Tränen laufen Paulina über die Wangen, als der Dozent ihr die nächste Frage stellt. Sie versucht sie zu beantworten, aber das reicht dem Professor nicht. Über ihre „dumme Interpretation“ lästernd setzt er das Kreuzverhör fort. „Sobald der Unterricht vorbei war, bin ich auf die Toilette gerannt, wo ich eine Panikattacke hatte.“ Eine Stunde lang wurde Paulina von ihrem Dozenten mitten im Seminar gedemütigt.
„Das systematische Anfeinden, Schikanieren oder Diskriminieren von Arbeitnehmern untereinander oder durch Vorgesetzte“ ist die Definition von Mobbing des Bundesarbeitsgerichts, an der sich auch die Universität Heidelberg orientiert. Derartige Handlungen sind verboten, dennoch kommen sie immer wieder vor, denn Situationen, wie sie Paulina erlebt hat, fallen in eine Grauzone.
Zu den Einstellungskriterien von Professoren an der Universität Heidelberg gehört eine „pädagogische Eignung, die in der Regel durch Erfahrung in der Lehre oder Ausbildung oder durch Teilnahme an Fort- und Weiterbildungen in Hochschuldidaktik nachzuweisen ist“. Auf diesen Abschnitt des Landeshochschulgesetzes verweist die Uni Heidelberg auch explizit bei ihren Stellenausschreibungen.
Auf den Institutsfluren kursieren dennoch immer wieder Mobbingvorwürfe gegen Mitglieder der Lehrstühle. Zu den zentralen Beratungsstellen, wie dem Gleichstellungsbüro, dringen sie jedoch kaum vor. „Mobbingsituationen zwischen Lehrenden und Studierenden kommen selten zu uns “ – Agnes Speck ist die Leiterin des Gleichstellungsbüros an der Universität. Erklären kann sie sich das nur dadurch, dass der Begriff „Mobbing“ heute in den alltäglichen Sprachgebrauch übergegangen sei, dabei aber oft nicht den rechtlichen Maßgaben entspräche. Wesentlich häufiger wären daher Mobbingfälle von Dozenten untereinander.
Diese schlechte Kommunikation wurde Lena Kunz zum Problem. Die Dozentin erstellt Probeklausuren zur Examensvorbereitung am Juristischen Seminar. Unter Studierenden ist sie bekannt dafür, sehr komplizierte Aufgaben zu stellen, um diese in Fachzeitschriften zu veröffentlichen. „Ihre Klausuren sind häufig sehr schwer und ähneln den Klausuren, die dann tatsächlich im Examen kommen, nicht wirklich“, verrät uns ein ehemaliger Jurastudent, der sich bei Frau Kunz vorbereitet hat. „Mir kam das realitätsfremd und unverantwortlich vor. Ich hatte den Eindruck, dass meine Zeit verschwendet wird.“
Die Veröffentlichung der Klausuren und die komplizierten Aufgabenstellungen sind am juristischen Seminar gängige Praxis und vorgesehen. „Die Themen sollen die Leute herausfordern und über den normalen Examensstoff hinausgehen, das steht auch in den Vorgaben für uns, die wir dir Klausuren erstellen“, beteuert Kunz. Zudem seien Klausuren Stresssimulationen, die helfen sollen, das eigene Stressmanagement zu verbessern. „Juristen können später sehr mächtige Positionen haben. Da muss man mit komplexen Problemen umgehen können.“ Die Frage, ob sie jemals Rückmeldungen zu ihrer Arbeit erhalten hat, verneint sie. „Ich frage nach jeder Sitzung, ‚Wie fanden Sie die Klausur?‘ und dann kommt nie etwas zurück.“
Kunz beschreibt damit ein häufiges Problem. Die meisten Dozenten erfahren nie von den Vorwürfen, die ihnen gemacht werden. Der Dekan der Juristischen Fakultät, Ekkehart Reimer, sah sich selbst noch nie mit Mobbingvorwürfen konfrontiert, räumt aber ein, dass er wahrscheinlich nicht der erste Ansprechpartner in solchen Fällen wäre. Andrea Albrecht vom Germanistischen Seminar ist an einer anderen Universität mit Mobbingvorwürfen in Kontakt gekommen, die aber allesamt gelöst werden konnten. „Betroffenen empfehlen wir, sich direkt in der Situation Unterstützung zu suchen und das Geschehen so umfassend wie möglich zu dokumentieren, sich zeitnah an die Beratungsstellen der Universität Heidelberg zu wenden. Gerne auch in Begleitung von Vertrauenspersonen“ erklärt die Gleichstellungsbeauftrage Agnes Speck.
