Ein Punkt Ihres Wahlprogramms für die Europawahl 2019 war „Demokratie in Europa einführen!“. Hat das schon geklappt?
Demokratie haben wir, aber ein demokratisches Element fehlt in der EU: das Initiativrecht des EU-Parlamentes. Ein Parlament ohne diese Wirkmöglichkeit ist in der Demokratie inkonsequent. An der Einführung müssen Nico Semsrott und ich noch arbeiten. Ansonsten ist das Problem der EU, dass es Verträge gibt, die nicht für alle gelten und unterschiedlich ausgelegt werden. Die EU-Kommission behandelt zum Beispiel Ungarn, Polen und Frankreich unterschiedlich. Bei Junckers Treffen mit einem französischen Bürgermeister erklärt er, warum kein Vertragsverletzungsverfahren gegen Frankreich eröffnet wird: „Weil es Frankreich ist“. Da wird mit zweierlei Maß gemessen und das ist schädlich.
Nach welchen Kriterien werden die Staaten unterschiedlich beurteilt?
Nach dem bestehenden Machtverhältnis. Die Franzosen sind eine Macht in Europa, wie Deutschland. Deutschland hat einen wahnsinnigen Exportüberschuss und theoretisch müsste es gegen uns auch ein Vertragsverletzungsverfahren geben aber das wird natürlich nicht eröffnet. Mit kleinen, unwichtigen Randstaaten springen wir anders um.
Wer ist der kurioseste Politiker im EU-Parlament?
Der kurioseste war der Pole Janusz Korwin-Mikke, ein 77-jähriger Monarchist, der mit Polen aus der EU austreten wollte. Der ist jetzt aber leider nicht wiedergewählt worden, beziehungsweise nur ins polnische Parlament. Er hatte noch ein paar andere skurrile Steckenpferde, zum Beispiel wollte er das Frauenwahlrecht in Europa abschaffen, weil Frauen sich nicht für Politik interessieren.
Das ist ja sehr zeitgemäß.
In Polen vielleicht.
Sie hatten bei Abstimmungen einfach abwechselnd mit Ja und Nein abgestimmt. Warum? Und sind Sie mal davon abgewichen?
Wir hatten in der letzten Legislaturperiode eine Groko Haram aus CDU und SPD, die haben eigentlich alles durchgewunken, was sie in Europa veranstalten wollten. Da war es egal, ob ich dafür oder dagegen stimme. Deswegen habe ich nur bei Sachen die knapp waren, gezielt abgestimmt. Da wurde ich von progressiven Parteien vorher informiert.
Welche waren das?
Grüne, Linke oder SPD. Es gibt ein paar, zu wenige, zurechnungsfähige SPDler, die noch alte sozialdemokratische Werte vertreten.
Sie sagten ja „Man soll Europa nicht den Leyen überlassen!“. Warum ist Frau von der Leyen, aus Ihrer Sicht keine geeignete Kommissionspräsidentin?
Erstens aufgrund mangelnder europapolitischer Erfahrung. Zweitens aufgrund ihrer politischen Karriere, die in Niedersachsen begonnen hat – ich bin selbst Niedersachse und habe das verfolgt. Da gab es die Privatisierung von Krankenhäusern weit unter Marktwert, die der Landesrechnungshof hinterher kritisierte. Sie hat verhindert, dass Harz IV mehr als fünf Euro angehoben wird, weil sie meinte das sei ausreichend. Und als Verteidigungsministerin hatte sie die absurde Berateraffäre am Hals.
Das Auslagern von Entscheidungen an McKinsey, halte ich für falsch. Dazu kommt noch, dass eigentlich Macron durchgesetzt hat, dass Von der Leyen Kommissionspräsidentin wird. Sie ist das kleinste Übel für ihn. Die Franzosen wollen Militärgüter exportieren und das stört Von der Leyen nach ihrer Bundeswehrkarriere wenig. Sie setzt genauso auf Militarisierung wie Macron.
Also war sie nur ein Mittel für Macron?
Macron und sie kennen sich. Macron hat viel Druck ausgeübt bei den Personal-Entscheidungen in Europa, er wollte keinen starken Kommissionspräsidenten. Von der Leyen passte da gut rein.
Ihr Parteikollege Nico Semsrott ist der Fraktion Grüne/EFA beigetreten. Warum sind Sie selbst fraktionslos?
