Sollte die Universität Heidelberg aufgrund der Covid-19 Pandemie ein Solidarsemester einführen?
Alexander Salomon ist Sprecher für Wissenschaft und Hochschule der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen im baden-württembergischen Landtag.
Sollte die Universität Heidelberg aufgrund der Covid-19 Pandemie ein Solidarsemester einführen?
Auch wenn wir es nicht so bezeichnen, kommen wir in Baden-Württemberg mit unseren Maßnahmen einem „Solidar- oder Solidaritätssemester“ sehr nahe. Für uns war klar: Das Sommersemester soll grundsätzlich stattfinden können. Mit dieser Richtungsangabe schaffen wir die Voraussetzung dafür, dass Studierende überhaupt Studienleistungen auf freiwilliger Basis erbringen können. In anderen Worten: Wenn wir Freiwilligkeit für Studierende ermöglichen wollen, brauchen wir politisch gewisse Verbindlichkeiten. Das haben wir mit dem Ansatz geschafft, dass Hochschulen ihre Studienangebote digital zur Verfügung stellen.
Klar ist aber auch: Nachteile für Studierende sollen so gut wie möglich vermieden werden. So haben wir beispielsweise den Notfallfonds für Studierende aufgesetzt – für Studierende, denen z.B. Nebenjobs aufgrund der Corona-Pandemie weggebrochen sind. Zudem erarbeiten wir derzeit die rechtlichen Anpassungen, damit niemand aufgrund von Prüfungsfristen, die an bestimmte Fachsemester gekoppelt sind, exmatrikuliert wird.
Mein Eindruck ist: Trotz vieler Schwierigkeiten funktioniert der Hochschulbetrieb unter dem Strich ganz gut. Wir erleben derzeit quasi ein großes Digitalisierungs-Live-Experiment! Wir sehen aber auch, wie wichtig der „Eins-zu-eins-Austausch“ zwischen den Studierenden in den Seminaren für das Studium ist.
These 1: Viele Studierende leiden an psychischen Krankheiten und sind in der momentanen Ausnahmesituation nur eingeschränkt studierfähig.
Das Studium kann bereits in Nicht-Notzeiten psychisch belastend sein – Prüfungsangst, Leistungsdruck und Selbstzweifel sind für viele Studierenden keine Fremdworte. Durch die Corona-Pandemie kommen weitere, sehr herausfordernde Veränderungen hinzu, wie z.B. die Betreuung von Kindern oder die Pflege von Angehörigen. Praktika fallen weg, Nebenjobs gehen verloren.
Um genau diese Belastungen zu mildern – und zumindest eine finanzielle Entlastung bereitzustellen – haben wir den Studierenden-Nothilfefonds eingerichtet. Zudem können Studierende Studienleistungen erbringen. Wer hier aber aus persönlichen Gründen verhindert ist, dem versuchen wir durch Anpassungen der oben erwähnten, regelstudienzeitbezogenen Prüfungsfristen den Druck zu nehmen.
These 2: Studierende können bequem und flexibel, unabhängig von Zeit und Ort, an allen Veranstaltungen teilnehmen.
Das ist der Idealfall! Die Realität sieht vermutlich anders aus. Ich denke hier an schlechte Internetverbindungen, soziale und private Verpflichtungen, wie etwa Kinderbetreuung, um nur ein Beispiel zu nennen. Das schränkt die Teilnahmefähigkeit im Schnitt natürlich ein. Deshalb war es uns auch wichtig, dass wir die Bibliotheken – wenn vor Ort möglich – wieder öffnen.
Dass das Sommersemester uns allen viel abverlangt, lässt sich leider nicht umgehen. Wir müssen kreativ sein. Alle Ungerechtigkeiten werden wir leider nicht lösen können – das können wir leider schon im Normalbetrieb nicht immer. Aber: Ich bin begeistert von dem Engagement der Studierenden, der Hochschulen, mit welchem Elan und welchem Tatendrang innerhalb kürzester Zeit die Umstellung stattgefunden hat. Das weckt in mir Zuversicht auch für andere Politikbereiche und bestärkt mich darin, dass wir noch stärker aus der Corona-Zeit hervorgehen können!
These 3: Weil Dozierende die Verantwortung von Online-Sitzungen auf Studierende übertragen, wird der Lernstoff nur mangelhaft vermittelt
Wir haben in Baden-Württemberg unzählige verschiedene Studienbereiche mit unterschiedlichen Anforderungen und Voraussetzungen für ein Online-Studium. Manche Fächergruppen eignen sich tendenziell besser dafür, manche weniger – ganz zu schweigen von Fächern mit Laborpräsenz, Sport oder Musik. Das wirkt sich natürlich auch auf die Qualität des Online-Angebotes aus.
So wenig ich bei den Studienbereichen pauschalisieren möchte, so wenig möchte ich dies bei den Dozierenden. Ich kenne einige sehr engagierte Dozierende, die mit Sicherheit spannende Online-Sitzungen aufgesetzt haben. Doch natürlich wird es auch das Gegenteil geben. Das ist nicht wünschenswert und widerspricht der Philosophie des diesjährigen Sommersemesters. Wenn die Qualität hier zu sehr leidet, muss man im Einzelfall auch aktiv werden.
Aber auch hier möchte ich um Verständnis bitten: Erstens haben auch Dozierende mit ähnlichen Einschränkungen zu kämpfen wie die Studierenden. Zweitens zeigen sich die Grenzen der technischen Möglichkeiten. Ich bin der Meinung, dass kein Videokonferenzsystem der Welt eine anregende Diskussion in einem Seminarraum zu 100% und in allen Facetten ersetzen kann. Die jetzigen Umstände verlangen also auch eine Extraportion Solidarität innerhalb der Hochschulgemeinde – zwischen Studierenden und Dozierenden.
Von Hannah Steckelberg und Vivien Mirzai
Dieser Artikel erscheint im Rahmen unser Corona-Onlineausgabe
Hannah Steckelberg studiert Osteuropastudien und Germanistik im Kulturvergleich. Seit 2016 ist sie beim ruprecht – erst nur als Fotografin, seit 2017 auch als Autorin. Am liebsten schreibt sie Reportagen aller Art sowie ihre Kolumne “Hochschule bleibt stabil”. 2019/20 leitete sie zwei Semester lang das Ressort Seite 1-3, inzwischen lebt sie in Wien.
Vivien Mirzai studiert Politikwissenschaften und Germanistik im Kulturvergleich seit dem Wintersemester 2019/20. Seit Oktober 2019 schreibt sie für den ruprecht über Wissenschaft, Internationales und Rassismus. Sie wechselt zum Wintersemester 2020 in die Ressortleitung Feuilleton.