Meines Erachtens ist das Studium, vor allem das Bachelor-Studium, insgesamt von viel zu viel Druck bestimmt. Dieser sollte nicht auch noch durch Abgabefristen verstärkt werden. Am Ende gibt es ihn ja dann ohnehin, weil die Punkte für ein Seminar irgendwann in die Gesamtleistung eingehen, und das finde ich früh genug. Selbst hier sind das Ergebnis nicht selten schlampig zusammengenagelte Term Papers, denen es an korrekter Rechtschreibung, Syntax und Semantik, vor allem aber an Ideen fehlt und denen man die Notwendigkeit, gerade noch rechtzeitig irgendwie über die Ziellinie zu kommen, nur allzu deutlich ansieht. Also auch hier noch zu viel Druck, weil alles sich zu sehr um Leistungen und Noten und zu wenig um Inhalte und selbständiges Denken dreht! Um Letzteres sollte es aber an der Universität eigentlich gehen – und etliche Hausarbeiten, die Studierende lange nach dem Seminar und ohne Terminnot bei mir eingereicht haben, sind gerade in dieser Hinsicht besonders erfreulich gewesen.
These 1: In den meisten Jobs gibt es Fristen für Aufträge. Studierende sollten darauf vorbereitet werden, unter Zeitdruck solide Leistungen zu erbringen
Was wohl Wilhelm von Humboldt zu dieser Argumentation gesagt hätte? Es ist nicht die Aufgabe der Universität, Menschen für den Arbeitsmarkt zurecht zu trimmen. Ich versuche, Studierenden, die vor der Aufgabe stehen, einen Lebenslauf zu verfassen, immer zu vermitteln, dass es dabei nicht nur darauf ankommt, für potentielle Arbeitgeber attraktiv zu sein, sondern dass der Lebenslauf auch dazu dient, seinerseits Arbeitgeber auszusieben, deren Jobangebot in Wirklichkeit das Letzte ist, was man brauchen kann.
Stressresistenz ist sicherlich eine gute Sache, aber die Idee, man könnte sie durch Leistungsterror erzeugen, ist ein Irrtum. Sie sollte sich aus einer inneren Gelassenheit ergeben, die sich nicht dadurch aufbaut, dass man von vornherein und schon im Studium ständigem Druck ausgesetzt ist.
These 2: Viele Studierende müssen in der vorlesungsfreien Zeit mehrere Hausarbeiten schreiben. Diese Häufung führt zu Stress und schwachen Leistungen
Diese These kann ich nur bestätigen. Am schlimmsten ist es bei Klausuren, die ich mittlerweile nur noch schreiben lasse, wenn die Prüfungsordnung es vorschreibt. Hier habe ich nicht nur erlebt, wie guten, am Thema interessierten Studierenden unter Stress nichts mehr oder nur noch das Falsche einfiel, sondern auch, wie ebenso gute Studentinnen und Studenten Seminarmaterialien auswendig gelernt und dann eins zu eins in der Klausur wiedergegeben haben. An der Sinnhaftigkeit solchen Tuns habe ich doch starke Zweifel.
Was Hausarbeiten betrifft, bringt es meines Erachtens wenig, wenn man sich mit fünf verschiedenen Sachen gleichzeitig beschäftigen muss und dann keine Zeit mehr hat, irgendwo auch mal in die Tiefe zu gehen oder einen originellen Gedanken zu entwickeln.
These 3: In Hausarbeiten sollen Studierende Inhalte aus einer Veranstaltung des Semesters anwenden. Daher sollte Gelerntes nicht zu weit zurückliegen
Diese These zeigt die ganze Krux eines von Noten und Abgabefristen bestimmten Lernsystems auf. Wir alle kennen das Phänomen der Prüfungs-Büffelei: Man stopft sich innerhalb eines Tages/einer Woche/eines Monats den Kopf mit irgendwelchem Wissen voll, nur um ziemlich kurz nach der Prüfung keine Ahnung mehr zu haben, was überhaupt das Thema war. Dinge, an denen man ein eigenständiges Interesse gewonnen hat, bleiben auch über einen längeren Zeitraum so weit erhalten, dass man später wieder an ihnen ansetzen kann, wenn man es denn gerne möchte. Studierende sind oft sogar zu stark auf das Gelernte fixiert, als sei das etwas, was man in fertiger Form mit sich herumträgt. Aber oft gewinnt man ja erst durch später Erfahrenes eine Perspektive, die das bisher „Gewusste“ in einem neuen Licht erscheinen lässt.
von Hannah Steckelberg und Lara Stöckle