Ein Gespenst geht um in Deutschland, ein Gespenst namens „Sexismus“ und es lässt uns keine Ruh. Sexismus existiert nämlich scheinbar auch hier bei uns. Wussten Sie’s?
Auf die Debatte über die mehr oder minder geglückte ProSieben-Ausstellung „Männerwelten“, die die alltägliche Belästigung und Gewalt gegen Frauen anprangerte, folgt nun der nächste vermeintliche Skandal: Eine Passauer Studentin will nicht, dass ein vergewaltigungsverherrlichendes Lied auf Volksfesten gesungen wird. In einer Online-Petition fordert sie, das Singen des Textes auf öffentlichen Volksfesten zu unterlassen. Eine kurze Zusammenfassung des Donau-Liedes: Einst lief ein Mann am Ufer der Donau entlang, fand eine schlafende Frau am Strande und vergewaltigte sie dann. Zum glorreichen Abschluss des Aktes beschimpft er die Dame, streitet ihre Vorwürfe, sie geschwängert zu haben, ab und wirft ihr schließlich eine Münze zu. Adieu.
Dabei geht es Corinna Schütz nicht um ein Verbot, sie wünscht sich vielmehr ein kritisches Auseinandersetzen mit dem Text. Aufschrei. Aufruhe. Ansprüche haben die Frauen heutzutage… Wo kommen wir denn da hin? So lautet zumindest der Kanon derjenigen, die Schütz verurteilen. „Anscheinend is des Corona schon bei manchen ins Hirn, falls die eins haben, vorgedrungen und hat Schäden hinterlassen“, heißt es unter anderem im Netz.
Ich will nicht in Abrede stellen, dass die 22-jährige mit ihrer Petition mittlerweile rund 30.000 Unterstützende gesammelt hat. Die Resonanz ist größtenteils positiv. Dass eine Studentin ihre Stimme gegen ein Lied erhebt, das offensichtlich frauenverachtend ist, ist wohl kaum skandalös. Dass sie im Jahre 2020 nicht hundertprozentige, vollkommene Solidarität erfährt, das ist der wahre Eklat. Aufschrei angemessen.
Ich bin wütend. Ich bin traurig. Ich bin müde. Und ich bin es leid, Selbstverständlichkeiten erklären zu müssen, immer und immer wieder. In einer utopischen Realität fernab von den hiesigen Zuständen würde ich diesen Text gar nicht schreiben. Frauen lebten sicher und in Frieden. Frauen wären formal und faktisch gleichberechtigte Mitgliederinnen einer Gemeinschaft, in der Milch und Honig fließen. In dieser Utopie würde ein gewisser Hans Koller (CSU), stellvertretender Passauer Landrat, nicht existieren. Leider bin ich nun einmal im Hier und Jetzt gefangen und muss mit ansehen, wie Herr Koller auf Facebook eine spöttische Aussage gegen die Aktion von Corinna Schütz mit „sehr gut“ bewertet. Es gäbe in Zeiten von Corona wichtigere Themen, sagt er. Es gibt gute Gründe, Sie Ihres Amtes zu entledigen, sage ich. Die vorherrschende systematische physische und psychische Unterdrückung der Hälfte der Weltbevölkerung als Lappalie abzutun, ist nicht nur unzumutbar, herablassend und ignorant. Es zeigt gleichermaßen, welch unbedeutende Stellung die Frau im Allgemeinen für Menschen wie Koller hat.
Sprache ist Macht. Sprache konstruiert die Realität, in der wir leben. „Das ist doch nur ein Volkslied, da ist doch nichts dabei“. Für welches Volk genau ist denn der Text bestimmt? Es ist nie nur ein Volkslied. Es ist nie nur zum Spaß. Es ist die Institutionalisierung eines Weltbildes, das Sexismus normalisiert und bagatellisiert. „Mein Mädchen, mein Mädchen, was regst du dich auf, Ohohoholalala, Für mich war es schön und für dich sicher auch, Ohohoholalala“, lautet eine Zeile des Liedes. „Für dich sicher auch“? – Ich wage, dies zu bezweifeln. Ohohoholalala.
Ich möchte nicht Teil einer Gesellschaft sein, in der es zur Freizeitgestaltung gehört, Lieder zu grölen, die sexuelle Gewaltfantasien gegen Frauen verherrlichen. Tut mir leid. Nicht mein Ding. Und wir reden hier nicht nur von einem Lied. Es gibt zig weitere Beispiele. In einem Prachtexemplar von G.G. Anderson heißt es „Nein heißt ja – Wenn man lächelt so wie du“ und weiter „Nein heißt ja – Wenn man flüstert so wie Du. Du kannst mir ruhig in die Augen schau’n – Nimm den Mut in die Hand, Pfeif auf Deinen Verstand und vertrau darauf was Du fühlst“. Nein heißt Nein. Immer. Punkt. Was gibt der angeblichen Krone der Schöpfung das Recht, Entscheidungen von Frauen zu diffamieren? Der noch immer verbreitete Glaube, die Frau ziere sich einzig aus Koketterie und müsse vom paarungswilligen Mann nur mit genügend Ausdauer erobert werden, ist auf so vielen Ebenen eine Farce. Liebe Männer, ich bin eine Frau. Wenn ich Nein sage, dann meine ich Nein. Es ist völlig egal, ob ich dabei lächle, ob ich einen kurzen oder einen langen Rock trage, ob ich überhaupt nichts trage – ich treffe in dem Moment eine Entscheidung und die gilt es, zu akzeptieren. Alles andere ist eine Straftat.
Corinna Schütz‘ Petition kann im besten Fall ein Innehalten, ein Andersdenken, ein Hineinfühlen in das Gegenüber bewirken. Mit einer Prise Empathie ist das gar nicht so schwer. Probieren Sie’s doch mal. Mickie Krause singt in seiner Version des Donau-Liedes „Und die Moral von der Geschicht‘ Ohohoholalala – Männer sind Schweine, vertrau‘ ihnen nicht“. Was macht das mit Ihnen? Wer erträgt diese Rollenverteilung, in der der heterosexuelle Mann immer Täter und Frau immer Opfer ist? Beenden wir doch das Ertragen und beginnen eine neue Ära des Respekts. Das wär‘ doch was. Gehen wir aufeinander zu, hören wir einander an, nehmen wir uns gegenseitig ernst. Carolin Emcke schreibt in Ja heißt ja und…: „Darum geht es für mich bei vielen der #metoo-Berichte. Nicht ums Denunzieren oder essentialistische Zuschreiben von Eigenschaften zu Männern oder Frauen. Sondern ums anders und anderes Wahrnehmen. Um ein Ausweiten der Phantasie, um das, was wir uns nicht gern vorstellen wollen, was wir nicht wollen, was möglich sei. Um das Verändern des Blicks, der wechselseitiger, freier, beweglicher, gerechter werden muss.“ Ende dem (Bierzelt-)Sexismus. Ende dem Patriarchat. Auf das respektvolle Miteinander. Prost.
Nele Karsten studiert Politikwissenschaft und Psychologie. Für den ruprecht schreibt sie seit 2019 über aktuelle Phänomene wie den Klimawandel und deren Auswirkungen. In ihren Glossen zeigt sie sich gesellschaftskritisch und geht dabei gern bis an die zynisch-sarkastische Schmerzgrenze.