Im Schnitt verbringen Leistungssportler wöchentlich 30 Stunden im Schwimmbecken, in der Sporthalle oder auf der Tartanbahn, um ihre Bestleistungen in die Höhe zu schrauben. Das alles für einen durchschnittlichen Stundenlohn von 7,41 Euro, fand das Bundesinstitut für Sportwissenschaft bei einer Befragung von 1087 Athleten der deutschen Spitzenförderung heraus – eine geringe Vergütung für Arbeitnehmer, die zur absoluten Weltspitze in ihrem Gebiet gehören. Da stellt sich schnell die Frage: Was rechtfertigt all die frühen Trainingseinheiten und verkaterten Beine gefüllt mit Laktat?
Julia Hassler ist mit 26 Jahren zweifache Olympionikin, im Sommer wird sie in Tokio zum dritten Mal am Start sein. Die geborene Liechtensteinerin, die sich auf die langen Distanzen der Freistil-Schwimmtechnik spezialisiert hat, studiert in Mannheim Psychologie im Master. „Nur zwei Fehltermine im Seminar gehen natürlich nicht. Auch wenn das viele Professoren nicht verstehen“, erzählt Julia. Sie sei froh, Spitzensport-Stipendiatin der Metropolregion Rhein-Neckar zu sein, da ihr von den Verantwortlichen viele organisatorische Aufgaben abgenommen würden.
Da mit dem Schwimmen nicht das große Geld zu verdienen ist, legt Julia besonderen Wert auf ihre akademische Laufbahn. Sie könne sich mit dem Geld, das sie von ihrem Sportverband bekomme, zwar seit sie 18 ist ihr Leben finanzieren, aber zur Seite legen ließe sich nichts. „Viele Leistungssportler haben in meinem Alter noch keinen Bachelorabschluss, weil sie sich voll auf den Sport konzentrieren. Dann stehst du aber häufig mit 27 oder 28 mit gar nichts da“, erklärt sie.
2016 sollte nach den Olympischen Spielen eigentlich Schluss sein. Damals war sie gerade einmal 23, eigentlich im Zenit ihrer Karriere. Mit dem Bachelorabschluss wollte sie sich vom zusätzlichen Stress des Sports verabschieden. Ohne den Leistungsdruck kam es aber anders. Plötzlich fiel eine Bestzeit nach der anderen und internationale Medaillen folgten. Da kam die Entscheidung leicht, die Karriere bis zu den nächsten Olympischen Spielen zu verlängern.
Denn Olympia, das ist für Julia und für viele andere Athleten das Größte. „Alleine die Stimmung im Olympischen Dorf ist wie in einer anderen Welt. Wenn du von 10 000 Menschen umgeben bist, die alle dasselbe wollen wie du, dann ist das schon etwas ganz Spezielles.“
Nach Tokio soll es auch für Tischtennis-Spielerin Corinna Hochdörfer gehen, aber einen Monat später zu den Paralympischen Spielen. 2016 war die Sportstudentin in Rio noch als Touristin vor Ort, im folgenden Jahr schon Europameisterin im Team und in Tokio will sie nun selbst um Medaillen kämpfen. Doch schon die Qualifikation wird für die Nummer 14 auf der Weltrangliste keine leichte Aufgabe. Um Weltranglistenpunkte zu sammeln, müsse sie an Turnieren im Ausland teilnehmen. Das kostet Geld, das im Behindertensport nur schwer zu mobilisieren ist. Durch Förderprogramme kann sie zumindest Material- und Reisekosten decken. Da sie sich mit ihrem Sport nicht ihren Lebensunterhalt verdienen kann, sehe sie sich eigentlich nicht als Leistungssportlerin, auch wenn ihr Trainingspensum etwas anderes sage.
Umso wichtiger findet Corinna deshalb die Olympischen Spiele. „Dort bekommen auch Sportler aus Randsportarten die Bühne, die sie verdient haben für das harte Training der letzten vier Jahre.“
Seit ihrer Kindheit ist Corinna linksseitig an Arm und Bein gelähmt. Dies stelle für sie aber keine Einschränkung dar. „Jeder hat seinen Rucksack zu tragen. Gerade Behindertensportler zeigen, wie viel möglich ist und dass wir auch mit Regelsportlern mithalten können.“
Trotz unzähliger abgesagter Partys mit Freunden und qualvollen Trainingseinheiten um sechs Uhr morgens sind Julia und Corinna einer Meinung: Sie würden den Leistungssport nicht missen wollen. „Früher dachte ich immer, ich würde etwas verpassen, aber jetzt weiß ich, dass das Gegenteil der Fall ist. Ich erlebe so viel, zu dem Andere nie eine Chance haben. Und außerdem gehen wir zwar nur selten feiern, aber dann so richtig“, sagt Julia und lacht. Für ihre weitere berufliche Karriere sieht sie zudem noch weitere Vorteile. Denn ein so gutes Training für Zielstrebigkeit und den Umgang mit Misserfolgen finde man sonst nirgendwo in der Gesellschaft.
Auch Corinna betont die vielen Chancen, die sie durch den Leistungssport bekommen habe. „Wenn du international rumreisen darfst und viele tolle Erfahrungen machst, dann gibt dir der Sport sehr viel zurück.“ Ihr Erfolg habe für sie auch ihre Behinderung in ein anderes Licht gerückt. „Ich hätte es mir vielleicht vorher nicht so ausgesucht, aber heute würde ich mit niemandem mehr tauschen wollen.“
von Lukas Schwaab
Nicolaus Niebylski studiert Biowissenschaften. Beim ruprecht ist er seit dem Sommersemester 2017 tätig – meist als Fotograf. Er bevorzugt Reportagefotografie und schreibt über Entwicklungen in Gesellschaft, Kunst und Technik. Seit November 2022 leitet er das Ressort Heidelberg. Zuvor war er, beginnend 2019, für die Ressorts Studentisches Leben, PR & Social Media und die Letzte zuständig, die Satireseite des ruprecht.