Sven Giegold hat uns gefragt, ob wir eintreten, nachdem Jörg Meuthen von der verfickten AfD die Gründung einer starken Rechten Fraktion angekündigt hat. 73 Abgeordnete haben die Rechtsradikalen zusammenbekommen, genauso viele wie die Grünen. Im EU-Parlament ist entscheidend, wer größer ist. Man hat Zugriff auf mehr Berichte, mehr Rederecht und kann in den Komitees Vorsitzende stellen. Nico hat sich deshalb entschlossen einzutreten. Wenn es 74 Rechtsradikale geworden wären, hätte ich das auch gemacht – oder zumindest darüber nachgedacht. Aber so konnte ich mir das sparen.
Haben sie Vorteile als fraktionsloser Abgeordneter?
Nico und ich arbeiten ja zusammen und ich habe den Vorteil, dass ich ab und zu Rederecht erhalte, ohne dass ich mich mit einer Fraktion darum streiten muss. In Fraktionen ist es immer so, dass die Vorsitzenden gerne lange reden. Da Nico jetzt in der Fraktion sitzt, können wir jetzt auch legislativ arbeiten. Wir wollen als erstes versuchen ein Gesetz zu initiieren das Gummigeschosse verbietet. In Spanien und Frankreich haben mittlerweile über 80 Menschen, ganz normale Bürger ein Auge verloren, denn bei Demonstrationen schießt die paramilitärische französische Polizei mit Gummigeschossen einfach in Kopfhöhe in die Menge.
Im Wahlprogramm zur Europawahl hatte Sie sich auch gegen die weitere Militarisierung der EU ausgesprochen. Hat Die Partei nun das Ziel mehr seriöse Vorschläge zu bringen?
Ich denke unsere Zielrichtung war immer eine seriöse, aber die Methoden mit denen wir arbeiten sind halt unseriös. Und dabei bleibt es auch, das macht einfach mehr Spaß.
Hatten Sie Misserfolge in Ihrer ersten Amtszeit im Parlament?
Viele sogar. Ein Großteil der Abstimmungen die das konservative Lager durchgebracht hat waren Misserfolge für mich. Auf Bitten einer SPD Vorsitzenden im Kulturausschuss habe ich einmal an einer 8:00 oder 9:00 Uhr morgens beginnenden Sitzung teilgenommen. Da bin ich extra früh aufgestanden und habe dann für sozialdemokratische Ideen gestimmt, weil die mir etwas weniger abstrus vorkamen als die konservativen. Zehn bis zwölf Abstimmungen gingen mit einer Stimme Unterschied verloren. Zu sehen, dass das konservative Lager alles durchbekommt, hat mir wirklich schlechte Laune bereitet.
Vor kurzem wurde im EU-Parlament der Klimanotstand ausgerufen. Ändert das etwas?
Nein, das ist reine Symbolpolitik. Es wird vom Green Deal geredet und vieles Grün etikettiert, das ist aber Augenwischerei. Ich weiß, dass die Kommission Juncker sich überhaupt nicht für Umwelt interessierte, es sei denn sie war hochprozentig. Die Umweltressourcen wurden ausgedünnt und werden jetzt auch nicht wieder aufgerüstet. Ich habe aber für den Klimanotstand gestimmt, weil es erstens Spaß macht, wenn AfD und CDU mal verlieren und es mir zweitens sympathischer war Symbolpolitik zu machen, als gar nichts.
Es gibt immer mehr Politiker, wie Trump oder Johnson, die mit unseriösen Mitteln arbeiten, ob gewollt oder ungewollt. Wie sehen Sie das als Satiriker?
Persönlich belastet mich das natürlich. Ich finde die Medien sollten davon Abstand nehmen, Donald Trumps Twitter Meldungen zu kommentieren, der hat offizielle Verlautbarungskanäle und man muss nicht jeden Quatsch den der Mann da von sich gibt verbreiten. Ich hätte gar nicht gedacht, dass ein einzelner Mensch so viel Unheil über die Welt bringen kann. Ich glaube, was uns von Johnson und Trump unterscheidet, ist ein moralischer Standpunkt und dass es uns letzten Endes nicht um Macht geht. Wir können auch mit einer 1 Prozent Partei eine große Fresse haben. Johnson und Trump ordnen dem Machtprinzip alles unter, ihre Methoden und das Wohl der Menschen sind ihnen egal.
Die Partei polarisiert auch mit ihren Wahlsprüchen. Gibt es welche die so beliebt wurden, dass die Sie mittlerweile nerven?
