wenige dabei: Dafür ist der Altersdurchschnitt im Publikum deutlich zu hoch.
Was das Festival vom normalen Kinobesuch unterscheidet, ist – außer der Filmauswahl – die Begleitung durch Experten mit der Möglichkeit zur Diskussion. Neben Themen wie dem altbekannten Trolley-Dilemma kommen dort auch die grundlegenden Defizite der KI zur Sprache: „Diese Systeme lernen nur Korrelationen, nicht Kausalität“, sagt der Astroinformatiker Kai Polsterer. Er analysiert astrophysikalische Messungen mit Hilfe von Machine Learning und weiß, wie ein Computer denkt – und wie eben nicht.
Abhängig vom gezeigten Film findet das Festival teilweise in sehr familiärer Atmosphäre statt: Die Dokumentation „Autonome Artefakte“ sehen gerade einmal 13 Personen – die beiden Regisseure eingeschlossen. „Autonome Artefakte“ entstand als Masterarbeit der Studenten der Kulturanthropologie Johannes Kohout und Janek Totaro und zeigt deutlich den Stand der aktuellen KI-Forschung sowie den Hype, der darum gemacht wird: Auf einer Messe preisen Start-Ups alle möglichen KI-optimierten Gadgets an, deren Nutzen gering bis mäßig sein dürfte und ein Bordell mit Sexrobotern bietet kaum mehr als Sexpuppen, wenn die Hülle aus Buzzwords einmal gefallen ist. „Autonome Artefakte“ ist hochkarätige und differenzierte Dokumentation.
Sehr verführerisch ist die KI in „Her“ (2013): Ein Mann verliebt sich in sein Betriebssystem. Wen wundert’s, spricht doch der Computer mit der Stimme von Scarlett Johansson. „Her“ ist sachte Science-Fiction, denn der Film spielt in einer Welt, die der unseren vielleicht nur um wenige Jahre voraus ist.
„Between the Folds“ (2008) ist eine meditativ-faszinierende, wenn auch technisch leicht angestaubte Dokumentation über die japanische Kunst des Origami-Faltens. Der Zuschauer kann auf der Leinwand Kunstwerke bewundern, die allesamt aus quadratischen Stücken Papier gefaltet wurden und anschließend am ausgeteilten Papier seine eigenen Origami-Skills ausprobieren. Ein Tipp vom Autor, falls das Werk den eigenen Ansprüchen nicht gerecht wird: Ein zerknülltes Blatt Papier gilt als avantgardistisches Origami. Kunst kann schließlich alles sein.
Das nächste Filmfestival Mathematik und Informatik findet dieses Jahr statt. Wann genau, ist noch nicht bekannt. Möglicherweise wird es aus dem Spätherbst auf den Sommer verlegt, was mehr Besucher anlocken dürfte. Verdient hätte es das Festival auf jeden Fall.
Von Nicolaus Niebylski
Nicolaus Niebylski studiert Biowissenschaften. Beim ruprecht ist er seit dem Sommersemester 2017 tätig – meist als Fotograf. Er bevorzugt Reportagefotografie und schreibt über Entwicklungen in Gesellschaft, Kunst und Technik. Seit November 2022 leitet er das Ressort Heidelberg. Zuvor war er, beginnend 2019, für die Ressorts Studentisches Leben, PR & Social Media und die Letzte zuständig, die Satireseite des ruprecht.