Der Bundesadler auf rotem Hintergrund. Mein deutscher Pass erlaubt es mir, mich frei zu bewegen. Aufgewachsen in einem Europa ohne Binnengrenzen sind mir Sicherheitskontrollen und Visadokumente fremd. Eine Realität, die im Nahost-Konflikt utopisch scheint: Wie weit die Bewegungsfreiheit von Palästinensern und Israelis reicht, entscheidet die Farbe ihres Ausweises.
Ahmad zeigt mir seinen grünen Ausweis. Dieser verbietet es dem Palästinenser, das Westjordanland zu verlassen. „Für mich ist es ein nutzloser Ausweis.“, erklärt Ahmad, „Ich kann nicht nach Gaza, nicht nach Jerusalem. Ich kann nirgends wohin. Mein Ausweis zählt an diesen Orten nicht.“ Um nach Israel einzureisen, muss er am Checkpoint eine offizielle Genehmigung vorzeigen.
Wir treffen uns in Ramallah, seinem Lebensmittelpunkt: Hier wohnt der 29-Jährige und arbeitet für eine Tageszeitung. Verglichen mit anderen Palästinensern muss er in seinem Alltag weniger Kontrollpunkte passieren. Denn das israelische Militär kontrolliert auch zwischen den Verwaltungszonen des Westjordanlandes.
Die Aufteilung der Westbank geht auf den historischen Handschlag zwischen Jitzchak Rabin und Jassir Arafat zurück. Im Rahmen des im Jahr 1993 beginnenden Oslo-Friedensprozesses verhandelten der israelische Ministerpräsident und der Vorsitzende der Palästinensischen Befreiungsorganisation über eine Realisierung der Zweistaatenlösung.
Das zwei Jahre später unterzeichnete Oslo II-Abkommen teilte die von Israel besetzte Westbank in drei administrative Zonen: A, B und C. Sie sollten zusammen mit dem Gazastreifen binnen fünf Jahren der palästinensischen Kontrolle unterstehen und die Grundlage für einen autonomen Staat bilden. Nach einer Phase der Stagnation brachen die Verhandlungen im Juli 2000 ab. Der Oslo-Friedensprozess scheiterte, eine Konfliktlösung rückte in weite Ferne.
Mit dem Beginn der zweiten Intifada im September 2000 und gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen militanten Palästinensern und israelischen Streitkräften verstärkte Israel seine Sicherheit: 2001 begann der Bau der Sperranlage – eine 759 Kilometer lange und acht Meter hohe Betonmauer, die entlang der Grenze zwischen Israel und dem Westjordanland verläuft.
Die Hürde zwischen Israelis und Palästinensern ist Ausdruck zweier Narrative: Während die israelische Regierung sie als nötigen „Sicherheitszaun“ betrachtet, um die eigene Bevölkerung vor Angriffen zu schützen, bezeichnen Palästinenser sie als „Apartheid-Mauer“ und kritisieren die zunehmende Einschränkung ihrer Rechte.
„Ich würde gerne Jenin sehen.“, sagt Tal Bouhnik. Heute sei das aber zu unsicher. Der 29-Jährige Israeli hat einen blauen Ausweis: „Es fühlt sich an, als wäre es ein normales Land, in dem ich einen regulären Ausweis habe, der mir Bewegungsfreiheit garantiert.“ Tal arbeitet in der Tourismus-Branche. Dabei betritt er auch die palästinensischen Gebiete – angenehm ist das nicht: „Ich fühle mich unsicher, wenn ich Hebräisch spreche.“
Kennengelernt haben Ahmed, Tal und ich uns vor einem Jahr in Berlin – neutraler Boden, wie die beiden meinten. Sich hier zu treffen ist keine Selbstverständlichkeit. Früher sei das einfacher gewesen, heute keine Option mehr: „Wenn mich ein israelischer Freund in Ramallah besuchen würde, würden Palästinenser und Israelis uns zu Verrätern erklären. Er könnte getötet werden.“ Rote Schilder warnen vor dem Betreten der A-Gebiete: „Zutritt für israelische Staatsangehörige verboten. Lebensgefahr.“
Vielleicht würden Begegnungen helfen, die andere Seite zu verstehen und zur Konfliktlösung beitragen. Tals Eltern gingen in den 80ern noch im Gazastreifen einkaufen. Er kann das nicht: „Ignoranz ist unser größter Feind. Sie wächst, wenn es keine Kommunikation gibt. Unsere Realität besteht aus Mauern, Trennung und Angst. Ich wünschte, es wäre anders.“
von Eylül Tufan