Mir fällt im Moment keiner ein der mir nicht gefallen würde. Wenn ich auf Lesereise bin, sage ich jeden Abend „Ja zu Europa, Nein zu Europa – Die Partei“. Es macht mir immer noch Spaß. Wenn eine Floskel pointiert ist und aufklärt, kann man die auch ruhig 100 Mal hören.
2024 soll wieder eine Sperrklausel zur Europawahl eingeführt werden. Was heißt das für Die Partei?
Das heißt nichts für Die Partei. Wir haben gegen die Sperrklausel gekämpft und sie auch zusammen mit den Grünen verhindert. CDU und SPD wollten eine Sperrklausel einführen, um sich die sieben Mandate der Kleinparteien anzueignen. Wären wir nur unseren eigenen Interessen verpflichtet, hätten wir für die Sperrklausel gekämpft. Bei einer zweiprozentigen Sperrklausel, hätten wir nämlich noch ein drittes Mandat gehabt. Das lustige ist, dass das deutschlandweite Ergebnis der CSU bei der letzten Europawahl bei 5,4 Prozent lag. Wenn eine Sperrklausel eingeführt wird, bin ich für eine harte Hürde von fünf Prozent, damit es auch für die CSU spannend wird. Diese irre regionale Splitterpartei hat dem Land schon viel Schaden zugefügt. Seit über zwölf Jahren stellen sie den Verkehrsminister und ich wundere mich immer, dass der Standard bei Bahn und Autobahn in Deutschland so deutlich unter dem belgischen liegt.
Für die Bundestagswahl hatten Sie aber gegen die Fünf-Prozent-Hürde geklagt.
Nein, das glaube ich nicht. Im Bundestag ist sie durchaus berechtigt. Das EU-Parlament funktioniert anders, da ist keine Sperrklause vonnöten. Aber im Bundestag, da müsste ich drüber nachdenken. Bei der Europawahl lagen wir in Berlin mit 4,8 Prozent vor der FDP, was mich sehr gefreut hat. Wir sind sogar drittstärkste Partei bei den Erstwählern. Trotzdem glauben wir nicht, dass wir die fünf Prozent Hürde jetzt schon überspringen, sondern erst bei der übernächsten Bundestagswahl. 2021 wollen wir deshalb 20 Wissenschaftler auf die Wahllisten der Partei setzen. Falls wir doch fünf Prozent schaffen, würden ein paar unabhängige Stimmen der Vernunft im Bundestag nicht schaden.
Hat sich die Wahrnehmung Ihrer Partei durch die 5 Jahre im EU-Parlament verändert?
Wir haben jetzt andere Möglichkeiten. Es ist ein Unterschied, ob ich eine Rede im Plenarsaal halte oder vor der Tür, weil mir mal wieder keine Redezeit gewährt wird. Ich glaube, dass wir mittlerweile von vielen Leuten als ernsthafte Protestwahlmöglichkeit gesehen werden. Früher hat man uns der Witze wegen gewählt. Aber wir formulieren mittlerweile auch die eine oder andere politische Position, die keine andere Partei vertritt, oder jedenfalls nicht so lustig. Deswegen glaube ich, dass das Bild sich ein bisschen wandelt.
Meine Mutter hat zum Beispiel auch schon Die Partei gewählt.
Frag mal, ob sie in den Bundestag will. Wenn das mit den Wissenschaftlern nicht funktioniert, stellen wir beim nächsten Mal unsere Mütter auf. Eine Bande resoluter Mütter ist genau das, was im Bundestag fehlt, unter all den Juristen, Ärzten und Berufspolitikern.
Dann kann sie da sicher auch gut Geld verdienen.
Kann sie bestimmt auch, das sollte aber nicht die Motivation sein.
Das Gespräch führte Manuel Kraiss
Manuel Kraiss studiert Economics. Er schreibt seit Herbst 2019 für den ruprecht - vor allem über Geschehnisse rund um Heidelberg und die Universität.
Nicolaus Niebylski studiert Biowissenschaften. Beim ruprecht ist er seit dem Sommersemester 2017 tätig – meist als Fotograf. Er bevorzugt Reportagefotografie und schreibt über Entwicklungen in Gesellschaft, Kunst und Technik. Seit November 2022 leitet er das Ressort Heidelberg. Zuvor war er, beginnend 2019, für die Ressorts Studentisches Leben, PR & Social Media und die Letzte zuständig, die Satireseite des ruprecht.