Ein Gott
Steigen tiefer in den Abgrund,
allein der Stille folgen wir.
Unsre Füße bereits wund,
steigen wir hinab zu dir.
Die Stufen reichen tief hinein
in das Reich der Dunkelheit.
Hinter uns der Welten Schein,
vor uns nur, was uns vereint.
Je dunkler es um mich nun wird,
je mehr gehn mir verloren –
der Freunde vieler er verliert,
der sich im Finstren fühlt geborgen.
Am Ende blieb nur einer mir,
der nicht den Rücken kehrte.
Mit ihm stehe ich nun bald vor dir –
mit ihm und all dem, das ich lernte.
Inmitten dieser Finsternis
steht dein Schrein der Einsamkeit.
Nach langem Wandern ist gewiss:
die größte Lehre birgt die Zeit.
Nun steh ich doch allein vor dir,
dem Gott der stillen Lieder –
der Freund, den ich geglaubt bei mir
fand ich grinsend in dir wieder.
Von Tristan Wagner
Tristan studiert Geschichte, Anglistik und Ostasienwissenschaften an der Uni Heidelberg. Neben seinem Studium schreibt er für einen kleinen Verlag in London und veröffentlicht hauptsächlich englische Lyrik und Kurzgeschichten. „Ich würde wesentlich mehr deutsche Gedichte schreiben, wenn es hier mehr Unterstützung für solche Formate gäbe.“ Entstanden ist „Ein Gott“ als Teil seiner täglichen Schreibroutine und verarbeitet Veränderungen in Tristans Leben: „Ein wenig dramatisch vielleicht, aber ich hatte Spaß beim Schreiben.“