Dieser Artikel erscheint im Rahmen unserer Corona-Onlineausgabe.
Ich muss zugeben: Ich habe das Virus und seine Auswirkungen unterschätzt, war vollkommen naiv. Als der Ausnahmezustand begann, war ich überzeugt, dass nach 2 bis 3 Wochen das Leben wieder in gewohnten Bahnen verlaufen würde, ich aber spätestens zum Semesteranfang am 20. April in Heidelberg sein würde. Jedoch bemerkte ich schnell, dass dies illusorisch war und der Zustand monatelang so bleiben wird. Das bedeutete, dass ich mich auf ein Online-Semester in meiner Heimat einstellen musste. Studieren bedeutete für mich immer wegzuziehen und auf eigenen Beinen zu stehen, so sah ich dem ganzen mit gemischten Gefühlen entgegen. Dabei befinde ich mich in bester Gesellschaft: Rund ein Viertel aller Studierenden lebte Anfang 2019 zuhause, sicherlich sind es jetzt deutlich mehr.
In Heidelberg lebe ich alleine, niemand kann mir reinreden, ich bin für mich selbst verantwortlich und das mag ich. Ich habe meine Freunde, mit denen ich meine Zeit verbringe. In Heidelberg lebe ich das Studentenleben, wie es meiner Vorstellung am ehesten entspricht: Morgens Uni, tagsüber in der Bib lernen und abends zusammen kochen oder einfach nichts tun. Zudem bin ich durch die Präsenzveranstaltungen in der Uni gezwungen, meinen Tag stärker zu strukturieren und habe jede Menge soziale Kontakte. Was mich zwar manchmal auch davon abhält, produktiv zu sein, aber das ist eine Frage der Selbstdisziplin. Das fehlt mir, das vermisse ich. Zumal es in manchen Modulen sehr gut wäre, Präsenzveranstaltungen zu haben, da manche Dinge einfach online nicht funktionieren. Während wir letztes Semester in der Staatsrecht-AG gemeinsam Fälle lösten, bekommen wir heute die Fälle mitsamt der Musterlösung.
Ansonsten bin ich positiv überrascht: Die Online-Veranstaltungen laufen bisher sehr gut, gewisse Dinge finde ich sogar besser, als sie es vorher waren. Zum Beispiel, dass Vorlesungen als Video hochgeladen werden, ich sie mir also anschauen kann, wann ich will und vor allem wie oft ich will. Außerdem kann ich, wenn ich um 11:15 eine Vorlesung habe um 11:10 aufstehen und bin trotzdem noch pünktlich. Von meinem Bett zu meinem Schreibtisch sind es drei Schritte und ob ich meinen Schlafanzug trage oder eine Jeans, sieht keiner. Ich kann mich mit meinem Frühstück an meinen Schreibtisch setzen und nebenbei eine Vorlesung anschauen. Dagegen können die kleinen Holzstühle und Klapptische der Uni nicht ankommen.
Trautes Heim
Spülmaschine, ein voller Kühlschrank, bekocht werden! Danke Papa, an der Stelle. Kaum was im Haushalt zu machen, löst in mir Unbehagen aus, weil ich zu unserer Wohngemeinschaft kaum was beitrage. Wenn es warm ist, setze ich mich manchmal auf unseren Balkon und lerne dann bei Vogelgezwitscher und mit Ausblick auf Grün. Mein Leben daheim ist wesentlich bequemer als mein Leben in Heidelberg.
Natürlich gibt es witzige Situationen, wenn etwa mein Vater in mein Zimmer kommt und wissen will, ob ich auch einen Kaffee trinken möchte, und ich mein Mikro hastig ausmachen muss, damit nicht alle 30 Leute in meinem Seminar das hören. Oder wenn ich gefragt werde, ob ich nicht auch mal Pause machen will, weil ich sonntags stundenlang Statistik übe, was bestimmt nicht daran liegt, dass ich es die ganze Woche vor mir hergeschoben habe.
Generell mache ich regelmäßiger Pausen, weil mein Vater mit einem typisch „lustigen“ Spruch wie: „Dein Kopf raucht ja schon, magst du nicht mal kurz abkühlen?“ oder:
„Deine Augen sind ja schon viereckig.“ mich ablenkt und ich dankbar bin, weil ich insgeheim wirklich eine Pause brauche.
Trotz der Einschnitte, Einschränkungen und der ungewohnten Situation, die viel Anpassung erfordert, bleibe ich positiv und empfinde so die Situation nicht als Krise. Ich sehe natürlich auch die Probleme, besonders die ökonomischen, die mit der aktuellen Lage einhergehen. Diese sind ohne Frage schlimm, doch auf der emotionalen Ebene hat der Umgang mit dieser Situation meiner Meinung nach viel mit der Einstellung zu tun. Wenn ich mir anschaue, wie fürchterlich die Situation in vielen anderen Ländern der Welt für die Bevölkerung ist, dann bin ich einfach nur dankbar für die Privilegien die ich genieße. Es gibt so vieles, wofür ich dankbar bin und durch das Wissen, dass die Situation nicht endlos ist, bin ich gerne solidarisch und bleibe positiv.
von Lisa Behr
Nicolaus Niebylski studiert Biowissenschaften. Beim ruprecht ist er seit dem Sommersemester 2017 tätig – meist als Fotograf. Er bevorzugt Reportagefotografie und schreibt über Entwicklungen in Gesellschaft, Kunst und Technik. Seit November 2022 leitet er das Ressort Heidelberg. Zuvor war er, beginnend 2019, für die Ressorts Studentisches Leben, PR & Social Media und die Letzte zuständig, die Satireseite des ruprecht.