Dieser Artikel erscheint im Rahmen unserer Corona-Onlineausgabe.
Die Corona-Krise stellt uns alle vor neue Herausforderungen. Oh, wie oft haben wir diesen Satz seit Mitte März gehört, und oh, wie sehr trifft er auch in puncto Universitätsleben zu. Die Universität hat beschlossen, das Semester einfach Online stattfinden zu lassen, und benutzt dafür das neue Portal Heiconf, in dessen Genuss ich noch nicht gekommen bin, und Moodle, welches in den ersten paar Tagen des Semesters regelmäßig abstürzte.
Aber die Onlinelehre bietet noch andere Herausforderungen: Einer meiner Professoren lädt zum Beispiel jede Woche die aktuellen PowerPoint-Folien zur Sitzung hoch, inklusive Audiokommentar. Pro Folie dauert der Audiokommentar im Schnitt zwischen einer und anderthalb Minuten. Ich muss beim Anhören also ständig umschalten und den neuen Kommentar anklicken und komme so gar nicht erst in einen anständigen Workflow. Notizen mache ich am liebsten handschriftlich; jede Minute zwischen Mousepad und Stift wechseln müssen nervt. Lieber Professor , wenn Sie das hier lesen: Nehmen Sie doch bitte einen Podcast auf.
Neben diesem Jammern auf hohem Niveau ist mir beim Erneuten durchklicken der Folien aber noch etwas aufgefallen: Die Vorlesung ist sehr, sehr kurz. Statt den normalen anderthalb Stunden Vorlesung gibt es nur knapp 40 Minuten Audiomaterial pro Präsentation. Und das ist nun kein Jammern auf hohem Niveau mehr, denn wenn auch in Zukunft jede Einheit dieser Vorlesung nicht einmal halb so lang ist, wie sie sein sollte, leidet ganz eindeutig die Qualität der Lehre. Auch eine meiner besten Freundinnen hat nichts Positives zu berichten: Ihr letztes Heiconf-Seminar bestand großteils daraus, dass die Dozentin fragte, ob sie denn gut zu hören sei, Inhalte kamen kaum zu sprechen. Bei zwei anderen Freundinnen lässt ein Dozent den „Lehre“ Teil von „Onlinelehre“ schlicht und einfach ganz weg: auf Moodle steht die Pflichtlektüre zum Seminar, Kontakt zum Dozenten und Diskussion mit anderen Studierenden gibt es nicht. Und in den Vorlesungen eines Freundes ist das Audiomaterial stark verzögert und schlicht unverständlich.
Ein weiterer Freund hatte ein noch viel grundlegenderes Problem: Er kam die ersten zwei Wochen des Semesters gar nicht erst in die Moodlekurse , da ihm kein Passwort zugesendet wurde.
Natürlich, niemand hätte erwarten können, dass Präsenzlehre aufgrund einer globalen Pandemie unmöglich wird. Und sicherlich geben viele Dozierende, Professorinnen und Professoren ihr Bestes. Sie stecken wahrscheinlich mehr Aufwand in ihre Arbeit, als sie es sonst schon tun. Trotzdem ruft die Onlinelehre- bisher bei vielen Studierenden große Frustration hervor. Gleichzeitig offenbart Corona, dass viele Dozierende wenig Interesse an der Lehre haben und Studierenden mit der Pflichtlektüre alleine lassen. Das könnte zum einen an mangelnder Motivation liegen. Die jahrelang vernachlässigte digitale Infrastruktur an deutschen Universitäten trägt jedoch sicherlich auch ihren Teil dazu bei.
Wenn Studierende keinen Zugriff auf Moodlekurse bekommen, weil die automatische Anmeldung über das LSF nicht funktioniert oder Dozentinnen ein Seminar damit verbringen, die Soundqualität von Heiconf zu testen, ist das ein technisches Problem. Außerdem sollte im 21. Jahrhundert jeder Dozierende wissen, wie man eine Videokonferenz leitet. Andererseits zeigt das Onlinesemester auch, dass beispielsweise Onlinesprechstunden über Skype oder Heiconf durchaus machbar sind. Wieso gab es das nicht schon vor Corona? Die Pandemie zeigt uns nicht nur menschliche Abgründe (wie Xavier Naidoos Instagramprofil), sondern auch Chancen. Liebe Uni: Bitte nutz diese Chancen doch, und bleib stabil.
von Hannah Steckelberg
Hannah Steckelberg studiert Osteuropastudien und Germanistik im Kulturvergleich. Seit 2016 ist sie beim ruprecht – erst nur als Fotografin, seit 2017 auch als Autorin. Am liebsten schreibt sie Reportagen aller Art sowie ihre Kolumne “Hochschule bleibt stabil”. 2019/20 leitete sie zwei Semester lang das Ressort Seite 1-3, inzwischen lebt sie in Wien.