Schwere Klausuren, ein ruppiger Umgangston oder eine provokante Ausdrucksweise sind keine systematische Diskriminierung oder Ausgrenzung und daher auch kein Mobbing. Rückmeldungen sind deswegen aber genauso sinnvoll. Trotzdem gibt es Studierende wie Paulina. Dass Fälle wie ihrer nicht unter der angewandten Mobbingdefinition laufen, ist naheliegend. Das Bundesarbeitsgericht befasst sich in erster Linie mit Arbeitsverhältnissen – nicht mit Studierenden oder Schülern. Dennoch ist die Behandlung, die sie als Studentin erfahren hat, inakzeptabel.
Paulina sieht den Dozenten weiterhin jede Woche im Seminar. Zu der betreffenden Veranstaltung gibt es an ihrem Institut keine Alternative. Zum Schutz vor weiteren Demütigungen bereitet sie sich nun mehrere Stunden auf die Veranstaltung vor. Ob das reicht, weiß sie nicht. Die Angst vor einem weiteren Machtmissbrauch ihres Dozenten bleibt.
Eine Gegendarstellung von Dr. Lena Kunz findet ihr hier.
von Svenja Schlicht
Svenja Schlicht machte im Sommer 2020 ihren Bachelor in Politikwissenschaft und Ethnologie an der Uni Heidelberg. Von Februar 2020 bis August 2020 leitete Sie das Feuilleton. Theater und Kultureinrichtungen waren aber bereits seit Oktober 2019 vor der ruprecht-Redakteurin nicht mehr sicher. Jetzt studiert sie an der Kölner Journalistenschule und freie Journalistin.
Die Klausuren von Frau Dr. Lena Kunz in einem Atemzug mit der beschriebenen Demütigung einer Studentin durch ihren Dozenten unter dem Stichwort des Machtmissbrauchs aufzuführen, ist nicht nur völlig absurd, sondern auch ungerecht.
Ich habe als Studentin selbst Arbeitsgemeinschaften bei Frau Dr. Kunz besucht; in diesen habe ich nicht nur enorm viel gelernt, sondern auch einen besonders zugewandten, respektvollen Umgang erlebt, der dem beschriebenen Dozenten (dessen Name leider nicht genannt wird) offensichtlich abgeht.
Die fünfstündigen Klausuren, die Jurastudierende im Rahmen der Examensvorbereitung samstags in der Universität schreiben dürfen, entsprechen im ersten Semesterzyklus vorangegangenen Examenskampagnen; bei den ersten sechs Klausuren handelt es sich also um solche, die in den Vorjahren tatsächlich so im Examen gestellt worden sind. Die Klausuren des zweiten Zyklus werden hingegen von den Lehrstühlen, in der Regel von HabilitandInnen, konzipiert und sind daher notwendig weiter weg von der Realität des Examens. Manche dieser Klausuren sind didaktisch wertvoller als andere; über einzelne Sachverhalte lässt sich immer streiten. Doch Jurastudierende wissen letztlich nie, was sie im Examen erwartet, und schon allein deswegen ist es sinnvoll und notwendig, auch die Arbeit an atypischen Fällen zu üben. Dass HabilitandInnen einem hohen Publikationsdruck ausgesetzt sind und dementsprechend versuchen müssen, ihre Zeit so zu nutzen, dass sich Synergien ergeben, ist im Übrigen nichts Neues. Auch dieser Aspekt rechtfertigt es nicht, sie ihrerseits als Projektionsfläche für Frustrationserlebnisse zu missbrauchen, die mit der Examensvorbereitung häufig verbunden sind.
Diese Konstellation unter den Begriff des Mobbings zu fassen, käme mir jedenfalls auch unter Zugrundelegung des alltäglichen Sprachgebrauchs nicht in den Sinn.
Vielen Dank für die Kritik, es freut uns, so aufmerksame Leser zu haben.
Zu den Anmerkungen: Der ruprecht-Redaktion wurde unter dem Aspekt „Mobbing“ einige Male der Name von Frau Dr. Kunz zugespielt. Sie hat uns gegenüber dazu Stellung bezogen und den Sachverhalt erläutert. In dem Artikel wird deutlich gemacht, dass „Mobbing“ ein geflügeltes Wort geworden ist – Frau Kunz ist eine Leidtragende dieser Entwicklung. Sie hat ausführlich auf unsere Fragen geantwortet und ihre Beiträge sind in den Artikel eingeflossen.