„Du gehst nach Mexiko? Aber du kannst doch gar kein Spanisch!“ So lautete die Frage, die mir immer öfter in meinen letzten Tagen in Heidelberg gestellt wurde. „New Mexico ist der 47. Bundesstaat der USA“, war dann immer meine Antwort. Nun gut, aufgrund der Namensgebung besteht schon eine gewisse Verwechslungsgefahr. Und seit Donald Trump im November angekündigt hat, eine Mauer an der Südgrenze von Colorado zu bauen, ist man sich hier sowieso nicht mehr ganz so sicher, zu welchem Land man überhaupt noch gehört. Ich ging also in einen Staat, dessen Existenz selbst der US-Präsident vergessen hatte.
Genau genommen ging ich nach Burque. Burque ist der Spitzname der größten Stadt von New Mexico – Albuquerque – einer riesigen urbanen Agglomeration mit fast einer Million Einwohnern, die sich zwischen einer Wüste und den Ausläufern der über 3000 Meter hohen Sandia Mountains erstreckt.
Und das ist auch schon mein Hauptgrund für ein Auslandssemester in Albuquerque: endlose Wanderungen im Hochgebirge. Denn nicht nur die Sandias sind nah. In weniger als vier Autostunden, was für Amerikaner eine Kurzstrecke ist, erreicht man die Rocky Mountains. Und wenn das nicht ausreicht, kann man zwei Stunden in Richtung Süden fahren, um endlose Wüsten und riesige Sanddünen zu sehen.
Ich studiere hier Physik an der University of New Mexico, und ich habe Glück gehabt. Genau in diesem Semester wurde unser neues Fakultätsgebäude eröffnet, das mehr an die Headquarters von Google als an eine Universität erinnert. Auch ansonsten ist das Studieren hier ideal. Da es pro Professor nur circa zehn Studierende gibt, kennt man ziemlich schnell die ganze Fakultät. Das einzig wirklich Nervige an einem Studium in den USA sind die Hausaufgaben. Gerade die Grundkurse wirken eher wie eine Schulstunde als eine Vorlesung – tägliche Hausaufgaben inklusive. Der zweite Unterschied zu Deutschland ist, dass gerade auch im Fach Physik großen Wert auf das Lesen von Büchern gelegt wird. Da man teilweise die Lehrbücher in die Klausur mitnehmen darf, ist tägliches Lesen und Markieren dringend geraten.
Der Campus gilt als grünes Herz von Burque. Eine Vielzahl von Bäumen säumt die Pfade zwischen den neuen und den historischen Gebäuden. In der Mitte des Areals befindet sich der Duck Pond, der von übergroßen Enten und Koikarpfen bevölkert wird und allabendlicher Treffpunkt sämtlicher Pärchen ist. Dabei ist Albuquerque eine recht unromantische Stadt. Hochhausschluchten und Shopping-Malls prägen das Stadtbild. Die Sicherheitslage ist in manchen Stadtteilen prekär und die Schere zwischen Arm und Reich ist in New Mexico sehr groß. Die oberen dreißig Prozent leben penibel abgeschottet in Wohnanlagen mit Eisentoren und Sicherheitsdienst.
Eine davon ist auch mein Studentenwohnheim. Ohne Schlüsselkarte werde ich nachts nicht hineingelassen. Die anderen Viertel sind hingegen teilweise sehr heruntergekommen. Einige Straßenzüge sollte man am besten bei Nacht nicht mehr betreten. Es gibt zum Beispiel einen Stadtteil, der bei Wikipedia einen Artikel unter dem Namen „Warzone“ besitzt .
Da sich der Großteil des Lebens auf dem Campus abspielt, ist dies aber kein Problem. Eine Vielzahl von Clubs organisiert das studentische Leben. Ich bin zum Beispiel Mitglied im Mountaineering Club, um meinen Hobbys Wandern und Klettern nachgehen zu können. Auf diese Weise habe ich viele neue Freunde gefunden, mit denen ich auf Touren gehe. Im Oktober war ich zum Beispiel bei -15° Celsius in Colorado Campen und Bergsteigen.
Was bleibt nach einem halben Jahr in Albuquerque? Viele neue Freunde und noch mehr tolle Erinnerungen. Ich kann jedem nur empfehlen, für ein Jahr in diese Stadt zu kommen. Außerdem wurde mir ein kleiner Researchjob angeboten. Da konnte ich meinen Aufenthalt nur verlängern.
von Vincent Enders