Dieser Artikel erscheint im Rahmen unserer Corona-Onlineausgabe.
Keine Kinderbetreuung wegen Corona? Der Postillon hatte schon 2018 eine Lösung: Die FernKita Hagen sollte Kinder im Alter zwischen zwei und sechs Jahren „übers Internet direkt zu Hause zu betreuen.“ Die Satire prangerte den Betreuungsnotstand in öffentlichen Kitas an. In der Corona-Pandemie, bei geschlossenen Kitas und Grundschulen, wirkt der Artikel aber bemerkenswert aktuell.
Während man Vorlesungen und Seminare online abhalten kann, ist die Betreuung der Kleinsten der Gesellschaft schwieriger. Wenn man im Seminarlivestream diskutieren soll, aber gleichzeitig auch ein Kleinkind beschäftigen muss, stellt das viele Eltern vor Probleme.
Laut einer Erhebung des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung aus dem Jahr 2016 haben ca. 6 Prozent aller Studierenden in Deutschland ein Kind. „Von den zurzeit 29.000 Studierenden an der Universität Heidelberg macht das ca. 1740 Studierende mit Kind aus“, sagt Charlotte von Knobelsdorff vom Gleichstellungsbüro der Uni. Genaue Zahlen habe die Uni nicht, da diese Erhebung nur freiwillig erfolgen darf, so von Knobelsdorff.
Eine der Studierenden mit Kind ist Elena: Sie studiert Biologie und Germanistik auf Lehramt. Die 34-jährige hat einen dreijährigen Sohn und eine 14 Jahre alte Tochter. Eigentlich geht ihr Sohn in die Kita, die Tochter in die Schule. Dass ihre Tochter sehr selbstständig ist und bei der Betreuung des kleinen Bruders helfen kann, erleichtert Elenas Alltag sehr.
Elenas Mann ist Landwirt – Kurzarbeit ist in diesem Beruf nicht möglich. Er unterstützt Elena trotzdem so gut es geht bei der Kinderbetreuung. „Am Wochenende macht mein Mann wirklich sehr viel mit den Kindern, aber unter der Woche ist er als Landwirt total involviert. Vor allem im Frühling hat er da viel zu tun.“ Weil die Familie auf dem Land lebt haben sie auch einen Garten, in dem die Kinder sich austoben können.
Normalerweise versucht Elena, ihre Univeranstaltungen eng zu takten, um nur an zwei bis drei Tagen pro Woche nach Heidelberg fahren zu müssen. Aktuell hat sie dasselbe Arbeitspensum wie vor Corona, davon ist ca. die Hälfte im Livestream und die andere Hälfte zeitlich flexibel. Unterstützung ehält Elena auch von außerhalb des Haushalts: „Meine Nachbarin macht dann in den zwei, drei Stunden Konferenz den Babysitter“, erzählt Elena, „man macht halt viel abends, oder ich brauche am Wochenende mehr Zeit um Aufgaben zu erledigen fürs Studium.“
So lebt sie mit ihrem Mann in einer Art Schichtbetrieb: Sie kümmert sich tagsüber unter der Woche um den kleinen Sohn, und ihr Mann abends und am am Wochenende. „Wie anstrengend so ein Tag ohne Kinderbetreuung ist, liegt am Charakter des Kindes. Grad mein Sohn ist ein sehr aktiver Mensch, er braucht viel Bewegung, viel Betreuung und Zuwendung, und konzentriertes Arbeiten während er nebenan im Raum ist, ist eigentlich nicht möglich“, sagt sie. Besonders fehlt ihr die Zeit, in der die Familie einfach gemeinsame Zeit miteinander verbringen kann.
Maria, 24, und Markus, 28, haben vor acht Wochen ihr erstes Kind bekommen. Beide studieren und leben in einer WG mit einem weiteren Paar. Eigentlich wollte Maria im ersten Semester nach der Geburt nur eine einzige Vorlesung belegen. „Aber wegen Corona und weil die Sachen zuhause stattfinden, konnte ich jetzt noch ein Blockseminar dazu nehmen. Das hatte schon eine sehr lange Sitzung, das hätte ich nicht machen können, wenn ich dafür in die Uni hätte gehen müssen. Markus hat mir unseren Sohn einfach gebracht, wenn er Hunger hatte, dann hab ich ihn kurz gestillt und dann hat Markus ihn wieder mitgenommen.“ Die beiden Eltern teilen sich den Tag gut ein: Maria lernt vormittags, und passt ab nachmittags auf das Baby auf, ihr Mann übernimmt die andere Schicht.
Obwohl die beiden also deutliche Vorteile innerhalb des Studiums für ihre Situation als frischgebackene Eltern sehen, belastet sie die Pandemie. Weil beide aufgrund von Vorerkrankungen in der Risikogruppe für Covid-19 sind, gehen sie kaum raus. Außerdem wollten Marias Eltern sie eigentlich in den ersten Wochen unterstützen; ihr Vater hat sogar auf der Arbeit seine Stundenzahl gedrosselt. Dieser Kontakt zu ihren Eltern fällt nun weg – für das acht Wochen alte Baby nicht weiter schlimm, für die neuen Großeltern dafür jedoch um so frustrierender. Elenas dreijähriger Sohn dagegen vermisst seine Großeltern und Freunde, ist aber zu klein, um tatsächlich zu verstehen, warum er nicht mit seinen Freunden auf dem Spielplatz spielen darf.
Maria und Markus sowie Elena und ihr Mann haben das Glück, ihre Kinder als Paar zu betreuen sowie hilfbereite Mitbewohner und Nachbarn zu haben. Charlotte von Knobelsdorff schätzt, dass ca. 10 Prozent aller Studierenden mit Kind alleinerziehend sind. Um Studierende mit Kindern in Zeiten von Corona zu entlasten, gibt es vom Gleichstellungsbüro Hilfe: Sie können bis zu 500 Euro zur Finanzierung von Tageseltern oder Babysitter beantragen, wenn sie Kinderbetreuung und Lernen nicht unter einen Hut bringen können. Denn die vier Kitas des Studierendenwerks mit ihren 280 Plätzen bleiben schließlich noch bis mindestens 15. Juni 2020 geschlossen.
von Hannah Steckelberg
Hannah Steckelberg studiert Osteuropastudien und Germanistik im Kulturvergleich. Seit 2016 ist sie beim ruprecht – erst nur als Fotografin, seit 2017 auch als Autorin. Am liebsten schreibt sie Reportagen aller Art sowie ihre Kolumne “Hochschule bleibt stabil”. 2019/20 leitete sie zwei Semester lang das Ressort Seite 1-3, inzwischen lebt sie in Wien.