Dieser Artikel erscheint im Rahmen unser Corona-Onlineausgabe.
Ein Land mit zwei Facetten: Der Balkon Europas und die orthodoxe Kirche
Mariam studiert nun im zweiten und letzten Semester am Studienkolleg in Heidelberg und kommt ursprünglich aus Georgien, einem Land, welches besonders seit dem Kaukasuskrieg 2008 gespalten ist. Einerseits lässt sich, vor allem in den jüngeren Generationen, eine zunehmende Orientierung am Westen beobachten, andererseits lebt der orthodoxe Glaube wieder auf und religiöse, längst vergessene Wurzeln werden wieder ausgegraben.
Mariam würde ihre Zeit am Studienkolleg gerne erfolgreich abschließen und im Wintersemester 2020 ihr Studium in Deutschland aufnehmen. Nach Absolvierung von zwei Semestern am Studienkolleg Heidelberg, dürfen ausländische Studierende ihren Bachelor oder Master in Deutschland beginnen. Aufgrund derzeitiger Ausgangsbeschränkungen und Grenzschließungen ist Mariam sich aber nicht sicher, ob sie das Semester beenden kann.
Das Coronavirus in Georgien
Nach Mariams Einschätzung, ist die Situation in Georgien weitestgehend stabil. Das Land verzeichnet 626 bestätigte Fälle, von denen bereits 297 Menschen genesen sind (Stand: 09.05.2020). Es begaben sich nach Angaben der Regierung 4717 Menschen offiziell in Quarantäne, dieses Vorgehen wird von dem Staat unterstützt. Die Menschen haben die Möglichkeit ihre Quarantäne in Hotels zu verbringen, da die Hoteliers aufgrund der Einhaltung der Hygienemaßnahmen keine Gäste empfangen dürfen.
Wie fast überall auf der Welt, hat die Regierung Ausgangsregelungen zur Eindämmung des Virus‘ vorgegeben, die sich in Georgien auf eine Maximalanzahl von drei Personen im öffentlichen Raum und eine Ausgehsperre zwischen neun Uhr abends und sechs Uhr morgens belaufen. Wie in Deutschland, sind die Lebensmittelgeschäfte weiterhin geöffnet, aber Friseure und Einkaufsmeilen müssen geschlossen bleiben. Die Einwohner der vier bevölkerungsreichsten Städte Georgiens: Tiflis, Kutaissi, Batumi und Rustavi dürfen außerdem ihre Wohnorte nicht verlassen. Diese präventive Maßnahme soll verhindern, dass das Coronavirus über das ganze Land getragen wird.
Die Grenzschließung in weiten Teilen Europas erschwert die Einreise für ausländische Studierende
Mariam wollte bereits im März nach Deutschland zurückkehren. Nun muss sie ihr Onlinestudium in Tiflis weiterführen, da ihr Flug nach Heidelberg wegen der Grenzschließungen storniert wurde. Sie bleibe die meiste Zeit Zuhause, berücksichtige alle Vorkehrungen und hoffe, dass alles bald vorbei sei, erzählt Mariam. Sie als ausländische Studentin befürchtet, dass es bei später Grenzöffnung in Georgien zu Schwierigkeiten mit ihrem Visum kommen könnte. „Wenn Georgien die Grenze wieder öffnet, werde ich so schnell wie möglich nach Deutschland fliegen. Ich muss schließlich auch noch Präsenzklausuren schreiben“, sagt Mariam nachdenklich. Es sollen Ende Juni Präsenzklausuren geschrieben werden und falls der europäische Flugbetrieb nicht wieder aufgenommen wird, bedeutet dies für Mariam, aufgrund der physischen Abwesenheit den ersten Klausurversuch nicht bestanden zu haben.
Es sei letztendlich ihr letztes Semester und sie würde gerne direkt im Anschluss ihr eigentlich angestrebtes Studium an einer deutschen Universität aufnehmen. „Ich hätte sehr gerne mit meinem Studium in Medien- und Kommunikationswissenschaft im Wintersemester begonnen, aber falls die Prüfungen nach hinten verlegt werden, also Richtung Oktober/November, könnte ich eventuell nicht dieses Jahr, sondern erst nächstes Jahr studieren. Ich bin sehr aufgeregt und hoffe, dass die Universitätsleitung nach Lösungen für uns ausländische Studierende sucht“, berichtet Mariam besorgt.
Die Online-Sitzungen laufen regulär nach dem vorgegebenen Semesterplan ab und es treten ähnliche Probleme auf, wie bei Mariams deutschen Kommilitonen. Es gäbe lediglich, wie bei vielen anderen Studierenden, technische Probleme bezüglich des Internets. Dennoch seien die Dozierenden bemüht, das finale Semester so einwandfrei wie möglich zu gestalten. Das Online-Semester erweist sich auch für die Dozierenden als eine große Herausforderung, die unbefriedigende Nebenerscheinungen hervorruft, wie beispielsweise die mangelhafte Internetverbindung. In diesem Fall lässt sich die Phrase „Globales Netzwerk/Networking“ wortwörtlich verstehen.
Erst wenn konsensuale Beschlüsse bezüglich der Grenzöffnungen innerhalb Europas getroffen werden, kann die Universitätsleitung die ausländischen Studierenden über das weitere Vorgehen informieren. Neben dem Weiterstudieren mit den Online-Angeboten, bleibt den ausländischen Studierenden also wohl nicht viel mehr, als ihre Ansprechpersonen und damit die Universität über ihre Situation, Ängste und Bedürfnisse zu informieren, um ihr für die Planung für das große Danach Anhaltspunkte zu geben.
Von Vivien Mirzai
Vivien Mirzai studiert Politikwissenschaften und Germanistik im Kulturvergleich seit dem Wintersemester 2019/20. Seit Oktober 2019 schreibt sie für den ruprecht über Wissenschaft, Internationales und Rassismus. Sie wechselt zum Wintersemester 2020 in die Ressortleitung Feuilleton.